In Umfragen vor einigen Wochen war ein Großteil der bayerischen Bevölkerung zufrieden mit dem Anti-Corona-Kurs der Söder-Regierung. Ihr Eindruck: Gilt das auch aktuell noch?
Weigl: Meiner Meinung nach dürfen wir diese Umfragen zum bisherigen Höhepunkt der Corona-Krise nicht überschätzen. Das war eine besondere Situation für jeden einzelnen von uns. Die Erfahrung zeigt: Eine vertrauenswürdige und rasch handelnde Regierung wird dann entsprechend gut bewertet. Das kann sich aber natürlich auch schnell wieder ändern. Langsam kommen wir in die Zeit der "Folgeprobleme" - wer etwa seine Arbeit verliert, dürfte manche Maßnahme inzwischen kritischer sehen.
Die Landtags-Opposition beklagt zunehmend, dass die Staatsregierung die meisten Anti-Corona-Maßnahmen ohne das Parlament festlegt. Die SPD spricht gar von "Rechtsbruch". Wie bewerten Sie das?
Zunächst muss man festhalten, dass die getroffenen Maßnahmen mit den bayerischen Gesetzen übereinstimmen. Denn in den entscheidenden Gesetzen - zum Katastrophen- und Infektionsschutz - ist klar festgelegt, dass die Regierung in einer Krisensituation wie der Corona-Pandemie mittels Verordnungen und nicht mit Gesetzen entscheidet. Übrigens ist da auch bereits festgelegt, dass Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden können. Das ermöglicht einer Regierung rasches Handeln, ohne dass diese Verordnungen zuvor im Parlament diskutiert werden müssen.
Krisen brauchen starke Anführer - stimmt dieser Satz?
Das klingt mir zu autoritär, deshalb würde ich so weit nicht gehen. Was aber sicher richtig ist: In Krisen braucht es Entschlussfreudigkeit. Da kann nicht bei jeder Frage der zwar gewünschte, aber auch schwerfällige parlamentarische Prozess losgehen. Dann wäre man nämlich nicht handlungsfähig. Krisen erfordern schnelles Handeln - und schnelles Handeln widerspricht dem, was wir im Parlament sehen.
Parlamente arbeiten zu langsam?
Nein, das war jetzt keine Kritik an Parlamenten. Im Gegenteil: Es ist in einer Demokratie sehr wichtig, dass man viele Maßnahmen durchdenkt und abwägt. Aber für die akute Krisenbewältigung hilft solches Arbeiten eben nicht.
Wie funktioniert die Gewaltenteilung im Freistaat in der Corona-Krise bisher?
Ich glaube schon, dass sich unser politisches System in Bayern in dieser Krise bewährt hat. Die unmittelbare Bekämpfung der Pandemie läuft nun mal über die Regierung, anfangs hat die Opposition deren Kurs ja auch nahezu komplett unterstützt. Und wenn man Gesetze braucht, war das Parlament selbstverständlich involviert - etwa bei den beiden 10-Milliarden-Euro-Paketen. Die Opposition hat also insgesamt zwar nicht die ganz große Rolle gespielt. Aber das ist im Parlamentarismus immer so: Da dominieren nun mal die Regierung und ihre Mehrheit im Landtag.
Wie und wann kann Bayern in eine Art demokratischen Normalbetrieb zurück?
Ich glaube, wir sind schon wieder recht nah dran. Viele Verordnungen sind schon wieder zurückgefahren, aktuell scheint mir alles auf das Notwendige beschränkt. Man hat auch gesehen, dass die Oppositionsparteien nach der ersten intensiven Krisenphase rasch wieder ihre Stimme erhoben und von der Staatsregierung Korrekturen gefordert haben. Das war für die gesellschaftlichen Debatten sehr wichtig.
Gab es eine Situation wie zuletzt - sehr starke Regierung, vergleichsweise schwaches Parlament - in den vergangenen Jahrzehnten in Bayern schon mal?
Seit dem Zweiten Weltkrieg nicht. Das ist sicher ein Ausnahmefall - und wird das auch bleiben. Denn niemand möchte, dass die Abläufe dauerhaft so sind.
Zuletzt haben vermehrt Gerichte den Anti-Corona-Kurs der Staatsregierung korrigiert - etwa bei der Sperrstunde oder dem Verkaufsverbot für große Geschäfte. Ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Ein sehr gutes Zeichen. Verordnungen können zwar von der Regierung alleine erlassen werden. Aber deshalb stehen sie natürlich nicht außerhalb der demokratischen Kontrolle. Genau dafür gibt es ja die Gerichte. Dass da viele Klagen eingegangen sind, ist absolut richtig und notwendig. Und dass einige Maßnahmen der Staatsregierung zuletzt von den Gerichten korrigiert wurden, zeigt nur: Bei uns funktioniert die Kontrolle der Exekutive auch in Zeiten wie diesen.
Inzwischen gibt es innerhalb der Staatsregierung vereinzelt Misstöne – Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger sprach von "gezielten Gemeinheiten aus der CSU, mit dem Ziel mich zu beschädigen". Eine Koalitionskrise oder persönliche Animositäten?
Eine ernsthafte Koalitionskrise sehen wir aktuell nicht. Dafür sind sich CSU und Freie Wähler inhaltlich zu nahe. Und auch die Freien Wähler wissen, dass sie in dieser Koalition bestehen müssen. Aber natürlich zeigen solche Misstöne, dass die Freien Wähler seit der Landtagswahl in den Umfragen nicht wirklich von ihrer Regierungsbeteiligung profitiert haben. Mein Eindruck ist: Sie wissen noch nicht ganz genau, wie sie sich besser zur Geltung bringen können. Deshalb dürfte es künftig weitere Versuche geben, sich von der CSU auch abzugrenzen.
Dr. Michael Weigl, Jahrgang 1971, arbeitet als Politikwissenschaftler an der Universität Passau. Ein Schwerpunkt: die bayerische Landespolitik. Davor war Weigl jahrelang am Centrum für angewandte Politikforschung in München.
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