"Erster Zug! Stillgestanden!" Am 25. Januar hallt ein Befehl über einen Gang in der Oberpfalzkaserne in Pfreimd. Es ist kurz vor fünf Uhr am Morgen. Hauptmann Yannick R. gibt seinen Männern letzte Anweisungen. An diesem Tag verladen sie ihre Leopard-Kampfpanzer auf einen Zug nach Rukla in Litauen.
Sechs Monate lang sollen sie gemeinsam mit rund 300 Kameradinnen und Kameraden des Panzerbataillons 104 aus Pfreimd in der Oberpfalz Teil eines multinationalen NATO-Gefechtsverbandes sein. Danach geht es wieder zurück in die Heimat. Ein anderer Verband wird dann die Rolle des Bataillons innerhalb der NATO-Mission EFP ("Enhanced Forward Presence") übernehmen. Deutschland führt diese seit 2017.
Dauerhafte Stationierung geplant
Während Hauptmann Yannick R. und seine Männer wissen, dass sich ihre Zeit in Litauen auf wenige Monate beschränkt, blickt Oberst André Hastenrath einem längeren Aufenthalt an der östlichen Grenze des NATO-Bündnisgebietes entgegen:
Hastenrath steht an der Spitze eines Vorkommandos. Es soll erste Pflöcke für die dauerhafte Stationierung von etwa 4.800 deutschen Soldaten in Litauen einschlagen. Dazu kommen nochmals rund 200 Zivilangestellte. Bis Ende 2027 soll die Brigade einsatzbereit sein. Von ihr soll ein Signal der Abschreckung ausgehen. Für die Bundeswehr ist eine derartige Auslandsstationierung Neuland.
Oberst: Sinnvolles Projekt
In einem modernen Bürohaus in der litauischen Hauptstadt Vilnius werden Oberst Hastenrath und sein Team mit der Planungsarbeit beginnen. Draußen parken Militärlastwagen mit deutschen Kennzeichen. Drinnen herrscht Anfang April noch Umzugsatmosphäre: An den Wänden stehen Alukisten und olivgrüne Taschen mit dem Gepäck der Soldaten. Auf den Tischen: Pappkartons neben Laptops. Hastenraths Männer sind erst wenige Tage zuvor angekommen. Jetzt stellen sie "Führungs- und Arbeitsbereitschaft" her, mitten in einem sonst zivil genutzten Gebäude.
Anders als wohl jede deutsche Kaserne hat es eine Dachterrasse. Unten dröhnt der Verkehr. Von oben schweift der Blick über Vilnius. Moderne Bürokomplexe mit Glasfassaden auf der einen, die Altstadt auf der anderen Seite. An einigen öffentlichen Gebäuden wehen nicht nur die Fahnen Litauens und der Europäischen Union, sondern auch die der NATO. Hier zu sein, als deutscher Stabsoffizier, das hat für André Hastenrath "Sinn". Er sei Soldat geworden, um Frieden und Freiheit zu schützen, schildert er im Kontrovers-Interview mit Blick über Vilnius. Das könne er hier, an der NATO-Ostflanke, tun.
Belarussische Grenze ist nah
Tatsächlich ist er nah dran an den Grenzen des Bündnisgebietes: Etwa 160 Kilometer westlich der litauischen Hauptstadt liegt Russlands Exklave Kaliningrad. Bis zur belarussischen Grenze sind es nur etwas mehr als 30 Kilometer. Die belarussische Regierung ist Putin treu. Viele Litauer fürchten deshalb, dass von dort ein Angriff drohen könnte.
Ebenfalls etwa 30 Kilometer entfernt von der Grenze nach Belarus liegt das litauische Dorf Rudninkai. Rund 500 Menschen leben in dem Ort. Es gibt eine Kirche, zwei kleine Lebensmittelgeschäfte. Die Straßen sind nur teilweise befestigt. Lastwagen wirbeln Staub auf. Auf dem örtlichen Truppenübungsplatz wird gebaut. Zufahrtswege werden asphaltiert. Rudninkai soll einmal der Hauptstationierungsort der deutschen Brigade werden.
Ein Teil der Brigade wird aber weiterhin den Standort Rukla nutzen, der aktuell die Truppen der NATO-Mission EFP beheimatet. Das Panzerbataillon aus Pfreimd etwa. In Rukla sollen multinationale Kontingente auch weiterhin rotieren und zusätzlich Teil der Brigade sein. Das Verlegen größerer Verbände wird damit ständig weiter geübt – in Hastenraths Augen ist das ein Vorteil.
Brigade-Aufbau: Ambitioniertes Projekt
Aus Deutschland sollen zwei komplette Bataillone nach Litauen umziehen. Eines davon ist das Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach im Bayerischen Wald. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) setzt dabei zunächst auf Freiwillige. Befohlen werden soll der Dienst in Litauen nur dann, wenn sich nicht genügend melden, um die Brigade bis Ende 2027 einsatzbereit zu bekommen.
Dem Vernehmen nach schieben bislang noch viele Soldatinnen und Soldaten eine Entscheidung hinaus, bis die Rahmenbedingungen klar sind – bis etwa die Besoldung und die Bedingungen für den Umzug ganzer Familien feststehen. Bislang herrscht in der Ampelkoalition Uneinigkeit im Hinblick auf die Finanzierung.
Die Bundeswehr selbst muss für den Aufbau des Großverbandes priorisieren – also Material und Munition hin zur Litauen-Brigade verlagern.
Für etliche Beobachter ist die Litauen-Brigade deshalb ein Gradmesser: Eine Anzeige, auf der sich ablesen lässt, ob es klappt mit der militärischen Zeitenwende, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kurz nach der großangelegten russischen Invasion in der Ukraine ausgerufen hatte.
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