Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus, ist mit sofortiger Wirkung von ihrem Amt zurückgetreten. Gleichzeitig hat sie auch ihr Amt als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen niedergelegt. Ihr wird vorgeworfen, vor mehreren Jahrzehnten als Gemeindepfarrerin in Siegen einen Fall sexuell übergriffigen Fehlverhaltens vertuscht und nicht eingegriffen zu haben.
Kurschus mit sich im Reinen
Fehler hat sie bei ihrer Rücktritterklärung nicht eingeräumt. Vielmehr erklärte die 60-Jährige, sie sei mit sich im Reinen. "Ich habe zu jeder Zeit mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt", sagte sie in ihrer Erklärung. Aus einem regionalen Vorgang sei in den letzten Tagen "ein Fall von bundesweiter Bedeutung gemacht worden", ein Konflikt sei "in der Öffentlichkeit geschürt" worden, zwischen ihr und den Betroffenen sexuellen Missbrauchs.
Diesen Konflikt will Annette Kurschus, wie sie am Vormittag bei einer Pressekonferenz in Bielefeld sagte, nicht in der Öffentlichkeit austragen, um die Erfolge im Umgang mit Missbrauchsfällen in der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht zu gefährden. Es habe eine "absurde und schädliche Verschiebung" stattgefunden. Die Betroffenen sollten im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, nicht sie als Person, so Kurschus.
Kurschus: "Ich habe Homosexualität und eheliche Untreue wahrgenommen"
Mit der Familie des mutmaßlichen Missbrauchstäters sei Kurschus lange befreundet gewesen. Sie habe aber nie in einem Dienstverhältnis mit ihm gestanden. "Ich wünschte, ich wäre vor 25 Jahren bereits so aufmerksam, so geschult und so sensibel für Verhaltensmuster gewesen, die mich heute alarmieren würden", sagte Kurschus. "Ich habe allein Homosexualität und eheliche Untreue beim Beschuldigten wahrgenommen".
Niemals sei es ihr darum gegangen, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen, Sachverhalte zu vertuschen oder einen Beschuldigten zu decken, sagte Kurschus. Ihr sei es aber auch darum gegangen, die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten zu schützen.
Betroffenenvertretung: Rücktritt kann Aufklärung unterstützen
Die Sprecherinnen und Sprecher der Betroffenenvertretung und der kirchlichen Beauftragten des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt in der EKD erklärten, dass sie den Rücktritt von Annette Kurschus mit Respekt zur Kenntnis nehmen und dankten ihr für ihre Unterstützung. "Ihre Entscheidung, auf die Ämter zu verzichten, schützt unsere Arbeit vor weiteren Belastungen", heißt es in der Erklärung. "Die Rücktritte können ebenso den weiteren Prozess der Aufklärung – auch bzgl. der Vorwürfe gegen ihre Person – unterstützen." Nach wie vor existiere ein Widerspruch der Darstellungen, der durch unabhängige Fachleute untersucht werden müsse, so die Betroffenenvertreter.
"Ich habe großen Respekt vor dem Schritt", sagte Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, zum Rücktritt von Annette Kurschus gegenüber BR24. "Annette Kurschus macht damit persönlich deutlich, welchen Stellenwert konsequentes Handeln beim Thema Sexualisierte Gewalt für die Evangelische Kirche hat. Gerade im Interesse der Betroffenen."
Vor gut einer Woche wurden die Missbrauchsvorwürfe öffentlich. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein soll jahrelang junge Männer sexuell bedrängt haben. Inzwischen ist er im Ruhestand. Annette Kurschus war im Kirchenkreis als Gemeindepfarrerin und Superintendentin tätig, bevor sie 2011 zur Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen gewählt wurde. 2021 trat sie das Amt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland an. Heute ist sie von beiden Ämtern zurückgetreten.
Im Audio: Evangelische Ratsvorsitzende Annette Kurschus tritt zurück
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