Nicht mal mehr die Stühle aus dem Keller haben gereicht, für den Andrang an Menschen, die sich die Diskussion anhören wollten. Die Zuhörer saßen auf dem Boden, lehnten an den Wänden und standen bis weit in den Eingangsbereich, zahlreiche davon mit Palästinensertüchern. Dass die Debatte nicht ausgewogen werden könnte, davon gab dieses Bild eine Vorahnung.
Auf dem Podium: Der palästinensische Aktivist Fuad Hamdan und der Geschäftsführer der in München ansässigen Europäischen Rabbinerkonferenz, Gady Gronich, der lange Jahre in Israel gelebt hat. Dazwischen: Die Veranstalter, der frühere FDP-Abgeordnete und Rechtsanwalt aus München, Hildebrecht Braun, und Stefan Jakob Wimmer, Orientalist an der Ludwig-Maximilians-Universität und Vorsitzender der "Freunde Abrahams" – eines Vereins, der sich für interreligiösen Dialog einsetzt.
"Wir haben nicht vor, eine Friedenskonferenz zu veranstalten", stellt Stefan Jakob Wimmer gleich zu Beginn der Diskussion klar. Die Idee der Veranstalter: "Es geht darum, dass wir hier ausprobieren, was gesagt werden darf und gesagt werden muss. Und vor allen Dingen: Wie miteinander geredet werden kann und sollte."
Erster Anlauf in Evangelischer Stadtakademie war gescheitert
Die Podiumsdiskussion hat eine Vorgeschichte: Die evangelische Kirche hatte die ursprünglich für den 15. Oktober 2024 geplante Veranstaltung in der Evangelischen Stadtakademie mit dem Titel "Vergiftete Debatte – versperrte Wege – Wie wir trotz des Israel/Palästina-Konflikts zusammenhalten können" kurzfristig abgesagt, wegen Antisemitismus-Vorwürfen. Volker Beck, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, hatte zuvor Bedenken gegen den Diskutanten Fuad Hamdan geäußert.
Nun also ein neuer Versuch – mit derselben Personenkonstellation, an einem anderen Ort – und mit einem anderen Mit-Veranstalter.
Moderatoren müssen Publikum ermahnen
Beide Diskutanten, der Palästinenser Fuad Hamdan und der Jude Gady Gronich, hatten im Vorfeld bedauert, dass die Veranstaltung im ersten Anlauf von Seiten der evangelischen Kirche abgesagt worden war. Schließlich hätten sie durchaus miteinander reden wollen.
Und dann wird bei der Veranstaltung doch alles anders: Immer wieder stören Zwischenrufer die Diskussionsrunde, trotz der Aufforderung der Veranstalter, zuzuhören und die andere Sichtweise auszuhalten. Stefan Jakob Wimmer und Hildebrecht Braun ermahnten immer wieder das Publikum. "Es ist heute hart für alle möglichen Beteiligten. Aber ich bitte einfach darum, zuzuhören."
Als Gady Gronich seine Position erklärt, kommen bereits die ersten Zwischenrufe. Seine Ansichten sind für viele der Anwesenden im Saal offenbar nur schwer zu ertragen. Etwa, dass Gaza seit fast 20 Jahren unabhängig sei und die Hamas eine gewollte Vertretung der Palästinenser. "Israel ist die einzige Demokratie in dieser Region, das ist ein Fakt." Für Aussagen wie diese erfährt Gronich prompt lautstarke Ablehnung.
Palästinenser beklagen mangelnde Solidarität
Fuad Hamdan formuliert den Vorwurf, dass es für die Palästinenser in München und auch woanders keine Lobby gebe. Niemand frage danach, wie es den Palästinensern gehe. "Ich kann im Namen aller Palästinenser wahrscheinlich hier in München sagen: Wir sind wütend." Dafür bekommt er aus dem Publikum viel Zuspruch.
Die evangelische Stadtakademie hatte sich im Vorfeld zwar nicht mehr als Veranstalterin für die Diskussion angeboten. Die Leiterin der Bildungseinrichtung, Barbara Hepp, war aber dennoch unter den Zuhörern. "Man sieht, wie viel Zuhören erstmal noch nötig ist und wie viel Aushalten erst noch nötig ist, bevor wir in vernünftige, zielführende Gespräche über weitreichendere Schritte treten können."
Jüdischer Diskutant verlässt Podium nach der Pause
Nach einer Pause kommt der jüdische Diskussionsteilnehmer Gady Gronich im Bürgersaal Fürstenried nicht mehr zurück auf die Bühne. Die Grundstimmung sei zu aggressiv gewesen, seine Sicherheitsleute hätten ihm geraten, zu gehen, teilt Stefan Jakob Wimmer dem Publikum mit. Seiner Einschätzung nach hat die Veranstaltung damit ihren ursprünglich angedachten Zweck verloren. Trotzdem geht die Diskussion weiter – nun ohne jüdische Stimme auf der Bühne. Und damit ohne die Chance, auf dem Podium beide Seiten zu hören.
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