Erdgaszuleitungen vor einem Heizkraftwerk
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Erdgaszuleitungen vor einem Heizkraftwerk

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Gaspreis-Explosion: Energieintensive Unternehmen vor dem Aus

Der Preis für eine Megawattstunde Gas hat sich seit letztem Jahr verzehnfacht. Energieintensive Unternehmen fürchten um ihre Existenz. Reporter der Politikmagazine Kontrovers und report München unterwegs bei Unternehmen, die vor dem Aus stehen.

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Die Maschinen sind bereits abgestellt, die Insolvenz schon vergangenen Herbst angemeldet. Eigentlich wollte der Verpackungshersteller "Baden Board" aus Baden-Württemberg dieses Jahr sein 140-jähriges Firmenjubiläum begehen. Die Auftragsbücher waren durch Corona zuletzt eigentlich voll. Trotzdem geriet das Unternehmen bereits im Herbst in Schieflage, vor allem wegen der immer höheren Energiekosten. Sie besiegelten am Ende das endgültige Aus.

Damit aus Altpapier Verpackungen werden, braucht das Unternehmen riesige Mengen an Energie. Die bezog der mittelständische Kartonspezialist zu fast 100 Prozent aus Erdgas. Vor einem Jahr lag die monatliche Energierechnung des Unternehmens noch zwischen 400.000 und 600.000 Euro pro Monat. Mittlerweile wären es über vier Millionen Euro pro Monat. Zu teuer, um weiterhin wirtschaftlich zu produzieren. Geschäftsführer Stefan Böll: "Zu wissen, dass hier nie wieder Kartons hergestellt werden, das zerfetzt einem wirklich das Herz. Anders kann ich es nicht sagen."

Glashütte in Oberfranken fürchtet das Aus

Mehr als die Hälfe des Gases bezieht Deutschland aus Russland. Schon seit einem Jahr steigt der Gaspreis, zuletzt rasant seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Mittlerweile hat sich der Preis für eine Megawattstunde Gast verzehnfacht, von 20 Euro auf zwischenzeitlich 200 Euro.

Die enormen Energiekosten könnten bald auch für die Glashütte "Heinz Glas" in Oberfranken das Aus bedeuten. Betriebsleiter Michael Müller ist extrem besorgt: "Der erste Blick am Morgen ist: Wie haben sich die Preise entwickelt? Wo geht das Heizöl hin, wo geht der Strom hin, wo geht der Gaspreis hin?", sagt er Reportern des BR-Politikmagazins Kontrovers. Der Familienbetrieb stellt Flakons für Parfüm her, laut Firmenangaben stammt jeder vierte Flakon weltweit von ihnen. Doch um Glas zu schmelzen, braucht es riesige Mengen an Energie und große Teile der Produktion sind mit Erdgas befeuert.

Carletta Heinz führt die Glashütte in 13. Generation, auch hier steht in diesem Jahr ein Firmenjubiläum an: 400 Jahre "Heinz Glas". Dass das erfolgreiche Unternehmen jetzt in so eine existenzbedrohende Lage gerät, hätte die Firmenchefin nicht für möglich gehalten: "Wir haben den Ersten und Zweiten Weltkrieg überstanden. Aber diese Situation jetzt, in der globalen Welt, gab es so noch nicht. Wir müssen uns gegen den internationalen Wettbewerb durchsetzen. Das ist eine riesige Herausforderung, wenn wir so ein Problem mit den Energiepreisen hier haben und die Wettbewerber eben nicht." Bei der oberfränkischen Glashütte wird sich wie bei vielen anderen mittelständischen Unternehmen in den nächsten Wochen und Monaten entscheiden, ob sie trotz Preisexplosion überleben können.

Video: Explodierende Energiekosten - Pleite trotz Aufträgen

Gelingt es, die bayerischen Gasspeicher aufzufüllen?

