Stephan Ruhland kann sich noch gut an den Sommer 2002 erinnern. Der Zimmerer lebt in Mitterdorf, einem Ortsteil von Roding. Hier, direkt am Regenufer, hat er ein Haus und eine Werkhalle gebaut. Zehn Jahre nach der Fertigstellung der Gebäude kam die Flut. Innerhalb weniger Stunden stand der Keller seines Wohnhauses samt Einliegerwohnung unter Wasser. Die Bilder hat er bis heute nicht vergessen. "Die Einliegerwohnung war total kaputt. Die Türen, die Fußböden, das Zeug hat alles raus müssen", sagt Zimmerer Stephan Ruhland.
Kosten explodieren
Nach dem Hochwasser 2002 sollten Risikogebiete besser geschützt werden. Die bayerische Staatsregierung hatte damals ein 2,3 Milliarden Euro teures Hochwasserschutz-Programm aufgelegt. In den darauffolgenden Jahren hat sich auch in der Oberpfälzer Kleinstadt Roding einiges getan. 2015 bekam der Stadtkern einen aufwendigen Hochwasserschutz. Bis zu 3,5 Meter hohe Betonschutzwände, Hochleistungspumpen im Erdboden und ein Schutzdeich sollten vor der schlammigen Flut schützen.
Mitterdorf, auf der gegenüberliegenden Flussseite, sollte nun folgen. Dort wären 50 Wohnhäuser und zehn Unternehmen bei Überschwemmungen direkt betroffen. Doch mit dem geplanten Hochwasserschutz wird es erst einmal nichts. Das zuständige Wasserwirtschaftsamt Regensburg hat das Projekt mit sofortiger Wirkung auf Eis gelegt. Die Gründe für den sofortigen Stopp sind schnell erklärt. Dem Wasserwirtschaftsamt geht das Geld aus, auch weil die Baukosten des Projekts aus dem Ruder laufen.
Geldtöpfe können nicht aufgestockt werden
Josef Feuchtgruber war bis Ende Januar Behördenleiter des Wasserwirtschaftsamtes in Regensburg. Noch im Amt erklärte er Anfang des Jahres die Entscheidung mit der momentanen Lage.
"Aufgrund der aktuellen Umstände - Corona-Krise, Ukraine-Krieg, eminente Preissteigerungen, Migrationsproblematik – sind die Staatshaushalte einfach so belastet, dass jetzt die Gelder, die wir bräuchten, nicht vorliegen", so Feuchtgruber. Die bisher zugesagten Gelder stünden zwar weiterhin zur Verfügung. Doch sie würden aktuell nicht aufgestockt. Das sei das Problem.
"Haben das ja nicht zur Gaudi geplant"
Die Rodinger Bürgermeisterin Alexandra Riedl (FW) ist von der Entscheidung des Wasserwirtschaftsamtes nicht begeistert:
"Es kann kein Vorgehen sein, dass für eine Maßnahme, die über zehn Jahre geplant ist, und wir schon eine Brücke und ein Stück Hochwasserschutz gebaut haben, jetzt plötzlich kein Geld mehr da ist und nicht mehr weitergeplant werden kann. Wir haben das ja nicht zwecks der Gaudi gemacht, sondern im Verlass darauf, dass der Hochwasserschutz zugesagt wurde." Alexandra Riedl, Bürgermeistern von Roding
Die finanzielle Lage habe sich in den vergangenen Monaten immer weiter zugespitzt, heißt es aus dem Wasserwirtschaftsamt Regensburg. Deshalb müssten Projekte aufgeschoben, gestreckt oder vorübergehend gestoppt werden. "Wir haben sogar Projekte, die, obwohl schon mit dem Bau begonnen worden ist, jetzt stagnieren und pausieren müssen – also wirklich kritische Verhältnisse", so Josef Feuchtgruber im Januar, kurz vor seinem Ruhestand.
Wasserwirtschaftsamt: Zehn bis zwanzig Millionen Euro fehlen
Ein Beispiel ist der Hochwasserschutz in Sallern bei Regensburg: Dort gibt es momentan einen vorübergehenden Baustopp. Für das Wasserwirtschaftsamt hat diese Maßnahme aber höchste Priorität, weshalb die Ausschreibungen für den nächsten Abschnitt weiterlaufen.
Aufgrund der Geldprobleme rechnet das Wasserwirtschaftsamt damit, dass sich die Fertigstellung des Hochwasserschutzes dort um ein Jahr verzögern wird – bis Ende 2025. Um alle geplanten Projekte umzusetzen, bräuchte das Wasserwirtschaftsamt Regensburg zusätzlich zwischen zehn und zwanzig Millionen Euro. Die sind jedoch nicht in Sicht.
Lage in anderen bayerischen Regionen
In Niederbayern sieht es ein wenig anders aus. Da steckt in vielen Hochwasserschutzprojekten auch Geld vom Bund und der EU, also finanzielle Mittel aus anderen Geldtöpfen. Ein Beispiel dafür sind die Flutpolder bei Straubing. Bei anderen Projekten des Freistaats rechnet man dagegen ebenfalls mit Einschränkungen, bestätigt ein Sprecher des Wasserwirtschaftsamts in Landshut auf Nachfrage.
Priorisierung der Maßnahmen
Hochwasserschutz ist ein emotionales Thema. Die Extremwetterlagen nehmen zu und die Zeit drängt, das weiß auch die bayerische Staatsregierung. Deshalb gibt sie bis zum Jahr 2030 jährlich dafür gut 200 Millionen Euro aus. Der zuständige Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern sieht aber keinen weiteren finanziellen Spielraum mehr.
"Die Baupreissteigerungen führen dazu, dass am Ende weniger Projekte realisiert werden können. Das betrifft natürlich ganz Bayern. Am Ende des Tages ist es so, dass wir eine Priorisierungsliste haben. Es geht darum, die Menschen vor Hochwasser zu schützen, überall in Bayern. Es gibt aber auch ein Schadenspotenzial, das zu bewerten ist." Thorsten Glauber, Umweltminister
Teilweise könnten Projekte daher nur Stück für Stück realisiert werden, je nach finanzieller Lage, heißt es aus dem bayerischen Umweltministerium. Wie viele Maßnahmen es genau trifft, könne erst nach den Haushaltsverhandlungen der bayerischen Regierung im Frühjahr gesagt werden.
Zimmerer Stephan Ruhland wird trotz Hochwasserrisiko in Mitterdorf bleiben – auch weil er vor Ort viel investiert und sich einen Betrieb aufgebaut hat. Vor einigen Jahren hat er selbst eine Betonmauer in seinem Garten gebaut. Die Hochwasserschutzmaßnahmen gingen ihm zu langsam voran.
Ihm und allen anderen Betroffenen bleibt letztlich nur die Hoffnung, dass es in den nächsten Jahren kein Hochwasser gibt.
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