Auf zwei Tafeln an einem Geräteschuppen hat Michael Lukacz die Hochwasserstände eingezeichnet. Im Mai 2013 stand das Wasser fast kniehoch an der Stelle in seinem Hof. Ein Jahrhunderthochwasser, dachte Lukacz. Doch am 9. Juli 2021 war das unterfränkische Schwarzach am Main schon wieder geflutet. Dieses Mal stand das Wasser bis zur Hüfte. "Wir sind in der glücklichen Lage, dass es keine Toten gegeben hat", sagt er. Doch mehr als zweieinhalb Jahre nach dem erneuten Hochwasser, sind nur einzelne Schutzmaßnahmen im Ort umgesetzt worden. Anwohner wie Michael Lukacz können das nicht verstehen.
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Anwohner: Maßnahmen brauchen zu lang
Denn in Schwarzach und den umliegenden Gemeinden gibt es bereits ein erstes Konzept, um Schäden wie 2013 und 2021 zu verhindern. Weitere Konzepte sind in Arbeit. Das Ziel: Das Wasser in der Fläche halten. Breitwasser statt Hochwasser. Doch aus Sicht der Anwohner, die sich in einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen haben, läuft alles viel zu schleppend. Auch zu unkoordiniert. Zu viele Stellen seien beteiligt, die unabhängig voneinander Maßnahmen erarbeiten. Die Kommunikation sei dürftig. "Wir haben das Gefühl, dass hier nicht viel passiert", sagt Werner Hillger von der Bürgerinitiative. "Das nächste Hochwasser wird wieder kommen."
180 Quadratkilometer "entwässern" in Schwarzach
Bei einem Besuch bei Bürgermeister Volker Schmitt (Freie Christliche Wählergemeinschaft) im Schwarzacher Rathaus wird deutlich: Die Lage ist komplizierter, als sie auf den ersten Blick wirkt. Verschiedene Behörden sind beteiligt, Ausschreibungen brauchen Zeit, manche Maßnahmen werden nicht gefördert – und auch die besondere Lage des Ortes spielt eine Rolle. Denn bei dem Hochwasser 2021 war in Schwarzach nicht der Main das Problem – sondern die kleinen Bäche, die aus Richtung des Steigerwalds kommen und am Ortsrand in den Main münden.
Auf einem Besprechungstisch hat Volker Schmitt eine Karte ausgebreitet. Darauf zu sehen: Die vielen Bäche, die aus anderen Gemeinden nach Schwarzach führen – ein Einzugsgebiet von 180 Quadratkilometern. "Das sammelt sich dann alles bei uns", sagt Schmitt.
Klamme Kommunen, behördliche Zuständigkeiten
Das bedeutet für Schwarzach: Der Ort muss sich mit den umliegenden Gemeinden abstimmen. Für einige der Bäche gibt es schon ein gemeindeübergreifendes Konzept zum Hochwasserschutz. Doch davon wurde bislang nur wenig umgesetzt, vor allem aus finanziellen Gründen, sagt Volker Schmitt: "Weil viele Kommunen momentan in Engpässen sind und den Hochwasserschutz leider etwas vernachlässigen."
Was Schmitt zu einem weiteren Punkt führt: Für das bereits bestehende Konzept haben die Gemeinden nur Gewässer "dritter Ordnung" beachtet. Gemeint sind damit kleine Bachläufe. Für diese sind die Gemeinden zuständig. Bereits etwas größere Flussläufe können jedoch als Gewässer "zweiter Ordnung" gelten, dann ist der Freistaat zuständig – in Form der Wasserwirtschaftsämter. In Schwarzach am Main betrifft das zum Beispiel den gleichnamigen Fluss "Schwarzach". Anders als bei den anderen Bächen ist die Gemeinde hier auf Unterstützung des Wasserwirtschaftsamtes angewiesen.
