Alina hat sich unter den Schirm dicht an Ekaterina Faber gekuschelt. Es nieselt, ein frischer Wind bläst, doch das macht ihr nichts aus. Die 15-Jährige will heute unbedingt draußen mit ihrer Mentorin spazieren gehen. Einmal in der Woche kommt Ekaterina Faber beim Dominikus-Ringeisen-Werk in Ursberg vorbei und verbringt als Mentorin zwei bis drei Stunden mit Alina, die intellektuell beeinträchtigt ist. "Mich hat berührt, dass die Kinder und Jugendlichen aus dem Waisenhaus oft keinen persönlichen Freund haben. Die Erzieherinnen müssen auf alle aufpassen und haben oft wenig Zeit für ein Kind", sagt Faber.
Zur Vorbereitung: Online-Kurse für Mentoren
15 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine haben einen Mentor, für ebenso viele wird noch ein solcher gesucht. Russisch oder ukrainisch zu sprechen ist keineswegs Pflicht, die Verständigung geschieht oft über Mimik oder Gestik. Ins Leben gerufen hat das Projekt der Verein "Take my Hand" mit Sitz in München, der sich für Waisenkinder aus postsowjetischen Staaten einsetzt.
Bevor die Erwachsenen in Kontakt mit den Jungen oder Mädchen kommen, absolvieren sie einen Online-Kurs: "Wir zeigen dabei, was es heißt, ein Mentor zu sein, was sind die Pflichten und Aufgaben? Aber auch, mit welchem Verhalten man konfrontiert werden kann“, sagt Julia Beisenov von "Take my Hand". Zusammen mit einem Psychologen wird danach ein Mentor ausgesucht, der am besten zum Kind passt.
Einzelbetreuung macht die Kinder auch motorisch fitter
Ekaterina Faber kommt seit einem Jahr regelmäßig nach Ursberg. In ihrer Tasche stecken ein Malbuch und Spielzeug. Manchmal nimmt sie Alina mit zu einem Ausflug, auf ein Konzert oder im Sommer an einen kleinen See. "Sie spielt auch gerne mit meinem Hund. Jetzt im Winter hat sie Schneebälle gemacht und zu ihm geworfen, das fand sie toll", sagt Faber. Ein Mentor wirkt sich positiv auf die Kinder und Jugendlichen aus. Sie fühlten sich nicht nur mehr wertgeschätzt, auch ihre Fähigkeiten wie etwa die Motorik "verbessern sich immens", beobachtet Markus Keisinger, der stellvertretende Leiter der ukrainischen Einrichtung in Ursberg.
Abenteuerliche Flucht mit Bus, Zug und Flugzeug
Als der Krieg in der Ukraine vor knapp zwei Jahren begann, da war für die Verantwortlichen des Waisenheims in Krywyj Rih, einer Großstadt im Süden des Landes, klar, dass sie dort nicht bleiben können. Es fehlte nicht nur an einem Bunker, in dem die Pfleger mit ihren Schützlingen hätten Schutz finden können. Auch Medikamente und Lebensmittel wurden knapp. Also beschließt Heimleiterin Viktoria Putina zu fliehen. Es folgt eine abenteuerliche Reise über 2.000 Kilometer, die die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Bus, Zug und Flugzeug zurücklegen. Im Dominikus-Ringeisen-Werk in Ursberg finden sie schließlich ein neues Zuhause. Viele Ehrenamtliche helfen, ein ungenutztes Gebäude wieder fit zu machen. Statt wie früher in einem großen Saal schlafen die Waisenkinder jetzt meist in Zweibettzimmern, wodurch die Nächte erholsamer sind.
Schwaben würdigt das Projekt mit Integrationspreis
An Traumata, die während des Krieges oder der Flucht entstanden sind, wagen sich die Mentoren nicht. Das sei Aufgabe von Psychologen, betont Einrichtungsleiter Markus Keisinger. Die Mentoren geben den Kindern aber Sicherheit und Geborgenheit. Alina ist in ein zwei mal drei Meter großes Bällebad getaucht, das im Keller des ukrainischen Waisenhauses eingerichtet wurde. Sie wirft die bunten Kugeln zusammen mit ihrer Mentorin immer wieder in die Luft und strahlt. "Manchmal habe ich schlechte Laune, wenn ich hierherkomme. Aber wenn wir gemeinsam spielen oder was unternehmen, fahre ich wieder glücklich nach Hause. Das ist wie Zeit mit einem Freund verbringen", erzählt Ekaterina Faber.
Auch der Regierung von Schwaben hat das Projekt ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Ende vergangenen Jahres wurde "Take my Hand" mit dem schwäbischen Integrationspreis prämiert.
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