Zurück ins Jahr 1981: Damals übt die Bundeswehr in Süddeutschland. "Scharfe Klinge", heißt das Manöver. Beteiligt: fast 50.000 Soldaten. Die Truppe dreht einen Film darüber. Zu sehen ist, wie ein Soldat zum knall-orangenen Telefonhörer greift.
"Hier Verkehrsleitstelle 300 Ingolstadt", meldet sich der Mann, um dann eine "Lageänderung" mitzuteilen: Brücken über die Donau seien durch feindliche Luftangriffe zerstört worden. Züge müssten entladen werden, Panzer über Behelfsbrücken rollen. So wollen es die Manöverplaner damals.
Heute: Andere Distanzen
Der Film ist ein Zeitdokument, welches vor Augen führt, wie anders die logistischen Herausforderungen heute sind. Die Grenze des Nato-Gebiets verläuft längst nicht mehr durch Deutschland, das im Kalten Krieg zum Schlachtfeld geworden wäre. Damals waren die Wege kürzer, Aufmarsch- und Nachschubrouten weniger komplex – wenn auch ständiger Bedrohung aus der Luft ausgesetzt. "Vorneverteidigung" in klar benannten Räumen lautete das Credo dieser Zeit.
Heute müssten Truppen wohl viele Hundert Kilometer nord- oder ostwärts rollen. Ein Angriff Russlands auf ein baltisches Land: Das ist innerhalb der Nato längst zur offen ausgesprochenen Befürchtung geworden.
Bündnis übt erstmals wieder im großen Rahmen
Was das bedeuten könnte, wird Mitte Januar deutlich. Auf dem Bahnhof Bad Reichenhall machen sich Gebirgsjäger auf den Weg nach Nordnorwegen. Sie verladen Schneefahrzeuge auf die Bahn. Es ist der Auftakt zum Nato-Großmanöver "Steadtfast Defender". Allein aus Deutschland nehmen rund 12.000 Soldatinnen und Soldaten teil.
Im Bündnis will man unter anderem üben, Truppen zu verlegen. Das muss über große Distanzen klappen, auch wenn es hier lang vorbereitet wurde. Doch die Wirklichkeit schreibt am Manöverdrehbuch mit. Das schildert ein Logistikoffizier, der die Verladung leitet. Ursprünglich sei es geplant gewesen, im norwegischen Narvik zu entladen. Doch die Strecke sei wegen eines Zugunglücks nicht befahrbar. Die Einheiten müssten "im Landmarsch" von Schweden aus 280 Kilometer bis ans Ziel fahren, sagt der Offizier.
Drehscheibe Deutschland
Solche Herausforderungen sind real. Sie könnten auch im Bündnisfall auftreten. Auch dann müssten Züge und Fahrzeugkolonnen durch Deutschland rollen. Hierzulande käme Unterstützung aus den USA an. Militärs gilt die Bundesrepublik deshalb als Drehscheibe.
Sollte das Bündnis an seinen östlichen Grenzen angegriffen werden, dann müsste es schneller gehen als jetzt im Friedensbetrieb, mahnt Verteidigungspolitikexpertin Claudia Major. Denn die logistische Aufgabe wäre gewaltig: "Was so ein bisschen nach Logistik klingt, ist ein riesengroßes Unterfangen", sagt Major. Nur wenn die logistischen Fragen bewältigt werden, funktioniere auch die Verteidigung.
Verkehrsinfrastruktur: Militärische Nutzung aus dem Blick geraten
Das Manöver Steadfast Defender jedenfalls wurde nach rund vier Monaten Dauer von den Verantwortlichen als Erfolg verbucht.
Aktuelle Defizite, wie anfällige Transportrouten, alte Brücken, zu wenige spezielle Eisenbahnwaggons zum Panzertransport und ähnliches wurden benannt – dass die Probleme behoben werden, steht weit oben auf der Wunschliste der Militärs.
Konkrete Überlegungen gibt es bereits zu Transportkorridoren – etwa in Zusammenarbeit mit Polen für ein Musterprojekt – sowie zu Umschlagplätzen.
Die Berliner Denkfabrik "Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik" kommt in einer Analyse allerdings zu dem Schluss, die Bundesrepublik müsse Gas geben. Dringend in ihre Verkehrsinfrastruktur investieren. Eine etwaige militärische Nutzung sei in den vergangenen 30 Jahren zunehmend aus dem Blick geraten.
Munition in die eine, Verwundete in die andere Richtung
Dabei ist die Logistik in zwei Richtungen bedeutsam: Nicht nur, um Truppen und Nachschub wie Munition und Kraftstoffe in einen etwaigen Einsatzraum zu bringen, sondern auch, um etwa Verwundete zu transportieren. Für ihre Versorgung wäre Deutschland aufgrund seiner Lage ebenfalls von zentraler Bedeutung, skizziert Oberstarzt Kai Schmidt. Schmidt leitet das Lagezentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Koblenz. Er mahnt an, Deutschland brauche dringend wieder Fähigkeiten, um Verwundete in größerer Zahl zu transportieren. Einst habe es etwa Transportzüge für diesen Zweck gegeben.
Den Krieg in der Ukraine beobachtet der Oberstarzt genau. Von der Ukraine abschauen könne man sich, dass dort das gesamte Gesundheitssystem für die Versorgung Verwundeter aktiviert worden ist.
Große Tragweite
Im Bündnisfall käme also viel Verantwortung auf Deutschland zu. Wie man der gerecht werden kann – dazu gibt es Überlegungen, Pläne werden überarbeitet. Auch in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie bekennt sich Deutschland zu seiner Verantwortung.
Doch vielen Verantwortlichen in zivilen Behörden, Gesundheitseinrichtungen oder Wirtschaft sei die Tragweite eines Konflikts an der Nato-Ostflanke nicht bewusst, fürchten Bundeswehrkreise. Sie mahnen: Abschreckung zur Verhinderung eines Krieges könne nur dann glaubhaft sein, wenn auch diese Themen angegangen und Probleme gelöst werden.
Über dieses Thema berichtet die Sendung "Politik und Hintergrund" im sonntäglichen Radioprogramm von BR24. Den Politik und Hintergrund-Podcast finden Sie jede Woche in der ARD Audiothek.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!