Einsteigen und ohne Ticket mitfahren: Dazu laden die Stadtbusse im oberbayerischen Pfaffenhofen seit vier Jahren ein. Einstimmig hatte der Stadtrat den Gratis-ÖPNV beschlossen. Das Ziel ist, die Menschen zur Mobilitätswende zu bewegen. Raus aus dem Privatwagen, rein in die öffentlichen Verkehrsmittel.
Pfaffenhofener ÖPNV-Modell ist Vorreiter in Bayern
Das Pfaffenhofener Modell war das erste Angebot dieser Art in Bayern und es ist nach wie vor das umfangreichste. Das Liniennetz der Gratis-Busse wurde mehrfach erweitert, die Taktung erhöht, die Fahrzeiten verlängert. Mittlerweile gibt es sogar kleine Expressbusse, die die Bürger auf festen Linien wie ein Taxi rufen können. Die Folge ist, dass immer mehr Pfaffenhofener ihre Gratis-Busse nutzen. Das sind 10.000 Passagiere pro Woche. Doppelt so viel wie am Anfang.
Erfolgsmodell mit Schattenseiten
Doch dieser Erfolg hat auch Schattenseiten. Zum einen reicht das "Zuckerl" kostenloser Nahverkehr nicht für die Mobilitätswende. Nach wie vor gibt es in Pfaffenhofen ähnlich viele Fahrzeuge wie Einwohner, nämlich rund 27.000. Dadurch staut sich morgens und abends in der Stadt der Verkehr. Denn die Mehrheit der Menschen fährt nach wie vor mit dem eigenen Auto. Bürgermeister Thomas Herker denkt deshalb auch über weitergehende Maßnahmen nach, zum Beispiel eine Erhöhung der Parkgebühren.
Mobilitätswende hat "im Großen noch gar nicht angefangen"
Dazu rät auch Alexander Schneider. Der Geschäftsführer der Pfaffenhofener Stadtbus Gesellschaft promoviert derzeit zum Thema Mobilitätswende. Er sagt: "Im Großen ist die Verkehrswende noch nicht passiert oder hat noch gar nicht angefangen." Freundliche Angebote wie kostenlose Stadtbusse würden nicht ausreichen, um die Menschen dazu zu bringen, das Auto stehen zu lassen und stattdessen den ÖPNV zu benutzen. Dazu brauche es auch eine Reihe einschränkender Maßnahmen "der Bundesregierung abwärts bis zur einzelnen Kommune", sagt Schneider. "Das geht los bei Parkraumbewirtschaftung bis Straßensperren, aber auch Tempolimit auf der Autobahn."
- Zum Artikel: "Bayern klagen über sehr schlechte ÖPNV-Anbindung"
49-Euro-Ticket: Womöglich keine Zuschüsse für Gratis-ÖPNV
Außerdem kosten die Gratis-Busse in Pfaffenhofen viel Geld, aktuell 2,7 Millionen Euro. Gut doppelt so viel wie vor vier Jahren. Durch die Energiekrise steigen die Kosten weiter.
Nun sorgt auch noch das 49-Euro-Ticket für Verdruss. Die Stadt befürchtet, bei der Verteilung möglicher Zuschüsse übergangen zu werden, weil ihr durch das bundesweite Ticket kein Fahrgeld entgeht. Das bedeutet im Klartext, dass Kommunen, die für ihren öffentlichen Nahverkehr Geld verlangen, besser dastehen als Kommunen mit Gratis-ÖPNV. Das bayerische Verkehrsministerium teilt diese Sorge der Stadt Pfaffenhofen:
"Da im kostenlosen Stadtverkehr Pfaffenhofen keine tariflichen Mindereinnahmen durch das Deutschlandticket zu erwarten sind, gehen wir nach jetzigem Stand davon aus, dass daher auch kein Ausgleich im Deutschlandticket auf die Stadt Pfaffenhofen an der Ilm entfällt." Bayerisches Verkehrsministerium
In München will man sich aktuell noch nicht festlegen, ob und wie mögliche Benachteiligungen durch das 49-Euro-Ticket durch das Bayerische Verkehrsministerium ausgeglichen werden. "Falls durch das Deutschlandticket Auswirkungen auf die Landesförderung entstehen sollten, werden Anpassungen geprüft."
Pfaffenhofen hinterfragt Gratis-Stadtbusse ab 2024
Bei all diesen finanziellen Unwägbarkeiten stellt sich die Stadt Pfaffenhofen die Frage, wie lange ihre Busse noch kostenlos fahren. Für das nächste Jahr hat der Stadtrat noch einmal grünes Licht gegeben. Doch für die Zeit danach setzt Pfaffenhofens Rechtsdirektor Florian Erdle ein dickes Fragezeichen.
