"Wunsiedel ist bunt" steht auf einem Banner, das an einer Gebäudefassade in Wunsiedel hängt.
Bildrechte: BR/Anne Axmann

Unter dem Motto "Wunsiedel ist bunt" fand auch in diesem Jahr ein Fest für Frieden, Demokratie und Toleranz in Wunsiedel statt.

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Erstmals seit 1988: Neonazis bleiben freiwillig Wunsiedel fern

Zum ersten Mal seit 1988 haben Neonazis freiwillig auf einen Aufmarsch in Wunsiedel verzichtet. Der Bürgermeister spricht von einem Etappensieg.

Über dieses Thema berichtet: regionalZeit - Franken am .

Wie immer in den vergangenen Jahren war Wunsiedel auch dieses Jahr am Vorabend des Volkstrauertages – der in diesem Jahr auf den 19. November fiel – von massiver Polizeipräsenz geprägt. Wie immer feierten Hunderte Bürger auf dem Marktplatz unter dem Motto "Wunsiedel ist bunt" ein Fest für Frieden, Demokratie und Toleranz. Wie immer gab es einen Protestzug der Antifa, in diesem Jahr mit rund 250 Teilnehmern. Und doch gab es einen entscheidenden Unterschied: Die Neonazi-Kleinstpartei "Der III. Weg", die in den vergangenen Jahren an diesem Tag ihr sogenanntes Heldengedenken veranstaltet hat, war in diesem Jahr nicht in Wunsiedel – und auch sonst gab es keine Veranstaltung aus dem rechtsextremen Spektrum.

Neonazis kamen ab 1987 wegen Heß-Grab nach Wunsiedel

Der Ursprung der Aufmärsche von Rechtsextremen in Wunsiedel war die Grabstätte von Rudolf Heß, der nach seinem Suizid im Jahr 1987 auf dem dortigen Friedhof begraben wurde. In der Folge wurde dieses Grab zur Pilgerstätte für Neonazis. Nachdem es 2011 aufgelöst und jeder direkte Veranstaltungsbezug auf den Hitler-Stellvertreter verboten wurde, verlagerten sich die Versammlungen der Rechtsextremen als "Heldengedenken" auf den Vorabend des Volkstrauertages.

2023 ist das erste Jahr, in dem freiwillig keine Neonazis kamen

Jahre ohne rechtsextreme Versammlungen hat es in Wunsiedel seit dem Beginn der Rudolf-Heß-Gedenkmärsche im Jahr 1988 zwar schon einige gegeben, der Grund dafür war allerdings immer ein juristischer: Meist gerichtliche Verbote, 2020 verzichtete der "III. Weg" wegen der strengen Corona-Auflagen des Landratsamtes Wunsiedel auf seinen Marsch. Jene Neonazi-Kleinstpartei war seit dem Verbot des "Freien Netzes Süd" im Jahr 2014 als Veranstalter des Aufmarsches aufgetreten. 2023 ist nun das erste Jahr seit 35 Jahren, in dem das Fernbleiben der Neonazis offenbar keine äußeren Gründe hat. Die genauen Hintergründe sind aber nicht bekannt.

Widerstand der Zivilgesellschaft und Mobilisierungsschwäche

Jan Nowak von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern vermutet, dass der über Jahre konsequent gebliebene Gegenwind aus der Wunsiedler Zivilgesellschaft und aus dem antifaschistischen Spektrum ein Grund ist. Zum anderen sieht Nowak aktuell aber auch eine Mobilisierungsschwäche des "III. Weges" – und nicht nur er: Auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht Bayern stellt fest, "dass der 'III. Weg' zunehmend Probleme damit zu haben scheint, seine Mitglieder für größere öffentlichkeitswirksame Parteiveranstaltungen zu mobilisieren".

Wunsiedels Bürgermeister will wachsam bleiben

So erfreulich es auch sei, am Vorabend des Volkstrauertages keinen rechten Aufmarsch in Wunsiedel zu haben, wolle er dennoch ganz bewusst nicht zu euphorisch sein, sagt Bürgermeister Nicolas Lahovnik (CSU) im Interview mit dem BR. Es sei lediglich ein Etappensieg – es gelte weiterhin, wachsam zu bleiben und zu reagieren, wenn es erforderlich ist. Dass sie das kann, habe die Zivilgesellschaft seiner Stadt über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg in den letzten Jahrzehnten immer wieder unter Beweis gestellt. Zum Beispiel im Jahr 2014, als die Bürgerinitiative "Wunsiedel ist bunt" den Aufmarsch des "III. Weges" zum "unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands" umfunktionierte, der weltweit Schlagzeilen machte: Für jeden von den Neonazis zurückgelegten Meter wurden zehn Euro an eine Aussteiger-Organisation gespendet.

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