Grundschulkinder an einem großen Tisch malen gemeinsam.
Bildrechte: stock.adobe.com/Christian Schwier

Ist die Garantie auf Ganztagesbetreuung an Grundschulen noch zu schaffen?

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Grundschulkinder: Wackelt die Ganztags-Garantie in Bayern?

Ab dem Schuljahr 2026/27 gilt schrittweise der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Kommunen, BLLV und Elternverband allerdings schlagen Alarm. Stand jetzt sei das kaum zu schaffen. Es fehle an Geld, Räumen und Personal.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Ab dem Schuljahr 2026/27 haben Eltern einen gesetzlichen Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung für ihre Grundschulkinder. Im ersten Schuljahr betrifft der nur die ersten Klassen, ab 2029/30 gilt das dann für alle Grundschulkinder. So haben das Bund und Länder noch unter der Großen Koalition vor drei Jahren beschlossen.

Anspruch auf Ganztagesbetreuung: Langsam wird die Zeit knapp

Inzwischen aber drängt die Zeit, um die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Man arbeite gerade "unter Hochdruck" signalisieren die zuständigen Ministerien für Arbeit und Soziales sowie Kultus. Hinter den Kulissen finden aktuell viele Gespräche statt. Womöglich Krisengespräche.

Denn es sieht immer mehr danach aus, als könnte Bayern dem Anspruch auf eine Ganztagesbetreuung nicht überall gerecht werden. Zumindest nicht, wenn die auch "qualitativ gut" sein soll, so Martin Löwe, Vorsitzender des Bayerischen Elternverbands. Stand jetzt sei oft noch nicht einmal die Regelversorgung an den Schulen gesichert. "Bei dem, was ich an Rückmeldungen bekomme, was es an Unterrichtsausfall und Klassenzusammenlegungen gibt, frage ich mich, wie man da den Ganztag stemmen will", so Löwe. Woran aber hakt es - gerade mit Blick in die Zukunft?

Gemeindetag: Kommunen überfordert

Die Kommunen sind als Träger der Grundschulen diejenigen, die das Ganztagsangebot stemmen müssen. "In Sippenhaft" genommen würden die Städte und Gemeinden, es sei einfach "unmöglich, Menschen Dinge zu versprechen, die man sehenden Auges nicht halten kann", schimpft Uwe Brandl, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Vor Ort fehlt es ihm zufolge an Räumlichkeiten, Betreuungs-Personal und am dafür nötigen Geld.

Gerade für finanzschwache Kommunen sei der Ganztag neben all den anderen kommunalen Verpflichtungen – Stichwort Unterbringung von Geflüchteten – noch einmal eine enorme Belastung. Neben dem Bund sieht Brandl auch die Staatsregierung in der Pflicht. Mitte vergangener Woche hatte Brandl noch gemeinsam mit dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) gefordert, Ministerpräsident Markus Söder müsse den Ganztag zur "Chefsache" machen.

Elternverband: Es geht um Struktur und Wille

Beim Bayerischen Elternverband ist man skeptisch, was solche Forderungen angeht. Florian Eschstruth aus der Erlanger Eltern-Gruppe sagt: "Jeder weiß, dass mit der heutigen Geschwindigkeit der Ganztagsanspruch in Bayern nicht zu erfüllen ist." Er sieht vor allem die Kommunen selbst in der Verantwortung.

Eschstruth befasst sich seit Jahren intensiv mit dem Ausbau der Ganztagsbetreuung aus Elternperspektive. Seine Beobachtung: In einigen Kommunen habe man den Ausbau der Ganztagsbetreuung priorisiert und mit dem "kooperativen Ganztag" ein Konzept entwickelt, das bereits erfolgreich erprobt und in den nächsten Jahren ausgeweitet werde. Als Vorzeigekommune nennt er die Stadt München. Auch da gebe es zwar noch viel zu tun. Aber: Er sehe den Willen und eine Struktur, so Eschstruth. In seiner Heimatstadt Erlangen und in anderen Gemeinden hingegen nimmt er eine "abwartende Haltung und ein Rufen nach dem Staat" wahr.

Tatsächlich haben die Kommunen bislang nur einen Bruchteil der Fördermittel abgerufen, die der Bund ihnen für den Ausbau der Ganztagesbetreuung zur Verfügung gestellt hat. Eschstruths Forderung: Es müsse ein öffentlicher Ganztagsverantwortlicher benannt werden, bei dem alles zusammenlaufe.

Feilschen um Zuständigkeiten

Auch die Staatsregierung sieht die Verantwortung für den Ausbau – wie das Kultusministerium schreibt – bei den Städten und Gemeinden. "Die Einhaltung des Zeitplans hängt auch maßgeblich von den Kommunen ab", so ein Sprecher.

Uwe Brandl vom Städte- und Gemeindebund kontert an die Adresse des Kultusministeriums, es seien die Schulen selbst, die einen deutlich höheren Anteil zum Gelingen beitragen könnten: "Im Rahmen gebundener Ganztagsangebote, natürlich mit staatlichem Personal", um "schneller den Rechtsanspruch zu verwirklichen, als es sich momentan absehen lässt". Das Feilschen, wer wie viel leisten muss beim Ausbau, ist in vollem Gange. Denn jeder Seite ist klar: Die Lage ist angespannt.

Verantwortungsdiffusion als Problem?

Auf Landesebene sind sowohl das Sozial- als auch das Kultusministerium mit dem Ganztagesausbau befasst. Der Grund sind auch verschiedene Nachmittagsbetreuungsmodelle: Vom gebundenen oder offenen über den kooperativen Ganztag bis zum Hort und zur Mittagsbetreuung sollen unterschiedliche Formen der Nachmittagsbetreuung möglich sein. Also sowohl ein rein schulisches Konzept, als auch Konzepte gemeinsam mit freien Trägen aus Sport und Kultur sowie die klassischen Hort- und Mittagsbetreuungen.