"Der Stadtrat wird sich überlegen müssen, ob man Fördermittel, wenn es die gibt, in erheblicher Höhe in den Wind schlagen kann, oder ob man dafür zumindest einen gewissen Betrag für den Stadtbus wird verlangen müssen." Florian Erdle, Rechtsdirektor der Stadt Pfaffenhofen
Dann könnte es in Pfaffenhofen wieder heißen: Fahrausweis vorzeigen! Das wären schlechte Nachrichten für die eigentlich angestrebte Verkehrswende.
Weitere Reaktionen: Von Abwarten bis Festhalten
Auch die anderen bayerischen Kommunen mit Gratis-Öffis wissen noch nicht genau, welche Auswirkungen das geplante 49-Euro-Ticket für sie haben wird. Keines dieser Angebote ist so umfangreich wie das in Pfaffenhofen. Entsprechend anders fallen auch die ersten Reaktionen aus.
Ruhpolding: Weniger Privatfahrten in Naturschutzgebiete
Ein Gratis-Angebot an Bürger wie Touristen macht zum Beispiel auch das oberbayerische Ruhpolding, die flächenmäßig größte Kommune im Kreis Traunstein. In der Chiemgauer Urlaubsgemeinde gibt es seit 2020 zwei Gratis-Buslinien, die durch den Ort fahren, und vor allem aber auch mehrere Wanderparkplätze ansteuern.
Erklärtes Ziel der Gemeinde Ruhpolding ist es, dass weniger Menschen die Wanderziele in den Naturschutzgebieten mit Privatautos anfahren. Laut einer Rathaussprecherin wird deshalb das Angebot auch 2023 aufrechterhalten. Wie es mit Blick auf das 49-Euro-Ticket weitergehen wird, sei noch offen. Aktuell warte die Gemeinde noch auf Informationen aus dem "Bayerischen Staatsministerium, ob und wie das geplante 49-Euro-Ticket Auswirkungen auf die Fördermaßnahmen bezüglich unserer Gratis-Dorflinie haben wird".
Augsburg: Kostenfreie City-Zone in Augsburg soll bleiben
In Schwaben bietet Augsburg auf einer engen Innenstadtzone einen kostenfreien öffentlichen Nahverkehr. Rund um den Königsplatz können die Menschen an neun Stationen gratis Bus und Straßenbahn nutzen. Dieses Angebot gibt es seit 2020. Augsburg verfolgt damit das Ziel, den Autoverkehr in der Innenstadt und damit auch die Abgas-Emissionen zu reduzieren. Finanziert wird die City-Zone zum größten Teil über den städtischen Haushalt. Wie die schwäbische Bezirkshauptstadt bestätigt, will sie auch nach der geplanten Einführung eines bundesweit gültigen 49-Euro-Tickets an ihrer City-Zone festhalten.
Kostenfreie Kurzstrecken im Kreis Freyung-Grafenau
Gratis-Öffis auf Kurzstrecken gibt es auch in Niederbayern. Dort bietet der Landkreis Freyung-Grafenau für Fahrten unter zwei Kilometern einen landkreisweiten Linienverkehr. Damit sind auch viele Stadtbuslinien kostenfrei, zum Beispiel in der Kreisstadt Freyung. Auf Nachfrage des Bayerischen Rundfunks sieht die Kommune dieses Angebot durch das 49-Euro-Ticket nicht tangiert.
Freyung: Kostenloses ÖPNV-Angebot soll erweitert werden
Für Urlaubsgäste wird die Kreisstadt ihr kostenloses ÖPNV-Angebot sogar noch ausbauen. Im kommenden Jahr 2023 tritt sie dem sogenannten GUTi-Verbund bei. In dem Verbund engagieren sich verschiedene Gemeinden der Landkreise Freyung-Grafenau, Regen und Cham. Sie bieten ihren Urlaubsgästen die kostenlose Nutzung des ÖPNV-Angebotes. Die Kosten sollen dabei weitgehend durch den Kurbeitrag gegenfinanziert werden. Jeder Ort zahlt pro Übernachtung eine gewisse Umlage dafür, orientiert an den Übernachtungszahlen. Auch das GUTi werde "durch das 49-Euro-Ticket aus unserer Sicht nicht beeinflusst", so der Sprecher der Stadt Freyung.
Bürgermeister von Waldkirchen: 49-Euro-Ticket "bringt für den ländlichen Raum gar nichts"
Anders sieht das dagegen Heinz Pollack, Bürgermeister von Waldkirchen im Kreis Freyung-Grafenau. Er rechnet damit, dass "sicherlich Finanzierungslücken" für alle Kommunen entstehen werden. Den kostenfreien City-Bus in seiner Stadt soll es dennoch weiterhin geben. Generell bringt nach Meinung Pollacks "die Einführung des 49 Euro-Tickets für den ländlichen Raum gar nichts". Der Bürgermeister verweist auf die Berufspendler im ländlichen Raum, die oft sehr weite Strecken fahren, zum Beispiel nach Passau oder Deggendorf. "Für sie ist die Einführung des Tickets aufgrund der wenigen Streckenverbindungen und den langen Fahrtzeiten keine Alternative zum Auto."
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