Ein seriennaher Prototyp, ein sogenannter Demonstrator, des E-Res-Copters wird in Taufkirchen bei München vorgestellt.
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Mit Tragflächen und acht Rotorblättern vereint der E-Res-Copter Eigenschaften von Flugzeug und Helikopter

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In Bayern bald Realität? Per Rettungsdrohne in die Notaufnahme

Startet senkrecht, fliegt elektrisch und sieht aus wie eine Drohne: Der E-Res-Copter soll ab nächstem Jahr in der Region um Memmingen den Testbetrieb für Patiententransporte aufnehmen. Fernziel sind autonome Flüge ohne Piloten.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Weltweit arbeiten Tausende Ingenieure am Traum vom elektrischen Fliegen. In Bayern sticht ein Projekt heraus: der E-Res-Copter, ein fliegender Krankenwagen vom Hersteller ERC System. Der E-Res-Copter startet senkrecht, fliegt elektrisch und sieht aus wie eine Drohne mit acht Rotoren. Am Firmensitz in Taufkirchen bei München bereiten sie das Fluggerät für die erste öffentliche Präsentation vor. Es ist ein sogenannter Demonstrator, also ein seriennaher Prototyp. Dieser ist zwar noch nie abgehoben. Trotzdem wird hier vielleicht gerade Luftfahrtgeschichte geschrieben.

Protoyp des E-Res-Copter soll erstmals abheben

"Wir stecken jetzt gerade den linken Außenflügel ans Flugzeug", sagt Chefingenieur Christopher Schropp. Es ist das erste Mal, dass sie das machen, da hakelt es noch an der ein oder anderen Stelle. "Und da versuchen wir gerade herauszufinden, woran es hängt", sagt Schropp. Der Flügel wiegt nur 60 Kilo, da geht Handarbeit am schnellsten. Die Verankerung bekommt bei der Montage den Feinschliff.

Per Rettungsdrohne in die Notaufnahme? Erste Testflüge für den Patiententransport mit einem elektrischen Senkrechtstarter sollen bald beginnen. BR-Reporter sind schon in den "E-Res-Copter" eingestiegen, werfen einen Blick auf den aufstrebenden Markt solcher Fluggeräte und besuchen die Modellregion Memmingen-Unterallgäu, wo der fliegende Krankenwagen bald abheben soll. Zu sehen im folgenden "BR24 vor Ort"-Video:

Ein seriennaher Prototyp, ein sogenannter Demonstrator, des E-Res-Copters wird in Taufkirchen bei München vorgestellt.
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Mit Tragflächen und acht Rotorblättern vereint der E-Res-Copter Eigenschaften von Flugzeug und Helikopter.

"Der Straßentransport ist ineffizient und ausgelastet"

Die 80 Mitarbeiter des Start-ups wollen mit ihrem elektrischen Senkrechtstarter Krankentransporte revolutionieren. "Der Straßentransport ist ineffizient und ausgelastet, der Lufttransport ist zu teuer", sagt Geschäftsführer David Löbl. Anders als bei anderen, oft als Spaß für Reiche geschmähten Flugtaxi-Projekten, haben hier von Anfang an Experten aus dem Medizinwesen und dem Rettungsflug an der Entwicklung mitgearbeitet. Nach vier Jahren steht nun ein fliegender Krankenwagen zur Präsentation bereit.

"Wir haben uns genau überlegt, was sind die Einsatzszenarien, um genau sicherzustellen, dass wir das richtige Vehikel für die richtige Anwendung bauen", sagt Löbl. Der fliegende Krankenwagen ist schon für ein konkretes Projekt eingeplant. In der Region um Memmingen soll der fliegende Rettungswagen in den nächsten fünf Jahren zu zahlreichen Testflügen abheben. Im vergleichsweise dünn besiedelten, ländlich geprägten Unterallgäu gibt es genau die Probleme, die der E-Res-Copter lösen soll. Zum Beispiel: Unfallopfer schnell genug versorgen und in eine Klinik transportieren.

Unfallpatienten innerhalb einer Stunde klinisch versorgen

Maßstab sei die "goldene Stunde", sagt Dr. Rupert Grashey, Leiter der Notfallmedizin am Klinikum Memmingen. "Innerhalb einer Stunde nach Unfallereignis sollte die klinische Versorgung von Schwerstverletzten beginnen", davor stehe die Erstversorgung am Unfallort. Eine Stunde höre sich zwar lang an, so der Notfallmediziner, sei aber "in Summe eine relativ sportliche Zeit".

