Auf einer Faschingsparty im unterfränkischen Veitshöchheim ertönt ein Schlager-Hit nach dem anderen. Die Stimmung ist ausgelassen, das Publikum jubelt der Männerballett-Gruppe zu, die auf der Bühne tanzt. Viele Besucherinnen kommen jedes Jahr hier her – auch, um den Alltag und die Sorgen mal hinter sich zu lassen. Eine Frau sagt zum Beispiel: "Das braucht man, um neue Energie zu kriegen. Weil man so viel Negatives aufnimmt." Eine andere Besucherin fügt hinzu: "Einfach mal abschalten, das ist wichtig."
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Menschen wollen Alltagssorgen entfliehen
Kriege im Nahen Osten und gegen die Ukraine, Bauernproteste, Geheimtreffen von Rechtsextremisten: Es sind schwierige Themen, die die Menschen aktuell beschäftigen. Brauchen sie den Fasching gerade deswegen vielleicht umso mehr? Um Abstand von all dem zu bekommen?
Die Sorgen hinter sich zu lassen, dem Alltag zu entfliehen, das sei schon immer ein zentrales Motiv des Faschings, sagt Isabel Kusche, Soziologin an der Uni Bamberg. Das schließe auch das Weltgeschehen ein. "Eigentlich gibt es doch fast immer irgendwelche Besorgnisse, die man zumindest phasenweise auch mal verdrängen oder ausblenden möchte", so die Soziologin. "Ich glaube nicht, dass das dieses Jahr in besonderer Weise der Fall ist."
Fasching "umso nötiger und wichtiger"
Trotzdem sei es denkbar, dass die Menschen die Fastnacht gerade jetzt umso mehr brauchen: "Weil sie natürlich mitbekommen, dass viele globale Probleme sie unmittelbar betreffen. Sei es der Klimawandel, seien es Kriege." Dazu komme, dass die Menschen durch die sozialen Medien häufiger mit schwierigen Themen konfrontiert seien als früher. "Das kann ein Grund dafür sein, dass der Fasching besonders wichtig ist als Ausbruch."
Gerade in schwierigen Zeiten hält es der Präsident des "Fastnacht-Verband Franken", Marco Anderlik, für umso wichtiger, am Volksbrauchtum Fasching festzuhalten. "Seit Menschengedenken gibt es Krisen in unserer Welt. Gerade in komplizierten und schwierigen Zeiten ist es doch umso nötiger und wichtiger, dass Menschen sich auch schöne Stunden gönnen können."
Großer Zuspruch für die Fastnacht
Laut Marco Anderlik, Präsident des "Fastnacht-Verband Franken", erfahre der Fasching viel Zuspruch – schon seit der Corona-Pandemie. "Die Säle sind sehr gut besucht bis ausverkauft, die Menschen wollen sich einfach gut unterhalten lassen und für Stunden dem Alltag entfliehen", sagt Marco Anderlik. Der Wunsch nach Fröhlichkeit und Normalität sei "extrem groß".
Diesen Eindruck teilt auch Manuel Seemann, Sitzungspräsident vom "Veitshöchheimer Carneval Club": "Wir werden überwältigt, wir haben großen Zuspruch bei all unseren Veranstaltungen." Immer mehr Menschen wollen auch im Verein mitwirken – sowohl Kinder als auch Erwachsene.
Ukraine-Krieg führte zu Veranstaltungs-Absagen
Dass das Ausblenden beim Fasching nicht immer ganz funktioniert, ist vor zwei Jahren deutlich geworden, als der Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat. "Da sind Umzüge, da sind Veranstaltungen abgesagt worden, weil das natürlich ein unmittelbarer Schock war", erinnert sich Soziologin Isabel Kusche zurück. Inzwischen sei der Krieg Teil des alltäglichen Weltgeschehens geworden. Dem entfliehen zu wollen, erscheine der Soziologin durchaus legitim. Auch, wenn nicht ausgeschlossen sei, dass es einige Menschen noch immer für geschmacklos halten.
"Das wäre, glaube ich, zu viel verlangt, immer darauf zu beharren: Es ist so viel Schlimmes in der Welt los und wir müssen uns die ganze Zeit mit diesen Problemen auseinandersetzen." Vielleicht könne man sich sogar wieder besser damit auseinandersetzen, wenn man mal eine Pause hatte, so die Soziologin.
Politische Themen beim Fasching
Ganz außen vor lassen können die Närrinnen und Narren das Weltgeschehen an Fasching sowieso nicht. Bei Büttenreden und bei Faschingsumzügen werden immer wieder politische Themen mit Humor aufgegriffen – und zwar nicht nur bei der Kultsendung "Fastnacht in Franken" im BR Fernsehen.
"Die Fastnacht hat von jeher ja die Aufgabe, dem Menschen, der Gesellschaft, der politischen Coleur, den Spiegel vorzuhalten. Das war vor 200 Jahren so und das ist jetzt so", sagt Marco Anderlik. Auch Soziologin Kusche betont, dass es schon immer darum gegangen sei, gewählte Politikerinnen und Politiker zu kritisieren. Dass dieses Jahr mehr politische Themen in den Fasching gelangen als sonst, davon geht die Soziologin aber nicht aus.
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