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Markus Söder war da – in den Hochwassergebieten im Unterallgäu, im schwäbischen Landkreis Günzburg, im oberbayerischen Kreis Pfaffenhofen an der Ilm, in Regensburg, in Passau. Mehrere Tage lang besuchte der bayerische Ministerpräsident die von der Flut besonders betroffenen Regionen im Freistaat – mal in Begleitung von anderen Kabinettsmitgliedern, mal zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) oder Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).
Bei all diesen Terminen schwang die Frage mit: Hat die Staatsregierung nach den Flutkatastrophen der vergangenen Jahre genug für den Hochwasserschutz getan? Hat sie Maßnahmen vernachlässigt? Welche Lehren müssen gezogen werden? Fragen, die in den vergangenen Tagen auch in der BR24-Community immer wieder gestellt wurden.
Spitzenvertreter der Staatsregierung verweisen auf Bayerns Milliardenausgaben für den Hochwasserschutz und beklagen "Fake News" über angebliche Einsparungen. Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) beispielsweise betont im "Kontrovers"-Interview, Bayern habe trotz vielfältiger Herausforderungen beim Hochwasserschutz "immer draufgepackt" und gezeigt, dass dies der Staatsregierung ein "ganz wichtiges Anliegen" sei.
Dagegen werfen Umweltverbände sowie die Opposition der CSU und den Freien Wählern Versäumnisse vor – unter anderem beim Ausbau von Poldern, beim Flächenverbrauch, der Bebauung von Flussufern, der Renaturierung von Flüssen und Mooren. Ein Überblick über die Debatte.
Flutpolder: Welche Verantwortung trägt Aiwanger?
Breit diskutiert wird der schleppende Bau von Flutpoldern: Die Staatsregierung hat von sieben seit 2001 geplanten großen Poldern bisher nur zwei gebaut. Opposition und Naturschutzverbände machen dafür Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) mitverantwortlich, der 2018 mehrere Polder bekämpft hatte. In ihrem ersten Koalitionsvertrag strichen CSU und Freie Wähler deswegen die geplanten großen Donaupolder Bertoldsheim und Eltheim/Wörthhof, die von etlichen Bürgern bekämpft werden. 2021 erweiterte die Koalition die Polderpläne wieder. Kritiker beklagen, drei wertvolle Jahre seien verloren worden.
Ministerpräsident Söder sagte nach der Kabinettssitzung am Dienstag, es sei damals zwar diskutiert worden, am Ende habe es aber keine Verzögerung der gesamten Planung gegeben. "Und die wären auch jetzt noch nicht fertiggestellt worden." Aiwanger weist Vorwürfe im BR24-Interview zurück: Er sei nicht generell gegen alle Polder gewesen, "sondern es ging um zwei bis drei Stück von zehn". Es sei ihm um die Frage gegangen, ob die Polder an den Stellen überhaupt sinnvoll seien.
Hätten Flutpolder etwas gebracht?
Der Wirtschaftsminister verweist in der aktuellen Debatte darauf, dass der fertige Polder in Riedensheim bei Pfaffenhofen an der Ilm bei der aktuellen Flut nicht genutzt worden sei, "weil der Hochwasserstand an der Donau den Bedarf an der Stelle gar nicht ausgelöst" habe. "Selbst wenn wir mehr Donaupolder hätten, wären die jetzt gar nicht eingesetzt worden", argumentiert Aiwanger. "Die Hauptschäden waren ja in den Flüssen vor der Donau." Ministerpräsident Söder sagte der "Augsburger Allgemeinen", mehr Polder an der Donau hätten beim aktuellen Hochwasser "nicht die Lage verändert".
Andreas Malcherek, Professor für Hydromechanik und Wasserbau an der Hochschule der Bundeswehr in München, sieht das anders: Im BR-Interview schildert er, das Wasserwirtschaftsamt hätte die Polder Wörthhof und Eltheim im Landkreis Regensburg "mit Sicherheit" geflutet. Die Wirkung könne man "recht genau" abschätzen, da die Entnahme von 32 Millionen Kubikmeter Wasser aus der Donau am Beispiel des Hochwassers 2013 mit Computermodellen simuliert worden sei. So wäre beispielsweise die Hochwasserspitze in Deggendorf um zehn Zentimeter niedriger ausgefallen.
SPD-Fraktionschef Florian von Brunn wirft Aiwanger vor, keine Fehler zugeben zu wollen: "Die Flutpolder hätten natürlich geholfen." Der SPD-Politiker ist überzeugt, dass beispielsweise der geplante Polder Leipheim im stark betroffenen Landkreis Günzburg für Entlastung gesorgt hätte. Denn wegen des hohen Pegels in der Donau habe sich das Wasser in der Günz gestaut. "In dieser Situation hätte ein Polder Leipheim geholfen." Der Günzburger Oberbürgermeister Gerhard Jauernig (SPD) äußert sich auf BR24-Anfrage zurückhaltend: "Wie viel ein Flutpolder in Leipheim in diesem konkreten Fall für Günzburg gebracht hätte, kann ich nicht beurteilen; das müssen die Experten im Nachgang analysieren und bewerten."
