Wie das Baby im Bauch liegt, kann Hebammen-Studentin Estelle Kündgen mit ein paar Handgriffen herausfinden. Gezielt tastet sie den Bauch der werdenden Mutter ab. Die ist heute zur Voruntersuchung in den Kreißsaal der Würzburger Uniklinik gekommen. Estelles Einschätzung: Rechts der Rücken, die Füße unten, der Kopf seitlich. Was Estelle im ersten Semester ihres Studiums an der Uni Würzburg gelernt hat, kann sie jetzt anwenden.
Theorie und Praxis eng verzahnt
Natürlich nicht allein: In der Praxis-Phase wird die 22-Jährige von einer erfahrenen Hebamme angeleitet. Die zeigt ihr, wie man die Werte des Wehenschreibers liest. Estelle versucht, die verschiedenen Kurven zu interpretieren: "Hier sieht man die fetalen Herztöne, den Herzschlag der Mutter und der Ausschlag hier unten, das sind dann also die Wehen." Heißt: Das Kind wird nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen.
Wer Hebamme werden will, muss studieren
Im vergangenen Jahr sind hier fast 2.200 Kinder auf die Welt gekommen. Estelle ist froh, dass sie nicht alles gleich alleine können muss – die Verantwortung trägt immer noch ihre Anleiterin Hanna. Die hat nach der Realschule direkt die Ausbildung zur Hebamme gemacht – die Umstellung aufs Studium sieht sie nicht durchweg positiv. "Ich bin im Zwiespalt, weil das Rad wird ja nicht neu erfunden. Die Studierenden lernen ja dasselbe wie wir. Und am Ende haben die dann den Bachelor, ich hab das Staatsexamen. Das macht ja keinen großen Unterschied." Seit diesem Jahr gibt es nach den anderen EU-Ländern nun auch in Deutschland ausschließlich die Möglichkeit über ein Studium, Hebamme zu werden.
- Zum Artikel: "Hebammenstudium: Vorteile für Wissenschaft und Praxis"
Studium soll Beruf aufwerten - und Fachkräftemangel begegnen
Mit dem Bachelorabschluss haben künftige Hebammen wie Estelle dann mehr Möglichkeiten, etwa in die Forschung zu gehen. Und mit dem akademischen Abschluss winkt ein höheres Gehalt – beides soll den Beruf attraktiver machen und dem Hebammenmangel begegnen. Denn hohe Versicherungskosten bei geringen Löhnen und schlechter Planbarkeit von Arbeitszeiten, gerade in der Freiberuflichkeit, sind nur einige Gründe, warum sich immer mehr Hebammen aus ihrem Beruf zurückziehen. Die Suche nach einer Hebamme für die Nachsorge gestaltet sich für werdende Mütter entsprechend schwierig.
In Würzburg: Bewerbungen aus ganz Deutschland
Womöglich sieht das in ein paar Jahren wieder anders aus. Denn die Bewerbungszahlen sprechen für sich: 236 Bewerbungen sind fürs nächste Wintersemester in Hebammenwissenschaft an der Uni Würzburg eingegangen, sagt Studiengangsleiterin Mira Pflanz, selbst studierte Hebamme. "Das sind mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr." Und während damals die meisten Bewerberinnen aus der Nähe von Würzburg kamen, hätten sich jetzt Interessierte aus dem ganzen Bundesgebiet beworben.
Akademisierung eröffnet neue Karriere-Möglichkeiten
Wohin Estelle in drei Jahren nach ihrem Bachelorabschluss will, weiß sie noch nicht. "Für den Anfang, um erstmal Erfahrungen zu sammeln, finde ich eine Klinik gut. Aber später würde ich schon gerne in die Freiberuflichkeit gehen, vielleicht sogar in die Forschung." Hanna zumindest könnte sich nicht vom Herzstück des Berufs trennen. "Es gibt viele Geburten, die im Kopf bleiben, die man mit heim nimmt. So viele schöne Geburten, an die man sich gerne zurückerinnert."
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