Das Geständnis kam für viele überraschend: Ein Theologe, der als falscher Impfarzt mehrere Hundert Menschen geimpft haben soll, hat vor dem Landgericht Traunstein die Vorwürfe der Anklage weitestgehend eingeräumt. Über seine Verteidigung ließ er zum Prozessauftakt am Donnerstag mitteilten, es sei richtig, dass er zwei falsche Doktortitel benutzt, eine Approbationsurkunde gefälscht und damit zu Unrecht Impfstoff verabreicht hat.
Hunderte Impfungen ohne Befähigung
Seine Anwältin Carolin Arnemann räumte im Namen von Stefan H. ohne große Umschweife ein, dass er ohne Befähigung die Anstellung als Arzt in den Impfzentren in Rosenheim und Karlsfeld bei München erschlichen hatte. Dort betreute der 50-Jährige dann nicht nur über 1.000 Corona-Impfungen, sondern verabreichte viele hundert Spritzen auch selbst.
Den Tatvorwurf der Körperverletzung weist die Verteidigung aber zurück. Die Begründung: Zum einen seien die Impfwilligen bereits vorher von Hausärzten und durch den obligatorischen Informations-Film aufgeklärt worden, und zum anderen sei es durchaus möglich, dass viele sich von Stefan H. auch impfen lassen hätten, wenn sie gewusst hätten, dass er ein Schwindler ist.
Verteidigung: Viele hätten sich auch wissentlich von einem Schwindler impfen lassen
Die überraschende Argumentation, viele hätten sich auch wissentlich von einem falschen Arzt impfen lassen, begründet H.s Verteidigerin Carolin Arnemann mit Fragebögen, die die Kripo Rosenheim im Rahmen der Ermittlungen an die Geimpften versendet hat. Darin wurde explizit abgefragt, ob die Betroffenen sich auch hätten impfen lassen, wenn sie gewusst hätten, dass der Beschuldigte kein Arzt ist. Das Ergebnis, zu dem ihr Büro bei der Auswertung gekommen ist: "Es gab 279 Personen, die hier explizit mit "Ja" geantwortet haben." Jetzt steht die Annahme im Raum, dass bei knapp 1.000 der angezeigten 1.700 Fälle demnach eine Einwilligung möglich wäre. Dazu kommt, dass sich bislang keiner der betroffenen Geimpften der Klage angeschlossen hat.
Auf der Suche nach Lebensinhalt und -unterhalt
Vor Gericht präsentierte sich der Angeklagte als ein Mann mit einer schweren Lebensgeschichte, mit vielen gescheiterten Anläufen, beruflich erfolgreich zu sein. Schon als Therapeut und Trauerbegleiter hatte er ohne Ausbildung versucht, eine Praxis aufzubauen - ohne Erfolg. Auch eine Scheidung und Geldsorgen führte die Verteidigung an, um die Schwere der Schuld zu mindern. Dazu gehört auch die Bitte um Vergebung bei allen, die durch ihn getäuscht wurden. Er habe niemandem schaden wollen, so die Verteidigerin. Es sei ihm darum gegangen, eine Beschäftigung zu haben und auch etwas zum Lebensunterhalt beizutragen, sagte Anwältin Arnemann. Er habe zudem gedacht, "er tut etwas Gutes" und bringe die Impfkampagne voran. In neun Monaten Untersuchungshaft sei ihm klar geworden, "dass das, was er gemacht hat, nicht geht".
Keine Schäden oder Komplikationen nach den Impfungen
Laut Anklage soll der 50-Jährige bei mehr als 306 Menschen ohne ärztliche Zulassung selbst die Spritze gesetzt und in 1.144 Fällen Injektionen von medizinischem Fachpersonal überwacht haben. Gesundheitliche Schäden oder Komplikationen bei den Geimpften gab es den Ermittlern zufolge nicht.
Einsatz in Impfzentren Karlsfeld und Rosenheim
Die Staatsanwaltschaft in Bayern wirft dem Mann im Einzelnen vor, vom 3. Februar bis 23. März 2021 im Impfzentrum Rosenheim sowie am 16. März 2021 im Impfzentrum Karlsfeld im Landkreis Dachau tätig gewesen zu sein. Außerdem war er laut Anklage bei mobilen Impfeinsätzen in Pflegeeinrichtungen im Einsatz. Er soll gut 20.000 Euro in Rechnung gestellt haben, laut Verteidigung bekam er aber am Ende kein Geld für seine Tätigkeit.
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