Das Hochwasser Anfang Juni sprengte für viele Betroffene an der Günz und an der Mindel die Grenzen des Vorstellbaren. Teile von Orten wie Dirlewang, Günz oder allen voran Babenhausen versanken buchstäblich in den Fluten. Die Marke eines hundertjährlichen Hochwassers – also eines Hochwassers, wie es statistisch gesehen einmal in 100 Jahren auftritt – wurde dabei mehrfach gerissen.
Geplante Rückhaltebecken sollen auf den Prüfstand
In Dirlewang an der Mindel musste zur Entlastung Wasser aus dem bereits vollen Rückhaltebecken abgelassen werden, der Ort wurde massiv überschwemmt und evakuiert. In Babenhausen an der Günz kam nach Angaben des zuständigen Wasserwirtschaftsamts Kempten sogar rund doppelt so viel Wasser an, wie bei einem hundertjährlichen Hochwasser. Der Bürgermeister Otto Göppel (CSU) fordert jetzt, die Planung für zwei neue Rückhaltebecken südlich von Babenhausen bei Westerheim an der Westlichen Günz und bei Frechenrieden an der Östlichen Günz noch einmal auf den Prüfstand zu stellen: "Man muss das Ganze nochmal überrechnen, ob diese Becken dann tatsächlich ausreichend sind für den Schutz von Babenhausen."
"Hundertjährliches Hochwasser" ist der Maßstab
Im Moment sind die beiden geplanten Rückhaltebecken laut Wasserwirtschaftsamt nach dem Maßstab eines hundertjährlichen Hochwassers geplant. Dazu kommen 15 Prozent mehr Fassungsvermögen als sogenannter Klimazuschlag, der in Bayern im Jahr 2004 für neu zu planende Hochwasserschutz-Bauwerke eingeführt wurde. Das könnte mit Blick auf zukünftige extreme Hochwasser aber nicht mehr ausreichen, so die Sorge des Bürgermeisters.
Das Wasserwirtschaftsamt Kempten will nun den statistischen Wert für ein hundertjährliches Hochwasser in der Region noch einmal überprüfen, sagte Behördenleiter Karl Schindele dem BR. Dann könnten sich auch die Planungen für Westerheim und Frechenrieden gegebenenfalls noch einmal ändern.
"Irgendwo muss die Grenze sein"
Schindele stellt aber auch klar, dass an dem Standard eines hundertjährlichen Hochwassers als Maßstab nicht gerüttelt werden könne, die Becken könnten nicht unendlich immer größer gebaut werden: "Irgendwo muss die Grenze sein, wie weit man ausbaut." Wenn "noch mehr kommt", müssten laut Schindele letztlich auch Versicherungen greifen und die Schäden ausgleichen. Auch aus dem bayerischen Umweltministerium heißt es, die Folgen "der aktuellen Flutkatastrophe machen noch einmal deutlich, dass die Einführung einer bundesweiten Elementarschadenversicherung überfällig ist".
Bemessungsgrundlage "keine konstante Größe mehr"
Einig sind sich alle Seiten in dem Punkt, dass der statistische Wert für ein hundertjährliches Hochwasser, in der Fachsprache HQ100 genannt, nicht auf ewig in Stein gemeißelt ist. "Die Grundlagen für den Klimaänderungsfaktor und die Bemessungsabflüsse von Speichern und Rückhaltebecken werden durch weitere Untersuchungen fortlaufend überprüft und weiterentwickelt", erklärt dazu das Umweltministerium. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wird deutlicher: "HQ100 zur Bemessung von Hochwasserrückhaltebecken stellt keine konstante Größe mehr dar", erklärt eine Sprecherin.
"Willkürlicher" Klimazuschlag?
Der Klimazuschlag von 15 Prozent sei zudem "willkürlich" gewählt, habe "keine fundierte Grundlage" und sei "gegebenenfalls nicht ausreichend". Das alles gelte "mit Blick auf die Unsicherheit bei der wissenschaftlichen Klimaprojektion in Verbindung mit dem noch andauernden Klimawandel sowie dessen noch nicht abschließend bewertbaren Folgen". Freilich lasse sich eine größere Dimensionierung vor allem bei zukünftig zu bauenden Rückhaltebecken umsetzen.
Verband fordert Baustopp in Überschwemmungsgebieten
Dennoch lehnt der Versicherungsverband eine Elementarschaden-Pflichtversicherung, wie sie weite Teile der Politik aktuell fordern, ab. Die Bürger sollen demnach selbst entscheiden, ob sie einen solchen Versicherungsschutz "zu risikoadäquaten Prämien" wollten. Außerdem fordert der Verband einen Baustopp in Überschwemmungsgebieten: "Wir bauen in Deutschland nach wie vor so, als ob es keinen Klimawandel gäbe."
"Freistaat Bayern als Zuschussgeber gefragt"
In Babenhausen, wo die Günz mitten durch den Ort hindurchfließt, lässt sich das nicht mehr ändern. Bürgermeister Göppel hofft daher auf jeden Hochwasserschutz, den seine Gemeinde bekommen kann – so schnell wie möglich. Ein Hochwasserrückhaltebecken bei Frechenrieden an der Schwelk, einem Zufluss der westlichen Günz, befindet sich bereits im Bau und soll im kommenden Jahr fertig werden. Die Fertigstellung der beiden Becken bei Westerheim und Frechenrieden sieht der Zeitplan des Wasserwirtschaftsamts Kempten bis zum Jahr 2030 vor. "Das ist eine Sache, die man beschleunigen sollte", sagt Göppel, da sei "auch der Freistaat Bayern als großer Zuschussgeber gefragt".
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