Ein Beispiel: Passiere etwa bei Kettershausen im nördlichen Landkreis Unterallgäu ein Unfall, brauche der Rettungswagen aus der nächstgelegenen Rettungswache in Babenhausen nach der Alarmierung etwa zehn Minuten bis zum Unfallort. Mit einer angenommenen Zeit für die Erstversorgung vor Ort von etwa einer halben Stunde und weiteren 45 Minuten Transport, könne es dann an die eineinhalb Stunden dauern, bis ein Schwerverletzter im Klinikum Memmingen ankomme. Der E-Res-Copter könne da – je nachdem, von wo aus dieser beziehungsweise alternativ der Rettungswagen anfahre – um den Faktor drei bis vier schneller sein. Da ist "Zeit ein elementarer Faktor für das Überleben oder das Überleben ohne Folgeschäden", sagt Grashey.

Patientenverlegungen zwischen Kliniken nehmen zu

Die schnelle Versorgung von Unfallopfern ist aber nur ein Einsatz-Szenario für den E-Res-Copter. Ein weiteres dürfte in Zukunft immer wichtiger und häufiger werden: sogenannte Sekundärtransporte von einem Krankenhaus ins nächste. Auch im Allgäu haben in den vergangenen Jahren Häuser geschlossen: Marktoberdorf, Leutkirch, jüngst wurde das Aus für die Rotkreuzklinik in Lindenberg besiegelt. In Oberstdorf sorgt man sich um den Erhalt der Klinik in der jetzigen Form. Die Krankenhauslandschaft zentralisiert sich mehr und mehr, zusätzlich spezialisieren sich die Häuser, sei es auf Kardiologie, Orthopädie oder HNO. Experten wie Professor Peter Biberthaler, Leiter der Unfallchirurgie am Klinikum rechts der Isar der TU München, sind sicher: "Deswegen werden wir in Zukunft kritisch Kranke oder verletzte Patienten von einer Klinik in die andere transportieren müssen."

E-Res-Copter "ein weiterer Pfeil im Köcher"

Deshalb werde jede verfügbare Transportmöglichkeit in Zukunft gebraucht, sagt Notfallmediziner Rupert Grashey. Der E-Res-Copter sei dabei "ein weiterer Pfeil im Köcher" neben Rettungshubschrauber und Rettungswagen. Letzterer habe also nicht ausgedient, sondern an der einen oder anderen Stelle auch gewichtige Vorteile. "Das fängt an beim Patientenvolumen", hier könne es beim E-Res-Copter – aber auch beim Rettungshubschrauber – mitunter "ein Gewichtsproblem" geben. Dieses lasse sich im räumlich größeren Rettungswagen "deutlich besser handeln". Auch könne man mehr Personal mitnehmen, etwa bei Transporten von intubierten Patienten zusätzlich einen Intensivmediziner. Es gebe einige Szenarien, da mache es "absolut Sinn, zu fahren, und nicht zu fliegen", so Grashey.

Das elektrische Fliegen ist auch eine große Geschäftsidee

Doch die Forschung und Entwicklung an eVTOLs (electric Vertical Take-off and Landing Aircraft), so der Fachbegriff für elektrisch angetriebene, senkrecht startende und landende Fluggeräte, die landläufig meist als Flugtaxi bezeichnet werden, nimmt gerade richtig Fahrt auf, nicht nur bei ERC in Taufkirchen. Denn das elektrische Fliegen ist auch eine große Geschäftsidee. Weltweit entwickeln Dutzende Unternehmen eVTOLs. Im Wettrennen dabei: Hubschrauber-Hersteller Airbus mit seinem Werk in Donauwörth. Vor drei Jahren gab es auf dem Flugplatz in Manching bei Ingolstadt erste Testflüge. Der Demonstrator, in etwa so groß wie ein Hubschrauber, hatte da noch keine Flügel und sah einer Drohne sehr ähnlich.

