Alle Blicke sind Anfang April auf eine Kreuzung in Essenbach im Landkreis Landshut gerichtet. Presse und Politprominenz sind da, Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) kommt eigens mit dem Fahrrad angefahren. So überquert er Bayerns erste Ampel, die mit Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuert wird. Der Andrang bei ihrer Inbetriebnahme ist groß.
- Zum Artikel: So alltagstauglich ist Künstliche Intelligenz
Jetzt - gut ein Vierteljahr später - hat sich dieser Andrang ins Rathaus verlagert, wo Bürgermeister Dieter Neubauer (CSU) nun Beschwerden über die Ampel entgegennimmt: "Da hört man dann Sprüche wie: Die soll intelligent sein? Wenn die intelligent ist, dann bin ich ein Genie."
Ärger über intelligente Ampel in Essenbach wächst
Die Frustration vieler Essenbacher zeigt sich an den Seitenstraßen, die zusammen mit der vielbefahrenen Hauptstraße die Kreuzung bilden. Dort staut sich der Verkehr, die Wartezeit ist lang – auch dann, wenn sich auf der Hauptstraße weit und breit kein Fahrzeug nähert. "Warum reagiert die Ampel dann nicht", fragt sich Simone Pitzer. "Wenn schon 'intelligente Ampel', warum verzögern sich die Zeiten dann?"
Pitzer muss mehrfach am Tag über die Kreuzung. Ihr ganzes Leben schon wohnt sie in Essenbach. Seit drei Monaten aber plant sie etwas mehr Zeit ein - mit den Kindern, auf dem Weg in die Arbeit oder zum Einkaufen. Wenn es schnell gehen muss, helfen Umwege, "um der Ampel aus dem Weg zu gehen. Und ich glaube, ich bin nicht die Einzige, die Schleichwege nutzt."
Erklärung vom Verkehrsmanagement
Wie intelligent ist also die Ampel? Stephan Stroh, Leiter des Verkehrsmanagements der verantwortlichen Landesbaudirektion, stellt klar: Die Künstliche Intelligenz funktioniert, braucht aber ihre Zeit. "Man kann das mit einem Fahranfänger vergleichen. Der hat am Anfang viel theoretisches Wissen aus der Fahrschule, lernt aber erst mit der Erfahrung, die er im Straßenverkehr macht. Und genauso ist es mit dieser Ampel."
Fußgängersicherheit im Fokus
Auch in den ersten drei Monaten habe die Ampel schon dazugelernt und auch ihr Verhalten angepasst, erklärt Stroh. Dass das bei den Autofahrern nicht ankommt, habe einen einfachen Grund: Die KI kümmert sich um Fußgänger und um deren Sicherheit, sagt er. "Sie kann unterscheiden zwischen Kindern und Erwachsenen, Menschen, die vielleicht durch einen Gips-Verband gehandicapt sind oder einen Gehstock dabeihaben. Rollatoren, Rollstuhlfahrer, wenn man mit Kinderwagen unterwegs ist, all das kann die Ampel unterscheiden und erkennt Bewegungsmuster."
Anpassung der Grünphasen
Anhand dieser Bewegungsmuster verändere die Ampel dann auch ihre Steuerung. Nähert sich ein Fußgänger der Ampel, wird er erfasst, das Signal wird angefordert und die Grünphase angepasst – und zwar so lange, bis die Straße vollständig überquert ist. Ergänzend dazu gibt es Abbiegeassistenten und spezielle Anzeigen für Fahrradfahrer – sie erhalten schon weit vor der Kreuzung auf einem Monitor einen Hinweis, ob sie schneller oder langsamer fahren sollen, um an der Ampel angekommen eine Grünphase zu erwischen.
KI-Ampel unterstützt vulnerable Verkehrsteilnehmer
Wenn Blaulichtfahrzeuge ausrücken, reagiert die Ampel ebenfalls: Alle haben Rot, nur die Rettungskräfte dürfen durch. "Wir haben Wert darauf gelegt, dass wir vulnerable Gruppen schützen. Es geht um den Fußgänger und um den Radfahrer. Sie sollen geschützt werden und das macht die Ampel sehr gut."
Das Ziel sei nicht, den Verkehrsfluss zu optimieren, erklärt Stroh. Zwar gebe es auch technische Möglichkeiten, die gesamte Kreuzung mittels KI zu steuern, Autos und Lkw inklusive – doch hier tun sich andere Barrieren auf: "Das lässt sich rechtlich noch nicht abbilden."
Frustration trotz Sicherheit in Essenbach
Dennoch sollte der Verkehr auch ohne KI intelligent gesteuert werden – mit Kameraerfassung und vordefinierten Schaltprogrammen, die auch rechtlich abgesichert seien. Am Frust der Essenbacher ändert das nichts, steigert aber deren Einfallsreichtum, sagt Bürgermeister Neubauer: "Wer hier wohnt, versucht, die Ampel kreativ zu umgehen."
KI im Straßenverkehr – in Essenbach ist sie laut den Verantwortlichen der Sicherheit gewidmet und nicht dem Verkehrsfluss. Nach einem Jahr soll das Pilotprojekt ausgewertet werden. Jetzt, nach den ersten drei Monaten, scheint sicher: Essenbacher und Ampel brauchen noch Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen.
Im Video: Die KI-Ampel in Essenbach - Wie intelligent ist sie wirklich?
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!