Zurückverlegung von Deichen und Renaturierung
Grundsätzlich sieht Malcherek die starke Fokussierung auf Polder kritisch. Er plädiert stattdessen für die Rückverlegung von Deichen um 50 Meter entlang des gesamten Laufs der Donau. Das hätte seinen Angaben nach wegen der Entstehung von neuen Feuchtflächen für die Natur Vorteile und würde andererseits die Lasten für den Bau von mehr Ausbreitungsflächen für Ströme stärker im ganzen Land verteilen. Außerdem könne so deutlich mehr Ausbreitungsfläche für das Wasser gewonnen werden als durch einzelne große Polder.
Auch die Wasserexpertin des Bunds Naturschutz Bayern, Christine Margraf, forderte Anfang der Woche, Deiche wieder landeinwärts zu verlegen. "Es gilt: Breitwasser statt Hochwasser!" Breite Auen seien ganz entscheidend für den Wasserrückhalt. "Sie reduzieren den Hochwasserscheitel und auch die Geschwindigkeit der Hochwasserwelle." Der Staatsregierung wirft sie vor, eine seit Jahren im Rahmen des bayerischen Auenprogrammes angekündigte Potenzialstudie zur Entwicklung von Auen sei bis heute nicht abgeschlossen. Bayern setze beim Hochwasserschutz weiterhin vor allem auf technische Maßnahmen.
Greenpeace betont in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung von Mooren und beklagt schleppende Fortschritte bei der Wiedervernässung: "20.000 Hektar will Bayern bis 2029 wiedervernässen, in der letzten Legislaturperiode schaffte das Land gerade mal 2.300. Dabei wäre die Wiederherstellung der Feuchtgebiete so wichtig - sie binden den Klimakiller CO2 und nehmen zudem noch Wasser auf." Söder verweist immer wieder darauf, dass Bayern das größte Klimaprogramm aller Bundesländer habe und dafür pro Jahr eine Milliarde ausgebe. "Wir pflanzen eine Million neue Bäume und renaturieren Moore, damit CO2 besser gebunden wird." Und er versichert: "Wir setzen insgesamt auf einen umfassenden Hochwasserschutz - mit technischen und natürlichen Maßnahmen."
Der Streit über einen Damm an der Donau
Minister Aiwanger machte vor wenigen Tagen den Landesbund für Vogelschutz (LBV) dafür verantwortlich, dass ein 700 Meter langer Hochwasserdamm noch nicht gebaut worden sei – was die Hochwasserlage bei Staubing/Kelheim verschlimmert habe. Der LBV warf dem Minister auf BR24-Anfrage daraufhin vor, er instrumentalisiere die aktuelle Hochwasserlage politisch.
LBV-Chef Norbert Schäffer betont in der "taz", sein Verband habe auf beträchtliche Naturzerstörung durch diesen Damm "für insgesamt zehn Häuser" hingewiesen und Alternativen aufgezeigt: "Man könnte diesen Damm beispielsweise näher an die Ortschaft heranführen, dann hätte die Donau schon mehr Platz, und der Damm könnte kleiner ausfallen."
Noch kostengünstiger wäre es laut Schäffer, die Menschen in den zehn Häusern umzusiedeln, ihnen andere Häuser im Ort zur Verfügung zu stellen. "Man darf auch nicht vergessen, dass die Leute wissentlich im Überschwemmungsgebiet gebaut haben – zum Teil noch nach 1999, nachdem es dort schon mal so ein Hochwasser gegeben hat."
Überschwemmungsgebiet als begehrtes Bauland
Trotz der Flutkatastrophen der vergangenen Jahre sind Überschwemmungsgebiete begehrtes Bauland. Oft wollen es Grundstückseigentümer nicht akzeptieren, wenn sie in einem Überschwemmungsgebiet kein Baurecht erhalten. Grundsätzlich gilt: In einem Überschwemmungsgebiet ist die Errichtung oder Erweiterung von Gebäuden untersagt. In Ausnahmefällen kann jedoch gebaut werden, geregelt ist dies im Wasserhaushaltsgesetz des Bundes.
Neun Bedingungen müssen dabei erfüllt sein: Dazu gehört unter anderem, dass das neu auszuweisende Gebiet unmittelbar an ein bestehendes Baugebiet angrenzt, eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit oder erhebliche Sachschäden nicht zu erwarten sind, der Hochwasserabfluss und die Höhe des Wasserstandes nicht nachteilig beeinflusst werden, die Belange der Hochwasservorsorge beachtet sind und die Bauvorhaben so errichtet werden, dass bei einem üblichen Hochwasser keine baulichen Schäden zu erwarten sind.