"Airbus kein relevanter Marktteilnehmer"

Anfang des Jahres hat Airbus dann in seinem Werk in Donauwörth einen neuen Prototyp präsentiert, diesmal mit Flügeln. Experten halten Airbus dennoch nicht für den heißesten Kandidaten im Wettrennen um die ersten Flugtaxis: "Airbus ist in diesem Wettlauf eigentlich kein relevanter und international groß auffallender Marktteilnehmer", so die Einschätzung von Florian Holzapfel. Er ist Professor für Flugsystemdynamik an der Technischen Universität München. So sei Konkurrent AutoFlight, der auch eine Niederlassung in Augsburg betreibt, Ende Februar mit seinem Modell bereits zwischen Hongkong und Macau geflogen. Flugdauer: 20 Minuten – für eine Strecke, für die man mit dem Auto drei Stunden benötigen würde. Den Grund, warum andere weiter seien als Airbus, sieht der Professor in den seiner Meinung nach starren Strukturen des Großkonzerns. Start-ups seien da oft flexibler und könnten die Entwicklung schneller vorantreiben, sagt Holzapfel.

Dubai plant erste vier feste Flugtaxi-Haltestellen

Airbus-Konkurrent Volocopter aus Baden-Württemberg will zum Beispiel noch in diesem Jahr die offizielle Zulassung fürs Fliegen in Europa bekommen. Und die US-Firma Jobi Aviation hat mit den Vereinigten Arabischen Emiraten einen Vertrag geschlossen. Schon 2026 sollen Flugtaxis in Dubai unterwegs sein. Der Plan: Passagiere zwischen vier festen Start- und Landeplätzen befördern, zum Beispiel vom Flughafen ins Stadtzentrum. Am Ende wird es wahrscheinlich nicht den einen Sieger im Wettlauf um das erste Flugtaxi geben – sondern je nach Einsatzmöglichkeit mehrere.

Weniger medizinische Geräte als beim Rettungshubschrauber

Damit zurück zum fliegenden Krankenwagen. Nach den Vorstellungen von Hersteller ERC soll dieser den weltweiten Technologie-Wettlauf in seiner Kategorie gewinnen. Schließlich ist der Senkrechtstarter ein Spezialfall: kein elektrischer Flieger für Reiche, sondern von Anfang an für den Krankentransport entwickelt. Bei der ersten öffentlichen Präsentation des Prototyps in Taufkirchen ist die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) dabei. Und Unfallchirurg Biberthaler. Beim ersten Blick ins Innere fällt auf: Es sind etwas weniger medizinische Geräte an Bord als in einem Rettungshubschrauber, aber das ist gewollt.

"Wir haben anhand von Einsatzprotokollen analysiert, welches Material man tatsächlich braucht, und das Material, das man bei 90 Prozent der Einsätze braucht, das ist an Bord", sagt Biberthaler. Gesundheitsministerin Gerlach sieht das System E-Res-Copter als Ergänzung zu Hubschrauber und Rettungswagen: "Rettungswagen sind etwas langsamer, der Helikopter ist sehr wartungsintensiv, aber auch teuer und dieses Modell könnte eine Lücke in der Mitte füllen, in der Schnelligkeit, aber auch bei den Kosten", sagt sie.

Dreimal günstiger und dreimal schneller?

Zum Vergleich: Laut ERC-System kostet ein Krankenwagen im Betrieb pro Minute 50 Cent. Ein Rettungshubschrauber 23 Euro. Der elektrische Senkrechtstarter ist mit 8 Euro pro Minute deutlich günstiger. Mit 180 km/h in der Luft sei er dabei viel schneller als ein Rettungswagen auf der Straße, dessen durchschnittliche Geschwindigkeit mit 60 km/h angegeben wird. Die strengen Regeln für eine Zulassung in Europa sollen die Sicherheit des elektrischen Fliegers unterstreichen. Fällt einer der acht Rotoren aus, ist das laut Hersteller kein Problem. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass alle Rotoren streiken, gibt es noch zwei Flügel für den Gleitflug.

Mit vollem Akku soll der Senkrechtstarter 190 Kilometer Strecke schaffen – und schon nach einer knappen halben Stunde wieder aufgeladen sein. "Alleine die Zeit vom Ausladen des Patienten über das Wiederaufbereiten der Kabine für den nächsten Einsatz reicht aus, um den Akku nachzuladen und wieder weiterzufliegen", sagt ERC-Geschäftsführer David Löbl.

Fernziel sind autonome Flüge ohne Pilot

Der Firmenchef sieht Potenzial für 400 solcher Flieger in Deutschland. Jetzt muss er nur noch abheben. Nächstes Jahr soll es erste längere Testflüge im Allgäu geben. Für das Jahr 2029 strebt man die Zulassung für den allgemeinen Flugverkehr an, dann sollen im besten Fall auch die ersten Patienten mit an Bord sein. Fernziel sind autonome Flüge ohne Pilot.

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