Wählen ab 18 Jahren - das ist in der Bundesrepublik Deutschland seit über 50 Jahren möglich. Bundeskanzler Willy Brandt wollte damals "Mehr Demokratie wagen", der Bundestag senkte das Wahlalter von 21 auf 18. Seither ist unsere Gesellschaft wesentlich gealtert: um durchschnittlich etwa acht Jahre. Die Durchschnittsdeutsche ist laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung inzwischen rund 46 Jahre alt. Die Stimme der älteren Generation bekam so immer mehr Gewicht.
Bei der Europawahl 2024 dürfen nun erstmals deutschlandweit Jugendliche ab 16 Jahren wählen. Die Unionsfraktion stimmte gegen die von der Ampel-Regierung beschlossene Herabsetzung des Wahlalters. Sie verwies darauf, dass in den meisten EU-Staaten das Standardwahlalter bei 18 Jahren liege. Nur in Malta, Österreich, Belgien und Griechenland liegt es darunter. In der Bundestagsdebatte sagte der Unionspolitiker Ansgar Heveling (CDU), dass es der Ampel lediglich darum ginge, "politischen Druck aufzubauen, auch bei den Wahlen zum Bundestag eine Herabsetzung des Wahlalters in Angriff zu nehmen".
Studie zur politischen Reife von Jugendlichen
Doch wäre das wirklich so schlimm? Bei einer Studie zur Wahl ab 16 Jahren fand der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin heraus, dass sich das politische Interesse und Wissen zwischen der Gruppe der 16- und 18-Jährigen nicht wirklich unterscheide. Die Studie bestätigte Befunde, dass die Jugendlichen hinsichtlich ihrer politischen Reife jungen Erwachsenen ebenbürtig seien.
Respekt vor jedem politischen Engagement
Bei der Europawahl sind das in Bayern rund 220.000 Jugendliche im Alter von 16 oder 17 Jahren, die nun erstmals wählen dürfen. Jonah Schmitt aus der Klasse 11b des Gymnasiums Veitshöchheim freut sich, dass er mitentscheiden kann. "Ich bin froh, dass ich jetzt einfach mit aktiv werden kann", sagt er. Schmitt habe Respekt vor jedem politischen Engagement. Wählen ab 16 bringe mehr Jugendliche dazu, sich politisch zu engagieren und sich mit der Politik zu befassen, sagt er.
Die 11b, bei der Europawahl sind das Erstwählerinnen und Erstwähler. Sie wollen die Demokratie heute im Kleinen hautnah erleben. Wo sonst die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte Platz nehmen, sitzen heute rund 30 Jugendliche. Nach einer kleinen Einführung über Kommunalpolitik dürfen sie den Bürgermeister Jürgen Götz mit ihren Fragen grillen.
Wählen ab 16? Der Bürgermeister ist skeptisch
Zu Beginn ist das etwas schüchtern - dann meldet sich Sophia Demuß: Sie will wissen, wie der Bürgermeister dazu steht, dass jetzt 16-Jährige schon wählen dürfen. "Ich bin da unentschieden", sagt der CSU-Politiker nach einer kurzen Denkpause.
"Wenn man sich wirklich informiert, wenn man sich interessiert und wenn man auch entsprechend sich kundig macht", sagt er, dann könne es durchaus sinnvoll sein, auch ab 16 schon bei der Kommunalwahl zu wählen. "Aber ich stelle immer wieder fest, dass das Interesse bei Jugendlichen für die Politik eher zurückhaltend ist", so Götz weiter. Das spiegelten im auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Jugendarbeit.
Jugendliche mit Infos zur EU-Wahl "zugepumpt"
Gerade deswegen nimmt er sich viel Zeit für die Fragen der Jugendlichen. Im Fach Politik und Gesellschaft sei die Wahl seit Wochen ein zentrales Thema, erzählen sie. Die Schülerin Sophia Demuß fühlt sich für ihre erste Wahl gut gerüstet. Sie glaubt, dass sie vom Wissensstoff besser vorbereitet sei als zum Beispiel ihre Großeltern. "Weil wir jetzt auch sehr stark damit zugepumpt wurden die letzten Wochen", sagt sie. Das sei sehr hilfreich gewesen.
Ihr Klassenkamerad Niklas Denich meint: "Die Oma mit 70, 80 Jahren - die wählt eher das, was sie schon vor 20 Jahren gewählt hat, und macht sich nicht so genau ein Bild von den Parteien in Deutschland", sagt er. Leute in seinem Alter schauten sich das genauer an, hätten einen größeren Überblick - auch über die vielen kleinen Parteien. Der 16-Jährige ist sich der großen Verantwortung bewusst: Wer abstimmt, müsse dann auch die Konsequenzen akzeptieren, falls die gewählte Partei eine Regierung bildet, sagt er.
Wie EU-Politik die Arbeit der Kommunen beeinflusst
Nach dem Gespräch mit dem Bürgermeister bekommen die Jugendlichen eine kleine Führung durch das Rathaus. Im Bauamt hören sie, wie die Politik der EU die Arbeit der Gemeinde beeinflussen kann - zum Beispiel, wenn in Veitshöchheim eine größere Straße saniert wird. Ab einer gewissen Summe muss die Gemeinde die Vergabe europaweit ausschreiben. Bei einem günstigeren Angebot kann so eine Firma aus Portugal den Vorrang vor einer Deutschen erhalten. Vorgekommen sei das allerdings noch nie.
Gewonnene Freiheit dank der EU
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erzählen den Jugendlichen von den Emotionen, die bei der EU für sie mitschwingen: "1979 hat Europa noch komplett anders ausgesehen", erzählt Martina Edelmann, die das Kulturamt leitet. "Wenn man nach Österreich gefahren ist, musste man einen Pass vorzeigen. Es gab noch die DDR-Grenze", sagt sie. Sie ist stolz darauf, dass ihre Stimme zur Veränderung beigetragen hat. "Also bitte wählen!", ruft sie den Jugendlichen zu.
Mit Blick auf ihre Jahrgangsstufe hat die 16-jährige Lara Öder keine Bedenken, ihren Altersgenossen die EU-Wahl zuzutrauen: "Man merkt ja eben, wo es einen selbst betrifft, welche Freiheiten man dadurch hat. Und dann finde ich es eben cool, dass man da als 16-Jährige schon da mitbestimmen kann", sagt sie.
- Zum Artikel: Jugendliche werben für die EU und fürs Wählen ab 16
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