Gebäude in Überschwemmungsgebieten führen zu mehr Hochwasserschäden
Greenpeace Bayern beklagt, dass die Bebauung - gerade am Ortsrand - immer näher an die Ufer heranwachse. "Den Flüssen werden Ausweichflächen genommen, die bei Hochwasser gefahrlos überspült werden könnten." Klar ist: Wenn in hochwassergefährdeten Flächen immer mehr gebaut wird, gibt es bei einem Hochwasser immer mehr Schäden.
Hinzu kommt, dass die Überschwemmungsgebiete immer größer werden. Siedlungen, die heute am Rand zu einem Überschwemmungsgebiet liegen, könnten morgen bei einer neuen Festsetzung der Gebiete schon innerhalb der gefährdeten Zone liegen. Das zeigen auch Zahlen aus dem bayerischen Umweltministerium: Seit 2000 habe sich in Bayern die Flächen der "vorläufig gesicherten oder festgesetzten" Überschwemmungsgebiete von 735 km² auf 2.556 km² erhöht.
Professor Norbert Gebbeken, Experte für Katastrophenschutz und baulichen Objektschutz und Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, fordert deswegen einen andere Bauplanung. Wolle man zukünftig Siedlungen nicht aufgeben, so müssten nicht nur Häuser, sondern vor allem die komplette Siedlung baulich verändert werden.
Umweltminister Glauber sagt, er habe in vielen Kommunen an der Donau immer wieder über neue Siedlungsgebiete diskutiert und gefordert: "Nein, keine Siedlung. Diesen Raum braucht die Donau, da brauchen wir natürliche Flutbereiche." Die Wasserwirtschaft zeige immer wieder an, dass diese Räume freigehalten werden müssten, sagt Glauber.
Flächenversiegelung: 17 Fußballfelder am Tag
Zugleich beklagen Umweltverbände den anhaltenden Flächenverbrauch und die Versiegelung. "Durch den weiterhin hohen Flächenverbrauch von über zwölf Hektar am Tag – eine Fläche so groß wie 17 Fußballfelder – fließt das Wasser viel zu schnell direkt in die Flüsse ab", sagte der Landesbeauftragte des Bunds Naturschutz Bayern, Martin Geilhufe. "Dazu kommen viele Fehler der letzten Jahrzehnte, durch die unsere Landschaft systematisch entwässert und so umgebaut wurde, dass sie das Wasser nicht mehr halten kann."
Greenpeace verweist darauf, dass sich CSU und Freie Wähler schon 2018 im Koalitionsvertrag darauf geeinigt hätten, die Flächenversiegelung auf fünf Hektar am Tag zu begrenzen. Trotzdem sei diese zuletzt gestiegen. LBV-Landeschef Schäffer fordert in der "taz": "Wir müssen das Thema Wasser überall mitdenken. Bei jeder Hofeinfahrt müssen wir überlegen, ob die tatsächlich gepflastert werden muss oder ob wir sie so lassen, dass dort bei Starkregen auch 30 Liter Regen versickern können."
Ministerpräsident Söder verweist in der "Augsburger Allgemeinen" darauf, dass Bayern weiter wachse. "Wir wollen die Menschen, die nach Bayern ziehen, willkommen heißen." Diese Menschen bräuchten aber Häuser, Kitas und Schulen. "Wo und wie soll man bauen? Hoch soll man nicht bauen, nah soll man nicht bauen, außen soll man nicht bauen, Fläche soll man nicht verbrauchen und bei einem Hochwasser soll alles sicher sein." Er kündigt Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden darüber an, "wie wir mehr Sensibilität erreichen, wo man baut und was man tun muss, um sich gegen Hochwasser zu wappnen".
Wie geht es weiter?
Wirtschaftsminister Aiwanger fordert nun, zum Schutz vor Überschwemmungen müssten vor allem dezentrale Rückhaltemaßnahmen "massiv vorangetrieben" werden. Vielerorts sei das Hochwasser durch starke lokale Niederschläge verursacht worden, wobei kleine Bächlein plötzlich zu riesigen Flüssen angeschwollen seien.
Bei jedem Dorf müsse geprüft werden: "Was können wir außerhalb des Dorfes machen, wo Wasser zusammenläuft?" Es müssten vielerorts Rückhaltebecken geschaffen werden, um dort Wasser und Schlamm sammeln zu können.
Ob für Rückhaltebecken, Polder oder Deichrückverlegung – letztendlich braucht es Flächen. Um diese Flächen zu bekommen, sagt der Präsident des Bayerischen Gemeindetages, Uwe Brandl (CSU), brauche es wie auch beim Bau von Straßen so genannte Widmungen.
Das sei das mildere Mittel im Vergleich zu Enteignungen. Bei einer Enteignung wird das Eigentum gegen eine Entschädigung entzogen. Bei einer Widmung wird dem Eigentümer eine Nutzungsbeschränkung auferlegt, der Eigentümer behält jedoch das Eigentum.
Im Video: Umweltminister Glauber im "Kontrovers"-Interview
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