Die Zuständigkeit zweier Ministerien – die von Ministerinnen unterschiedlicher Parteien geführt werden – würden den Prozess nicht unbedingt vereinfachen, sagen Insider. "Die Kommunikation ist schlecht", sagt die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Simone Fleischmann. Es bestehe die Gefahr der Verantwortungsdiffusion. Und zwar sowohl horizontal zwischen den Ministerien – als auch vertikal zwischen dem Bund als Gesetzgeber, der Staatsregierung – und den ausführenden Kommunen.

Rund 58 Prozent der Grundschulkinder sind laut Sozialministerium bereits jetzt in einer Nachmittagsbetreuung: Davon besuche etwa ein Drittel ein Angebot der Kinder- und Jugendhilfe. Die anderen zwei Drittel der Kinder nähmen an einem Angebot unter Schulaufsicht teil.

Modernisierungsgesetz: Weniger Bürokratie könnte Schub für den Ganztag sein

Etwas Entspannung zwischen Ministerien und den kommunalen Spitzenverbänden könnte nun die Entbürokratisierungs- und Beschleunigungsoffensive des Bayerischen Ministerpräsidenten bringen. Mit den ersten Gesetzesvorhaben wird den Kommunen das Bauen voraussichtlich ab 2025 erleichtert.

Uwe Brandl honoriert, dass auch die Förderanträge überarbeitet werden. Und er habe von der Landesebene "die klare Aussage, dass sich auch beim Geld was tut", so Brandl, der sich als Anwalt der finanzschwachen Kommunen sieht. Trotzdem: die Skepsis bleibt. "Flächendeckend bekommen wir das nicht hin" den Rechtsanspruch zu erfüllen, so seine Einschätzung.

BLLV: Lehrer nicht für Ferien-Betreuung nutzen

Neben den unklaren Verantwortlichkeiten, fehlenden Strukturen und Räumlichkeiten, die teilweise erst noch gebaut werden müssen, ist das wohl entscheidende Kriterium das Personal. Darin sind sich Verbände und Politik einig. Wer die Kinder in der Grundschule am Nachmittag künftig wie betreut, darüber wird gerade noch diskutiert. Angesichts eines Lehrermangels, "den wir nach wir vor haben", sagt Simone Fleischmann vom BLLV, könnten Lehrkräfte sicher nicht mit den Kindern "im Sandkasten" sitzen, oder "die Ferienbetreuung" übernehmen. "Lehrerinnen und Lehrer sind für Bildung und Erziehung zuständig", so Fleischmann. Und sie sagt auch ganz klar: Die Verantwortung, ausreichend Personal vorzuhalten, dürfe am Ende nicht bei den Schulleitern liegen.

Das Sozialministerium verweist in einer schriftlichen Stellungnahme darauf, dass in erster Linie Kommunen und Freie Träger zuständig seien, für ausreichend Personal zu sorgen. Die Staatsregierung aber stehe aber an deren "Seite". Man habe verschiedene Programme gestartet, etwa die bis 2025 befristete berufsbegleitende Weiterbildung "Ergänzungskraft für Grundschulkindbetreuung", sowie den Schulversuch "Fachkraft für Grundschulkindbetreuung". Doch ob das reicht? Experten hegen Zweifel – und auch in den Ministerien ist man sich bewusst, dass die Fachkräftegewinnung aktuell "die größte Herausforderung" sei.

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann warnt, wenn das mit dem Ganztages-Ausbau "nichts wird, dann brauchen wir über den Wirtschafts-Standort Bayern gar nicht mehr sprechen". Ihr gehe es neben dem wirtschaftlichen Faktor um "gute Bildung" unabhängig vom Geldbeutel der Eltern – Stichwort Bildungsgerechtigkeit. Die Ziele beim Ganztages-Ausbau zu verfehlen, das "kann sich Bayern nicht leisten".

Staatsregierung: Kinderbetreuung ist auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor

Dabei ist der politische Wille da, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Eltern hinzubekommen. Arbeitsministerin Ulrike Scharf (CSU) betonte etwa nach der vergangenen Kabinettssitzung, Kinderbetreuung sei "DER Standortfaktor" für Unternehmen und ein wichtiges Mittel gegen den Fachkräftemangel. Gerade viele Frauen würden sich wünschen mehr arbeiten zu können, bei entsprechenden Betreuungsmöglichkeiten.

Florian Eschstruth vom Bayerischen Elternverband ist überzeugt davon, dass der Ganztag künftig "zum Standortfaktor" werde. Wegen Inflation und Fachkräftemangel würden künftig noch mehr Eltern arbeiten wollen oder müssen. Er fordert, die Ganztagsangebote auf 100 Prozent auszubauen. Die Nachfrage werde steigen, so seine Prognose.

Eltern fürchten Dauer-Ausnahmezustand

So richtig optimistisch schauen die Beteiligten nicht in die Zukunft. Uwe Brandl glaubt – selbst wenn die Staatsregierung den Kommunen jetzt entgegenkomme, Bürokratie ab- und Finanzhilfen ausbaue –, werde man es "nicht komplett" hinbekommen.

Und Florian Eschstruth vom Bayerischen Elternverband vermutet, dass Eltern zumindest bei der Qualität Abstriche werden machen müssen. Der "Ausnahmezustand wird zum Normalzustand werden", so seine Befürchtung. Sein Appell: Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung dürfe nicht zum "Aufbewahrungsanspruch" verkommen.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!