Entscheidend wird auch sein, ob es gelingt, wie bisher üblich die Gasspeicher im Frühjahr und Sommer so weit aufzufüllen, dass im Winter genügend Vorräte vorhanden sind. Rund 20 Kilometer südöstlich von München, in Wolfersberg im Landkreis Ebersberg, liegt einer der wichtigsten Orte für Bayerns Energieversorgung. Allein dieser Speicher hier kann ein Jahr lang rund 300.000 Haushalte versorgen. Vorrausetzung dafür: volle Speicher! Aktuell beträgt der Füllstand in Wolfersberg 16 Prozent. Nach dem Winter durchaus normal. Nur, was wenn hier im Sommer nicht genügend nachkommt? Derzeit laufen die Lieferungen aus Russland weiter planmäßig. Doch so ein Gasspeicher braucht rund 150 Tage, also etwa fünf Monate, bis er gefüllt ist. Sollte es in den nächsten Wochen zu einem Stopp der Gaslieferungen aus Russland kommen, wäre der Gasspeicher in Wolfersberg nur zu einem kleinen Teil gefüllt.

Gasspeicher in Niedersachsen bewusst nicht befüllt?

Der größte Gasspeicher Deutschlands steht in Rheden im Landkreis Diepholz in Niedersachsen. Mit dem Inhalt ließen sich laut Betreiber rund zwei Millionen Einfamilienhäuser ein ganzes Jahr lang versorgen. Das Problem: Der Speicher ist praktisch leer. Und das schon seit Monaten. Betrieben wird der Gasspeicher seit 2015 von einer Tochterfirma des russischen Staatskonzerns Gazprom. Für Energiemarkt-Experte Fabian Huneke von der Agentur Energy Brainpool sind die niedrigen Werte kein Zufall. Andere Betreiber hätten ihre Gasspeicher nach dem letzten Winter wie üblich wieder aufgefüllt. Nur die Gazprom-Tochter nicht. Das sei "ein eindeutiges Zeichen dafür, dass das bewusst herbeigeführt worden ist."

Energieexperte: Bundesregierung naiv gewesen

Üblicherweise füllen die Betreiber zwischen Frühjahr und Herbst die Speicher auf. Dann ist das Gas billiger. Im Winter, wenn die Preise üblicherweise steigen, wird das gespeicherte Gas bei Bedarf eingesetzt. Die Füllstände sind öffentlich einsehbar. Aus der Statistik geht hervor: Der Füllstand bleibt im Speicher der Gazprom-Tochter in Rehden von April 2021 an weitgehend auf dem gleichen, niedrigen Niveau. Das bedeutet: Bereits vor knapp einem Jahr wurde allem Anschein nach die Entscheidung getroffen, fast gar nicht nachzufüllen.

Aus Sicht von Huneke war es ein Fehler, dem Konzern Gazprom ein solches Kernstück der Infrastruktur der deutschen Gasversorgung zu überlassen. "Aus der heutigen Perspektive war es sehr naiv zu glauben, dass Gazprom ein ganz normales, marktwirtschaftlich rational agierendes Energieversorgungsunternehmen auf dem europäischen Umfeld sein könnte." Die deutsche Gazprom-Tochterfirma "astora", die den Speicher betreibt, schreibt auf Anfrage der Politikmagazine Kontrovers und report München, "die Schwankungen der Füllstände" seien "von der Marktsituation und Temperatur abhängig". Und weiter: "Die Entscheidung über Ein- und Ausspeichermengen liegt nur bei den Kunden (u.a. Lieferanten von Erdgas), die die Kapazitäten bei Speicherbetreibern gebucht haben."

Gesetz zu nationaler Gasreserve geplant

Die Bundesregierung will nun per Gesetz dafür sorgen, dass die Füllstände in den Gasspeichern zum Winteranfang bei über 90 Prozent liegen müssen. Damit das bis zum kommenden Winter greift, müsste das Einspeichern aber in wenigen Wochen beginnen. Fabian Huneke von Energy Brainpool rechnet aufgrund der Lage in der Ukraine damit, dass es im kommenden Winter kalt werden könnte. Und zwar in deutschen Wohnzimmern. Er geht davon aus, "dass wir tatsächlich ein Grad runterdrehen müssen, was die Raumtemperatur anbelangt. Kürzer duschen und ab und zu mal kalt duschen. Das ist ein Szenario, das hätte ich vor einigen Wochen noch für unmöglich gehalten. Und jetzt halte ich das für zumindest möglich."

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