Nächste Woche kommt die sechsjährige Lisa aus Nürnberg in die erste Klasse. Sie fiebert dem Tag entgegen. Richtig mitfreuen konnte sich Mama Kerstin Schwarzer lange Zeit allerdings nicht. Denn sie hat keine Zusage für einen Platz in der Nachmittagsbetreuung.
Kerstin Schwarzer arbeitet Teilzeit im Büro eines kleinen Industriebetriebs. Home-Office ist nicht möglich. Was aber, wenn Tochter Lisa nun oft schon vor 12 Uhr nach Hause kommt? Würde sie ihre Arbeitszeit dem Stundenplan anpassen, wäre nur noch "eine geringfügige Beschäftigung" drin. Die Folge: Die Familie hätte "jeden Monat 1.000 Euro weniger" zur Verfügung, erzählt Kerstin Schwarzer.
Vielerorts fehlen Betreuungsplätze
Im Vergleich zu vielen anderen bayerischen Kommunen steht Nürnberg nicht mal so schlecht da: Die Betreuungsquote liegt bei 77 Prozent. Der bayernweite Schnitt: laut Familienministerium bei rund 58 Prozent. Trotzdem fehlen in Nürnberg aktuell um die 1.000 Betreuungsplätze, bestätigt Familienreferentin Elisabeth Ries. Zwar tue sich zum neuen Schuljahr immer noch etwas, aber "wir gehen davon aus, dass es auch Familien gibt, die zum Schuljahresanfang keinen Platz bekommen haben".
Auch Erlangens Oberbürgermeister Florian Janik, SPD, spricht davon, dass wohl nicht alle Kinder einen Platz in der Nachmittagsbetreuung haben werden. Von der Stadt München heißt es, rund 400 Familien hätten sich an die KITA-Elternberatung gewandt, auf der Suche nach einem geeigneten Platz. Das sei immerhin "ein Drittel weniger, als im vergangenen Jahr", schreibt eine Sprecherin.
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung greift in zwei Jahren
Noch ist das zumindest rechtlich kein Problem für die Kommunen. Der gesetzliche Anspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule gilt erst ab dem Schuljahr 2026/2027. Zunächst für Erstklässler, in den darauffolgenden Schuljahren kommt jeweils eine Klassenstufe dazu. Die Unsicherheit ist groß, ob es gelingt, ausreichend Plätze zu schaffen. Elisabeth Ries, Familienreferentin aus Nürnberg, ist mehr als "skeptisch". Erlangens OB Florian Janik hält es für möglich. Wobei er nicht ausschließt, dass im ersten Jahr zwar alle Erstklässler mit Rechtsanspruch einen Platz haben, dafür einige Zweit-, Dritt- und Viertklässler erst einmal leer ausgehen.
Woran es beim Ausbau hapert
Die Gründe für die Skepsis sind vielfältig. Häufig fehlt es an geeigneten Räumlichkeiten und am Personal. Auch Geld war lange Zeit ein Thema, das Bayerische Familienministerium hat die Mittel im Sommer nun noch einmal aufgestockt. Laut Erlangens Oberbürgermeister Florian Janik krankt der Ausbau auch an "Nicklichkeiten". Etwa, dass bestimmte Betreuungsmodelle nur in Räumen der Grundschule stattfinden dürfen – selbst wenn nebenan im Gebäude einer anderen Schulart Zimmer frei wären, beklagt Janik. Das Kultusministerium verweist auf Nachfrage auf die Möglichkeit einer "Einzelfallprüfung".
Oberbürgermeister Janik aber findet, dass das Gesetz grundsätzlich "schlecht gemacht" ist: Denn umsetzen und gewährleisten müssten die Kommunen den Rechtsanspruch. Sie seien aber auf ganz unterschiedliche Träger, sowie auf die Schulen angewiesen. "Und das holt uns die ganze Zeit ein, weil wir als Kommune auf Teile des Systems gar keinen direkten Zugriff haben", so Janik.
Betreuung ja – aber mit welcher Qualität?
Im Länderranking rangiert der Freistaat beim Ganztagsausbau im hinteren Bereich. Das zeigen zahlreiche Studien, an denen Markus Sauerwein von der TU Dortmund mitgewirkt hat. Er erklärt, das liege auch an einem "eher konservativen Familienbild": Viele Familien hätten sich lange Zeit gar keine Vollzeitbetreuung für ihre Kinder gewünscht. Deshalb habe der Freistaat erst spät mit dem Ausbau begonnen.
Sauerweins grundsätzliche Sorge: Ob am Ende auch die Qualität der Betreuungsangebote stimmt. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Simone Fleischmann, ist skeptisch. Eigentlich ist sie ein Fan des schulischen Ganztagsangebots. Doch wegen des Lehrermangels seien Lehrerstunden gekürzt worden. Das habe den so "positiv evaluierten" Ganztags-Modellen geschadet. Und sie fragt: "Wenn wir gerade den Halbtag schon nicht schaffen, wie sollen wir den Ganztag schaffen?"
Familienministerin Scharf gibt Ganztagsversprechen
Bayerns Familienministerin Ulrike Scharf (CSU), die im Kabinett Söder den Ganztagsausbau federführend verantwortet, glaubt daran, dass Bayern den "Kraftakt" Ganztagsausbau schaffen wird. Bayern sei sich dieser "wirtschafts-, familien-, sozial- und integrationspolitischen Bedeutung" bewusst. Die Qualität habe für sie "oberste Priorität". Und Scharf weiter: "Mein Ganztagsversprechen gilt." Familie Schwarzer aus Nürnberg hilft das im Moment allerdings noch wenig.
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