Ingenieurbüro entstellt nun weiteres Konzept
Im zuständigen Wasserwirtschaftsamt in Aschaffenburg ist die Problematik bekannt. Nach dem Hochwasser 2021 hat der ehemalige Leiter der Behörde den Hochwasserschutz in Schwarzach priorisiert. Anfang 2023 haben Wasserwirtschaftsamt und Gemeinde bei einem Ingenieurbüro eine Studie in Auftrag gegeben. Für das neue Konzept sollen alle Flüsse beobachten werden, die durch Schwarzach fließen – also auch die "Schwarzach" und der Main.
Die Anwohner in der Bürgerinitiative finden das grundlegend gut. Trotzdem mangelt es ihnen an Verständnis: Warum war es nicht schon früher möglich, auch die Gewässer erster und zweiter Ordnung zu analysieren? Warum brauchen die Planungen so lange? Warum gibt es für die benachbarten Gemeinden Wiesentheid und Prichsenstadt eigene Planungen mit anderen Ingenieurbüros, wenn doch deren Gewässer in Richtung Schwarzach fließen?
Wasserwirtschaftsamt: erste Planungen sollen bald vorliegen
Auf Anfrage von BR24 antwortet Jane Korck, Leiterin des Wasserwirtschaftsamtes Aschaffenburg, ausführlich. Bereits Mitte April sollen die Planungen für den Fluss "Schwarzach" und den Main vorliegen. Sie sollen dann der Behörde und der Gemeinde vorgestellt werden. Zwar habe es an der Behörde eine außerplanmäßige Abwesenheit eines Teammitglieds gegeben, genauso Zeitverluste durch kurzfristige Mitarbeiterwechsel beim Ingenieurbüro. Mit dem Stand der Planungen sei das Wasserwirtschaftsamt dennoch zufrieden: "Alle Beteiligten haben große Anstrengungen auf sich genommen, diese unvorhersehbaren Rückschläge bestmöglich zu kompensieren."
Die unterschiedlichen Zuständigkeiten für Gewässer erster, zweiter und dritter Ordnung hätten sich grundsätzlich bewährt. Die Vergabe der Aufträge an verschiedene Ingenieurbüros sei in einem aufwendigen Verfahren erfolgt. "Diese Art des Herangehens ist üblich und mit großer Wahrscheinlichkeit der zeitlich kürzeste Weg zu einer konkreten Umsetzung der Maßnahmen", heißt es aus der Behörde.
Anwohner: Planungen müssen auch umgesetzt werden
Bürgermeister Volker Schmitt bestätigt: "Wir sind jetzt von den Kommunen, die es betrifft, die erste Kommune, wo ein Auftrag vergeben worden ist." Er sei dem Wasserwirtschaftsamt dankbar, dass die Auftragsvergabe "relativ schnell" ging. Zumal auch das Wasserwirtschaftsamt mit der Personalsituation und dem Fachkräftemangel kämpft, zuletzt mehrere offene Stellen hatte. Das habe jedoch bei den Planungen in Schwarzach nur eine sehr geringe Rolle gespielt, heißt es vom Wasserwirtschaftsamt.
Die Mitglieder der Bürgerinitiative stellt das nicht zufrieden. Zu viel Zeit sei bereits ins Land gegangen, finden sie. Sie befürchten: Bis nach den Planungen erste Maßnahmen, wie zum Beispiel Rückhaltebecken, umgesetzt sind, könnten Jahren vergehen.
Anwohner wie Michael Lukacz versuchen sich unterdessen selbst zu helfen. 25.000 Euro Schaden hatte er im Juli 2021. Elementarversicherungen wollten sein Haus nicht aufnehmen. Mit Holzplatten, Styropor und Kompribändern hat er nun Vorrichtungen gebaut, um seine Kellerfenster abzudichten. In einem Regal stehen Pumpen, Schläuche, Lampen. "Uns ist schon bewusst, dass wir nah am Wasser leben", sagt Lukacz. Viel mehr könne er nicht machen. Jetzt müssten andere tätig werden.
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