Samstagabend, kurz nach 19 Uhr. Noch fünf Tage wären es bis zum errechneten Entbindungstermin. Doch wie es aussieht, hat es Maritas und Andreas Renners Baby eilig: Mit einem Blasensprung kommt Marita ins Krankenhaus. "Schiebt's schon?", fragt ihre Hebamme Simone Mair-Saiz. "Ja, und zwar gewaltig", antwortet Marita. Angst hat sie keine. Sie fühlt sich wohl bei ihrer Hebamme. Die hat sie schon durch die Schwangerschaft begleitet, die beiden kennen sich gut. Gerade überprüft sie die Herztöne des Babys, gleichmäßig ertönt das rhythmische Geräusch aus dem Wehenschreiber, das wohl keine Mutter je vergessen wird.
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Eine Geburt - so natürlich wie möglich - aber im Krankenhaus
Lang wird es nicht mehr dauern, vermutet die erfahrene Hebamme. Der Muttermund ist schon fünf Zentimeter weit geöffnet. Der diensthabende Arzt weiß Bescheid, dass die Schwangere im Kreißsaal ist und in den nächsten Stunden höchstwahrscheinlich ihr Kind zur Welt bringen wird. Gesehen haben sich die beiden heute noch nicht - und Marita hofft auch, dass das so bleibt: Denn der Arzt würde im hebammengeleiteten Kreißsaal nur kommen, wenn es eine medizinische Notwendigkeit dafür gibt. Also wenn Marita die Schmerzen nicht mehr aushielte oder ein Notkaiserschnitt nötig würde. Dass der Arzt in diesem Fall in wenigen Sekunden da wäre, gibt ihr Sicherheit. Auch dass sie für eine mögliche Operation nicht verlegt werden müsste, sondern schnell im Zimmer nebenan operiert werden könnte. Ihr ursprünglicher Wunsch ist: Sie möchte so natürlich wie möglich gebären. Ohne Schmerzmittel, ohne Nadel im Arm, ohne Ultraschall. Hebammen, die eine Hausgeburt anbieten, gibt es aber nur noch sehr wenige, das nächste Geburtshaus ist weit entfernt. Und: Wenn dort etwas passieren würde, müsste sie verlegt werden.
Erster hebammengeleiteter Kreißsaal in Schwaben
Der hebammengeleitete Kreißsaal in Dillingen ist der erste dieser Art in Schwaben. Zuletzt sind die Geburtenzahlen an der Kreisklinik immer weiter gesunken. Mit ein Grund war auch Corona. Jetzt sind die Regeln gelockert und das neue Konzept gefällt offenbar einigen Frauen: Schon acht Anmeldungen hätten sie für November für den hebammengeleiteten Kreißsaal, sagt Simone Mair-Saiz. Der neue Chefarzt Jan Olek steht hinter dem Konzept: Er hat bereits an seiner früheren Klinik Erfahrungen damit gesammelt. "Wir schauen oft nur zu", sagt er. "Wenn das medizinisch nicht nötig ist, kann man sich das doch sparen." Die Frauen seien zufriedener, so seine Erfahrung, und die Hebammen könnten ihrer Arbeit ungestörter nachgehen.
Landkreis Dillingen hat investiert - mit Erfolg
Möglich ist das allerdings nur, weil der Landkreis Dillingen viel Geld investiert hat: Ursprünglich wurde die Geburtsstation als Belegabteilung geführt. Das bedeutet, niedergelassene Frauenärzte wurden von den Hebammen zur Geburt dazu gerufen. Wartend im Hintergrund zu bleiben, wäre nicht gegangen. Nachdem der Kreißsaal aber im Jahr 2018 aus Personalmangel schließen musste, wurde die Beleg- in eine Chefarztabteilung umgewandelt. Das bedeutet: Es sind immer Ärzte da. Und - das ist eine Besonderheit - es gibt auch genügend Hebammen.
Hebammen gegen Reformpläne des Gesundheitsministers
Die laufen unterdessen Sturm gegen Reformpläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach: Ab 2025 soll demnach nur noch qualifiziertes Pflegepersonal, das in der unmittelbaren Patientenversorgung auf Station eingesetzt wird, im Pflegebudget berücksichtigt werden. Hebammen und Entbindungspfleger, die sich um die Frauen im Wochenbett kümmern, müssten dann durch die Krankenhäuser anderweitig finanziert werden. Dabei schreiben kleine Krankenhäuser, wie die Dillinger Kreisklinik, jetzt schon tiefrote Zahlen. Auch die Geburtshilfe trägt dazu bei. Die Hebammen fürchten, dass anderes Klinikpersonal die Betreuung der Frauen übernehmen müsste und sie ihren Job verlieren. Die Hebammen haben gegen diese Reformpläne die Petition "Gehts noch Herr Lauterbach" gestartet.
Betroffen wären davon allerdings nur festangestellte Hebammen, die auf Station arbeiten. Beleghebammen wie in Dillingen, die im Kreißsaal tätig sind, trifft das nicht. Aber auch sie sind von den Plänen nicht begeistert, schließlich sei es ja ihr Berufsstand, bei dem einmal wieder gekürzt würde.
Hebamme begleitet die Geburt im Kreißsaal
Marita liegt inzwischen in der Badewanne. Nach gut eineinhalb Stunden im Krankenhaus sind die Wehen stärker geworden. Sie kreist ihr Becken, atmet tief. "Man sieht, sie ist in sich gekehrter, redet nicht mehr viel", sagt Hebamme Simone Mair-Saiz. Sie wacht neben der Wanne, Maritas Ehemann Andreas hält die Hand seiner Frau. Marita atmet tief aus und ein. Die Herztöne sind weiterhin gut, das Baby wohlauf und Marita hält durch. "In der Wanne können die Frauen die Schmerzen besser aushalten. Sie brauchen weniger Schmerzmittel, die wir, bis auf ein paar Ausnahmen, im hebammengeleiteten Kreißsaal auch gar nicht anwenden dürften", sagt Simone Mair-Saiz. "Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, und das Baby ist da", so ihre Vermutung.
"Unsere kleine Ella ist da"
Und wirklich. Die Wehen werden stärker, der Atem von Marita lauter. Die Geburt steht kurz bevor. In diesem intimen Moment lassen wir Marita mit ihrem Mann und den Hebammen allein. Von draußen ist ihr Schrei zu hören, "ich kann nicht mehr" brüllt sie aus voller Kraft, einmal, zweimal, dreimal – "Schieb schieb schieb" unterstützt sie ihre Hebamme. Und dann ist auch schon ein lauter Schrei zu hören. Das Baby ist da. "Ja willkommen", begrüßt Simone Mair-Saiz das Neugeborene. Wenig später liegt Marita mit ihrem Baby auf dem Arm auf der Liege, ihr Mann Andreas beugt sich über sie, beide lächeln glücklich: "Meine Ella", sagt Marita Renner lächelnd. "Unsere Ella", fügt sie hinzu und streicht der Kleinen liebevoll über die Wange. Sie hat ihr Baby zur Welt gebracht, so wie es sie sich gewünscht hat: ohne Arzt, ohne Medikamente, mit der Hebamme, der sie vertraut.
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