Die oppositionelle Labour-Partei mit Keir Starmer an der Spitze hat bei der Parlamentswahl in Großbritannien die absolute Mehrheit erreicht. Nach Auszählung fast aller Wahlkreise brachte sie es auf 410 der 650 Sitze des Unterhauses. Damit kommt die Partei nahe an ihr Rekordergebnis von 1997 unter Tony Blair heran, als sie 418 Mandate errungen hatte. Starmer wird neuer Premierminister Großbritanniens.
Auf die regierenden Konservativen entfielen lediglich 118 Sitze. Es ist das schlechteste Ergebnis in ihrer fast 200-jährigen Geschichte. Die 14 Jahre währende Dominanz der konservativen Tories ist zu Ende.
Die oppositionellen Liberaldemokraten konnten ebenfalls deutlich zulegen und errangen den Teilergebnissen zufolge 71 Sitze. Es ist das beste Ergebnis in der Geschichte der Partei.
Das Land habe für einen Wandel gestimmt und es sei an der Zeit, dass seine Partei diesen Wandel herbeiführe, sagte Labour-Chef Keir Starmer nach dem Gewinn seines Mandats im Parlament. Der britische Premier Rishi Sunak hat die Niederlage seiner Partei eingestanden. Er habe Parteichef Starmer telefonisch zum Sieg gratuliert.
Weniger Begeisterung für Labour als Verdruss über die Tories
Überraschend ist das prognostizierte Ergebnis nicht: Umfragen sagen seit Langem einen deutlichen Sieg der Sozialdemokraten voraus. Im Wahlkampf konnte Sunak, dessen Partei mit Pannen und einem Skandal um illegale Wetten zum Wahltermin zu kämpfen hatte, kaum aufholen.
Verantwortlich für den klaren Ausgang der Wahl ist nach Ansicht des renommierten Meinungsforschers John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow jedoch nicht in erster Linie Begeisterung für Labour, sondern Verdruss über die bisherige Regierungspartei. Sunak war bereits der dritte Regierungschef seiner Partei in der vergangenen Legislaturperiode, die von wirtschaftlicher Stagnation und stark steigenden Lebenshaltungskosten geprägt war.
Schon am Freitag dürfte Starmer in der Downing Street stehen
Labour-Chef Starmer hatte die Arbeiterpartei in den vergangenen Jahren wieder in die politische Mitte geführt, nachdem sie unter seinem Vorgänger Jeremy Corbyn weit nach links gerückt war. Zudem ging er entschieden gegen antisemitische Tendenzen in den eigenen Reihen vor.
Gleichzeitig blieb der bisherige Oppositionschef in vielen Bereichen eher vage, etwa zu den Plänen für eine mögliche Annäherung mit der Europäischen Union. Kommentatoren verglichen seine behutsame Art mit dem Tragen einer Porzellanvase aus der chinesischen Ming-Dynastie.
Der Regierungswechsel wird in Großbritannien rasch vollzogen. Sobald das amtliche Endergebnis feststeht, kommt es zur Machtübergabe. Schon im Laufe des Freitags dürfte Starmer von König Charles III. mit der Regierungsbildung beauftragt werden und anschließend bei einer Rede in der Downing Street seine Vision für Großbritannien darlegen.
Auch prominente Vertreter der Partei blieben bei dem Debakel nicht außen vor. So verlor etwa Verteidigungsminister Grant Shapps seinen Parlamentssitz an den Labour-Herausforderer Andrew Lewin. Der konservative Brexit-Advokat Jacob Rees-Mogg war einer der schillerndsten Politiker im britischen Parlament - er hat seinen Sitz im Unterhaus verloren.
"Mr. Brexit" Farage beim achten Versuch ins britische Parlament gewählt
Freuen durfte sich dagegen der Rechtspopulist Nigel Farage, Vorsitzender der Partei Reform UK. Im achten Anlauf gelang es ihm erstmals, einen Sitz im Unterhaus zu ergattern. Seine Partei gewinnt insgesamt vier Sitze.
Reform UK, die die Nachfolge der Brexit-Partei Ukip antrat, setzte im Wahlkampf auf einwanderungsfeindliche Rhetorik und warb damit sowohl Wähler der Konservativen als auch der Labour Party ab, wie aus Teilergebnissen der Wahl vom Donnerstag hervorging. Auf der rechten Seite der britischen Politik gebe es eine "massive Lücke", sein Job sei es, diese zu füllen, sagte Farage. Sein Ziel sei es, in den kommenden Jahren eine nationale Massenbewegung aufzubauen. Sein Vorbild heißt Donald Trump.
SPD-Europapolitikerin Barley begrüßt Labour-Sieg
Die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley begrüßt den Wahlerfolg der Labour-Partei in Großbritannien. Der überwältigende Sieg der Sozialdemokraten gebe auch der EU Hoffnung, sagte Barley der Deutschen Presse-Agentur. "Ich freue mich über die große Chance, dass nach Jahren der Spannungen mit einem Labour-Premier in London nun ein freundlicher und konstruktiverer Ton angeschlagen wird." 14 Jahre konservativer Regierung mitsamt Brexit hätten die EU und das Vereinigte Königreich voneinander entfremdet. EU-Ratspräsident Charles Michel gratulierte Labour-Chef Keir Starmer zum "historischen" Sieg und betonte, dass er sich auf die künftige Zusammenarbeit freue.
FDP erwartet Verbesserung der deutsch-britischen Beziehungen
Die FDP erwartet im Ergebnis der britischen Parlamentswahl eine merkliche Verbesserung der deutsch-britischen Beziehungen. "Nach den vergangenen Irrungen und Wirrungen des Vereinigten Königreichs bin ich überzeugt davon, dass mit Keir Starmer mehr politische Sachlichkeit einkehrt", teilte der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrich Lechte, am Donnerstag in Berlin mit.
Mit Informationen von dpa und AFP
Im Video: Keir Starmer ist der Neue in Downing Street
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!