Blick auf den Eingang zum Strafjustizzentrum, in dem sich unter anderem das Landgericht befindet.
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Blick auf den Eingang zum Strafjustizzentrum, in dem sich unter anderem das Landgericht befindet.

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Hepatitis-Skandal: Staatsanwaltschaft fordert drei Jahre Haft

Ein Narkose-Arzt in einer Klinik in Donauwörth hat offenbar 51 Patienten mit Hepatitis-C infiziert. Dass es sich dabei um eine Straftat handelt, da sind sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung einig. Aber - nahm er die Infektionen billigend in Kauf?

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Schwaben am .

Ein Mediziner, der sich Schmerzmittel spritzt, um arbeitsfähig zu bleiben. Schmerzmittel, die eigentlich für Patienten bestimmt sind. Schmerzmittel, die dann fehlen. Das fällt auf: Der Verbrauch von Opiaten ist sehr hoch, wenn der Anästhesist in der Klinik in Donauwörth Dienst hat, zum anderen wachen die von ihm narkotisierten Patienten früher auf, haben Schmerzen, müssen nachgespritzt werden. Und, was sie nicht wissen, als sie aufwachen: Sie sind mit Hepatitis infiziert - ihr Anästhesist hat sie mutmaßlich angesteckt.

Staatsanwaltschaft: Angeklagter hat durch "skrupelloses Verhalten" Patienten gefährdet

Dass es sich dabei um Körperverletzung, also eine Straftat, handelt, da sind sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung bei den Plädoyers am Landgericht Augsburg einig. Der Angeklagte hat bereits am ersten Prozesstag gestanden, dass er sich an den für die Patienten bestimmten Spritzen bedient und sich das Narkosemittel selbst injiziert habe. Damit das nicht auffiel, füllte er die Spritzen wieder mit Kochsalz auf. Seinen Ausführungen zufolge habe er sich dabei wohl mit der Nadel gestochen, er zitterte immer stark, dazu kam der Suchtdruck: Die verunreinigte Nadel benutzt er dann auch, um die Kochsalzlösung in die Spritze zu füllen.

Die Staatsanwaltschaft hält es für wahrscheinlicher, dass er dieselbe Nadel für sich und die Patienten benutzt habe. Doch, egal wie, er hätte wissen müssen, dass er Patienten so infizieren könne, so der Staatsanwaltschaft in seinem Plädoyer. Er habe das billigend in Kauf genommen und sein Wohl über das der Patienten gestellt: "Skrupellos" sei er vorgegangen, etwa, wenn er bei Schichtwechsel abgelöst wurde - wohlwissend, dass sich in den vorbereiteten Spritzen jetzt zumindest teilweise Kochsalzlösung statt Schmerzmittel befand - die Wirkung damit zumindest geschwächt sei. Man könne ihm deshalb nicht glauben, dass er die Patienten nicht gefährden wollte, so die Staatsanwaltschaft.

Verteidiger: "Mein Mandant hat die Patienten immer schützen wollen"

Verteidiger David Herrmann dagegen geht von fahrlässiger Körperverletzung aus. Er bekommt dabei auch Unterstützung von einem der drei Nebenkläger, Roland Aigner. Sein Mandant habe die Patienten immer schützen wollen. Das sagte dieser auch zum Schluss des Verhandlungstags: Er habe immer helfen wollen, wollte, dass seine Patienten gut versorgt seien. Dabei habe er sich selbst stark unter Druck gesetzt, seine Depression und Schmerzen einer Darmerkrankung ignoriert.

Wie am Vormittag klar wurde, leidet der Angeklagte auch unter seiner Vergangenheit. Er wurde im Iran geboren, kam dort nach dem Abitur ins Gefängnis, wegen seiner politischen Haltung, musste außerdem an der Front kämpfen. Wegen seiner politischen Arbeit durfte er nicht studieren, weshalb er nach Deutschland floh. Dort studierte er Medizin, war an verschiedenen Kliniken tätig. 2014 begann er, sich selbst Sufentanyl zu injizieren, um Druck und Stress im Klinikalltag auszuhalten, und, wie er immer wieder vor Gericht sagte, arbeitsfähig zu bleiben.

