Ein Montagmittag an einer Münchner Schule: Etwa 50 Schüler und Schülerinnen aus verschiedenen Klassen sitzen im Halbkreis. Es geht um den Krieg in Gaza. Viele der Schüler hier sind selbst geflüchtet, nicht wenige sind Muslime, einige haben arabische Wurzeln. Und auch jüdische Kinder besuchen die internationale Montessori-Schule "Campus di Monaco". Für sie alle ist der Krieg keine abstrakte Realität. Sondern ein seit Monaten anhaltendes persönliches Drama.
Genauso wie für die, die diese Diskussionsrunde leiten: Natalie Hünig ist deutsche Jüdin mit israelischen Wurzeln, Zakariyya Meißner ist Deutsch-Palästinenser. Im Rahmen der "Trialoge" gehen sie gemeinsam in Schulen, um mit den Jugendlichen über den Krieg zu diskutieren. Und darüber, was das alles mit ihnen macht, hier in Deutschland.
Wann genau begann dieser Krieg? Schon darin ist man sich uneins
Hünig ist wichtig, dass – bei aller Wut über die israelisch Kriegsführung – der Tag nicht in Vergessenheit gerät, mit dem dieser Krieg begann: "Und das war der Angriff der Hamas, einer Terrororganisation auf israelische Zivilistinnen und Zivilisten, wo sehr viele Menschen gestorben sind – ohne dass ich jetzt sage, deswegen sollte es auch einen Krieg geben."
Ein afghanisch-stämmiger Junge meldet sich, will etwas sagen. Schon vor dem 7. Oktober habe Israel immer wieder Gaza bombardiert. In der deutschen Öffentlichkeit gehe diese Vorgeschichte oft unter, findet er: "Wurde darüber berichtet, wie viele Kinder ums Leben gekommen sind wegen Israel? Nein, wurde nicht."
Viele der Jugendlichen erleben Antisemitismus und Rassismus
Mit der Veranstaltung soll Jugendlichen ein Raum gegeben werden, in dem ein bisschen von der Wut und der Verzweiflung aufgefangen werden kann, die viele in den letzten Monaten gespürt haben. Und Aussagen wie diese etwas zu differenzieren, zum Beispiel auch auf die langjährige Gewalt der Hamas hinzuweisen, die in Israel immer wieder Selbstmordanschläge verübt hat.
Seit dem 7. Oktober gebe es großen Gesprächsbedarf an der Schule, sagt Schulleiterin Antonia Veramendi. Schon vorher hätten viele Schüler Rassismus erlebt. Doch seit dem 7. Oktober hätten gerade islamfeindliche Übergriffe stark zugenommen (externer Link): "Und das hat die natürlich sehr bewegt." Zugleich hätten auch die israelischen und jüdischen Jugendlichen "eine wahnsinnige Angst". Denn auch bei den antisemitischen Übergriffen sind die Zahlen explodiert.
Emotionen ausdrücken hilft Radikalisierung vorzubeugen
Im Workshop sollen die Jugendlichen von ihren eigenen Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen erzählen. Natalie und Zakariyya fragen sie, was die Bilder aus Gaza bei ihnen auslösen. Sie haben Karten mitgebracht, auf denen einzelne Emotionen stehen. Sie sollen den Kindern helfen, Worte zu finden. "Wir hatten schon 'Erschrecken', wir hatten schon 'ängstlich' als Emotion", fasst Natalie zusammen.
Das alles hat noch einen tieferen Sinn. Experten wissen, dass die Gefahr, sich zu radikalisieren, dann besonders groß ist, wenn Jugendliche den Eindruck haben, dass ihre Gefühle und Gedanken nicht erwünscht sind. Mit den Trialogen versuchen die Initiatoren deshalb Räume zu schaffen, in denen offen gefragt, gesprochen und auch gestritten werden kann.
Gespräche zu unterdrücken, sei kontraproduktiv
Denn gerade an Schulen fehle es an solchen Angeboten, sagt Shai Hoffmann, der das Projekt mitgegründet hat. Viele Lehrer fühlten sich überfordert. Das sei zwar verständlich, in der Konsequenz aber fatal: "Denn wenn man versucht, mit mehr oder weniger repressiven Mitteln, diese Emotionen zu bekämpfen, dann glaube ich, ist das kontraproduktiv."
Mehr zu diesem Thema hören Sie heute (13.11.) um 12:17 Uhr in der Sendung "Funkstreifzug" im Radioprogramm von BR24. Den Funkstreifzug gibt es auch als Podcast.
Zum Audio: Der Gazakrieg – Radikalisierung im Zeitraffer
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