Das Bündnis-Sahra-Wagenknecht ist mit zweistelligen Ergebnissen ein unbestrittener Sieger der Landtagwahlen in Sachsen (11,8 Prozent) und Thüringen (15,6 Prozent). Wahrscheinlich wird es an Regierungen beteiligt werden. Doch wie will die Pop-Up-Partei mit sehr wenig Personal das überhaupt stemmen?
Über das Bündnis-Sahra-Wagenknecht kursiere, erzählt Andreas Nowak, Leipziger CDU-Chef und langjähriger Landtagsabgeordneter, der am Sonntag erneut ein Direktmandat gewann, in der politischen Szene Sachsens ein ironisches Bonmot: "Die Hälfte der sächsischen BSW-Mitglieder steht auf der Landtagsliste." Und auf über der Hälfte der 20.000 BSW-Wahlplakaten in Thüringen war allein Sahra Wagenknecht abgebildet, die gar nicht kandidierte. Auch das zeigt, wie fixiert einerseits die Partei auf seine Bundesvorsitzende ist, und andererseits, wie wenige Köpfe sie zu bieten hat.
BSW konnte Stadtratssitze nicht besetzen
Bei seinem Gründungsparteitag im Mai zählte das BSW in Sachsen erst 65 Mitglieder. Bis heute sind es nicht mehr als hundert geworden, denn potenzielle Mitstreiter werden sehr intensiv geprüft, sodass ein Andrang bislang ausgeblieben ist. Bei der Kommunalwahl im Juni konnte das BSW im Chemnitzer Stadtrat einen ihr zustehenden Sitz gar nicht besetzen, ihr fehlte schlicht und einfach die Frau beziehungsweise der Mann dafür. Auf Landesebene könnte sich die Knappheit an politischem Personal noch deutlicher und folgenreicher auswirken.
Wer wäre beim BSW überhaupt ministrabel?
Käme im Freistaat Sachsen eine Koalition mit CDU und SPD zustande, dann dürfte das BSW auf jeden Fall zwei, wahrscheinlich sogar drei Ämter für Minister und ebenso viele für Staatssekretäre besetzten. Wer käme dafür in Frage? Professor Constantin Wurthmann von der Universität Erlangen beobachtet seit Januar Aufstieg und Ausrichtung der linkspopulistischen Pop-Up-Partei und resümiert, dass Sahra Wagenknecht sich bewusst nicht in die Karten schauen lasse: "Die Partei selbst gibt wenig Auskunft darüber, wer für sie in solche Positionen überhaupt gehen könnte."
Viele auf der Liste sind politische Neulinge
In Sachsen käme die Landesvorsitzende Sabine Zimmermann infrage, mit der Michael Kretschmer, der alte und neue CDU-Ministerpräsident Sondierungsgespräche führt. Die Gewerkschafterin und ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken sammelte Erfahrungen als arbeitsmarktpolitische Sprecherin ihrer früheren Partei und leitete 2012 bis 2013 den Ausschuss "Arbeit und Soziales". Das wäre möglicherweise dann ihr Ressort. Ronny Kupke auf Platz vier der BSW-Liste ist wie so viele der neuen Mandatsträger ein politisches Greenhorn. Allerdings war er als Vorsitzender des Personalrates bei der Krankenversicherung AOK plus Sachsen und Thüringen für 7.000 Mitarbeiter verantwortlich und brächte damit immerhin organisatorische Kompetenz mit.
Fachexperten als Ausdruck eines neuen Politikstils
Der Politologe Wurthmann vermutet, dass das Personalproblem mit einem klugen Schachzug gelöst würde. "Das BSW könnte auch als Form eines neuen Politikstils auf Seiteneinsteiger zurückgreifen, die bisher nicht parteipolitisch aktiv sind, also reine Fachexperten." Diese Vorgehensweise hätte für Wagenknecht den zusätzlichen Charme, dass sie trotz eines Eingebundensein des BSW in Koalitionen ihren Nimbus bis zur Bundestagswahl frisch halten könnte. Kaum vermeidbare Fehlentscheidungen oder Krisen würden an ihr abperlen, wenn dahinter externe Personen mit Renommee aus der Wirtschaft oder dem Sozialbereich stehen statt BSW-Politikern.
Katja Wolf fehlt es gegenüber Wagenknecht nicht an Selbstbewusstsein
Diese Linie würde auch zu Katja Wolf passen, der Spitzenkandidatin des BSW Thüringen. Sie war noch bis zum 30. Juni Oberbürgermeisterin und hatte sich in dem Amt einen Namen als Macherin und ausgesprochene Pragmatikerin gemacht. Für den Fall, dass es zu einem, wie sie am Tag nach der Wahl vorschlug "unkonventionellen neuen Modell" in Thüringen käme, nämlich einer von der Linken tolerierten Koalition von CDU und BSW würde Wolf mit Sicherheit nicht nur Ministerin, sondern auch stellvertretende Ministerpräsidentin werden.
Wolf ist auch die einzige BSW-Politikerin, die es wagt, der omnipotenten Bundeschefin Wagenknecht Paroli zu bieten. Öffentlich kritisierte sie bereits, dass Wagenknecht nicht im Bundestags anwesend war, als der ukrainische Präsident Selenskyj am 11. Juni eine Rede im Bundestag gehalten hatte. Sie selbst wäre dagewesen, betonte Wolf. Bei allem Erfolg wird gerade das Thema Personal dem BSW und seiner Gründerin noch Kopfzerbrechen bereiten.
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