Tragische Lebensgeschichte des Angeklagten

Seit Jahrzehnten leidet der Angeklagte unter diversen körperlichen wie psychischen Erkrankungen sowie vielfachen, auch familiären Belastungen. Mehrere Psychiater - wie auch der Sachverständige - bescheinigten ihm vor Gericht eine sehr schwere Depression. Dazu kamen seit vielen Jahren chronische Rückenschmerzen sowie eine entzündliche Darmerkrankung, die immer wieder zu starken Schmerzanfällen führt. Ein hoher Leistungsanspruch an sich habe ihn zeitlebens begleitet, außerdem Versagensängste, sowie in den vergangenen Monaten Schulfühle und immer wieder Selbstmordgedanken.

Bis heute befindet er sich in psychiatrischer Behandlung. Der Prozess habe ihm aber auch geholfen, sich mit dem Vorgefallenen zu beschäftigen, so der Angeklagte zum Schluss der Verhandlung heute. Ständig suche er nach der Antwort auf die Frage, warum er sich keine Hilfe geholt hatte und wie er so weit habe sinken können. Er sei dankbar, dass er sich - im Rahmen des Prozesses - bei den Patienten, die als Zeugen geladen waren, entschuldigen habe können und wolle das hiermit auch noch bei all den anderen tun.

Hepatitis-C-Infektion hätte früher entdeckt werden können

Der Verteidiger verwies in seinem Plädoyer auch auf fehlende Kontrollmechanismen: Jährliche Routineuntersuchungen des Bluts aller Mitarbeiter etwa, wie an anderen Krankenhäusern üblich, hätten zu einer schnelleren Entdeckung der Infektion seines Mandanten führen können. Hier sollte der Gesetzgeber die Initiative für sinnvolle Vorschriften ergreifen. Auch das Gesundheitsamt, Klinikleitung, die Chefärzte seien gefragt. Anzeichen für eine mögliche Sucht des Anästhesisten habe es im Krankenhaus nämlich zahlreiche gegeben, wie mehrere Zeugen vor Gericht bestätigten.

Hoher Schmerzmittel- und Nadelverbrauch: Pflegepersonal war alarmiert

Ein Anästhesiepfleger vom Donauwörther Krankenhaus hat am Vormittag ausgesagt, ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen seien schon lange vor Auffliegen des suchtkranken Mediziners diverse Dinge aufgefallen: Früher habe der Anästhesist im OP oft gesungen, sich einfühlsam mit den Patienten unterhalten. Das sei weniger geworden. Dann sei er immer länger auf der Toilette gewesen. "Da kam er dann eben erst danach singend wieder", so der Pfleger. Seltsam sei auch gewesen, dass die Spritzen, die er selbst frei von Luftblasen mit Narkosemittel aufgezogen hatte, später oft Luftblasen aufwiesen. Patienten, die von diesem Narkosearzt behandelt worden seien, hätten außerdem mehr Schmerzmittel gebraucht, als bei anderen Ärzten. Hatte er Dienst, hätte man auch viel mehr Nadeln verbraucht.

Demnach hatte das Pflegepersonal konkrete Verdachtsmomente, die es auch an die übergeordneten Stellen weitergab. Allerdings, so Chefarzt Ludwig Düthorn bei seiner Aussage vor Gericht vor einigen Wochen, habe man ohne konkrete Hinweise nichts unternehmen können, außer mit dem Betroffenen zu sprechen. Der aber habe immer alles abgestritten.

Mit Nadel im Arm erwischt

Erst als man ihn im April vor fünf Jahren mit einer Nadel im Arm erwischte, führte das zu Konsequenzen: Er musste die Klinik umgehend verlassen. Erst einige Monate später wurde bekannt, dass er in den letzten zwei Jahren seiner Tätigkeit am Donauwörther Krankenhaus Hepatitis-C-positiv war und mutmaßlich zahlreiche Patienten infiziert hatte.

Die Betroffenen haben zwischenzeitlich Schmerzensgeld und Schadenersatz von der Haftpflichtversicherung des Krankenhauses bekommen. Auch wenn die Krankheit - dank neuer Medikamente - in der Regel gut zu behandeln ist, leiden viele von ihnen noch heute an den psychischen Folgen. Sie gingen ins Krankenhaus, um gesund zu werden - und kamen mit einer Infektion wieder heraus, ohne das zu wissen. Das Urteil in dem Fall will das Gericht am Freitag (30. Juni) sprechen.

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