Anna ist angehende Ärztin. Sie hat vor kurzem ihr "PJ", ihr Praktisches Jahr, beendet, das ans Studium anschließt. Jetzt bewirbt sie sich um eine Stelle als Assistenzärztin. Doch schon das PJ habe ihr deutlich gezeigt, wie marode das Gesundheitssystem in Deutschland sei, sagt Anna. Sie zweifelt, dass alle ehemaligen "PJler" die richtigen Voraussetzungen haben, um später in ihrem Job als Arzt oder Ärztin Patienten allein zu betreuen. So könnten schlecht ausgebildete PJler auch eine Gefahr für Patienten sein, warnt Anna.
Vorwurf: "PJler" werden als Arbeitskraft eingerechnet
Auch Julius – wie Anna ein angehender Arzt – treibt um, was er ihm PJ erlebt hat. Die beiden heißen in Wirklichkeit anders. Sie befürchten jedoch berufliche Nachteile, wenn ihre Klarnamen in diesem Artikel genannt werden. Julius hatte während seines PJ das Gefühl, dass die Kliniken mit PJlern als günstige Hilfskräfte rechnen. Der Wegfall von Ärztestellen habe zu einer Verlagerung der Arbeit geführt. Auch Anna kritisiert, PJ-Studenten würden für bestimmte Aufgaben eingespannt – etwa Medikamentenbestände oder Verbandsmaterial zu kontrollieren und Desinfektionsbehälter aufzufüllen. Julius geht sogar so weit, zu sagen, dass dies eine Gefährdung für künftige Patienten bedeute – weil man Aufgaben übernehmen müsse, die später keine Rolle mehr spielen.
Den Ausbildern ist freigestellt, was sie den Studierenden beibringen
Das Praktische Jahr soll die Studierenden eigentlich in einem Jahr praxisnäher auf den zukünftigen Beruf vorbereiten. Denn bestehen die PJler die letzte Prüfung nach dem Jahr, starten sie in die Zeit als Assistenzärzte und müssten schnell viel Verantwortung für Patienten tragen. Was im PJ gelehrt werden soll, ist eigentlich festgelegt – nur nicht fest in der Ausbildungsordnung der Ärzte verankert, schildert Gerald Quitterer. Laut dem Präsidenten der Bayerischen Landesärztekammer kann jeder Ausbilder so selbst entscheiden, was er den Studierenden beibringen will. Die Ausbildungsinhalte sind nicht verpflichtend, es gebe lediglich Empfehlungen.
Anna und Julius seien mit ihren Erfahrungen aus dem PJ nicht allein: Gerald Quitterer verweist auf eine Gewerkschafts-Befragung - das "PJ-Barometer" des Marburger Bundes von 2023. Auf die Frage, ob es Mentoren oder Lehrbeauftragte gegeben habe, die sich fachlich und persönlich während eines PJ-Tertials um die Studierenden gekümmert oder sie unterstützt hätten, antworteten darin 42 Prozent der Befragten mit "Nein".
PJler tauschen sich auf Plattformen aus
Die PJ-Stelle im Krankenhaus müssen sich die Studierenden selbst suchen. Sie bewerben sich bei Kliniken, die angehende Ärzte nehmen müssen, weil sie ein Lehrkrankenhaus sind, also einen offiziellen Lehrauftrag haben. Nicht immer bekommt man dort einen Platz, wo man hinwollte. Um nicht in einem Krankenhaus mit schlechten Bedingungen zu landen, organisieren sich die Studierenden. Es gibt im Netz ein "PJ-Ranking". Dort können Klinken bewertet und Erfahrungsberichte hinterlegt werden. Auch auf dem Instagram Account "Faires PJ" tauschen sich unzufriedene Studierende aus.
Es geht aber auch anders: Viele Kliniken sind durchaus in der Lage, Studierende gut auszubilden. Als gutes Beispiel gilt in München etwa das "Klinikum Dritter Orden", berichtet uns Julius. Er hat dort selbst sehr positive Erfahrungen gemacht. Er wurde gut eingebunden, durfte seine eigenen Patienten betreuen und hatte Ansprechpartner, schildert er.
Das Problem ist nicht neu – nur ändert sich nichts
Unsere Recherche zeigt: Die Sorgen, die Anna und Julius beschäftigen, sind altbekannt. Aber es ändert sich nichts, obwohl sich seit Jahren Studierende beklagen. Eine Situation, die Gerald Quitterer bewusst ist. Er fordert die Politik auf, bessere Rahmenbedingung zu schaffen. Dazu gehörten die Krankenhausreform und ein Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz. Mit entsprechender finanzieller Ausstattung der Kliniken und Praxen ließe sich wieder Personal gewinnen, das für die Ausbildung von jungen Ärztinnen und Ärzten eingesetzt werden könne, so der Präsident der Landesärztekammer.
Eine mögliche Lösung sei auch, die Approbationsordnung zu überarbeiten und damit das Medizinstudium anzupassen. Eine überarbeitete Fassung existiere bereits. Laut deutschem Ärzteblatt könnte sie 2027 auch in Kraft treten, sofern sich Bund und Länder einigen. Anna und Julius hoffen für ihre PJ-Nachfolger, dass sich einiges ändert.
Mehr zu diesem Thema hören Sie in der Sendung "Funkstreifzug" im Radioprogramm von BR24. Den Funkstreifzug finden Sie auch als Podcast in der ARD-Audiothek.
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