Eine Ermittlerin sitzt vor Monitoren mit unkenntlich gemachten Fotografien, die teilweise sexuellen Missbrauch zeigen.
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Beim Verdacht auf sexualisierte Gewalt gegenüber Minderjährigen kann man sich unter anderem beim Hinweistelefon im Landeskriminalamt melden.

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Kindesmissbrauch im Netz: Steigende Straftaten belasten Behörden

Kindesmissbrauch im Netz: Steigende Straftaten belasten Behörden

Seit Jahren werden immer mehr sexuelle Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger im Netz registriert. Ermittler bringt das an ihre Grenzen. Warum sie mit Hinweisen aus den USA arbeiten und was es bräuchte, um der Flut an Bildern Herr zu werden.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Am frühen Morgen machen sich zwei Kriminalkommissare der Kriminalpolizei Mühldorf zu einer Hausdurchsuchung auf. Sie wollen einen verdächtigen Mann antreffen, bevor er aus dem Haus geht. Auf seinem Smartphone sollen sich Abbildungen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen befinden.

Wie viele Hausdurchsuchungen pro Woche bei der Kriminalpolizei in Mühldorf stattfinden, kann der Polizeisprecher aus ermittlungstaktischen Gründen nicht preisgeben. Klar ist aber: Es sind viele – und es werden immer mehr. Die Zunahme solcher Delikte belastet auch die Behörden.

Hinweise aus den USA

Die Verdachtsmeldung kam aus den USA. Im Bundesstaat Virginia sitzt das "National Center for Missing & Exploited Children" (NCMEC). Mit finanzieller Unterstützung des Staates setzt sich die Non-Profit-Organisation für den Schutz von Kindern ein. Vor 20 Jahren erhielt das Bundeskriminalamt (BKA) zum ersten Mal Hinweise von NCMEC. Inzwischen gehen beim BKA täglich hunderte bis tausende Verdachtsmeldungen zu potenziellen Straftaten im Bereich der Kindermissbrauchs-Darstellungen ein. Wer entsprechende Inhalte besitzt, verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht, wird in Deutschland mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

"CyberTipline": Standardisiertes Meldesystem

US-amerikanische Internetdienstleister wie "Meta", "X", "Snapchat" und andere Social-Media- sowie Cloud-Plattformen sind gesetzlich verpflichtet, Inhalte, die auf sexuelle Gewalt hinweisen, an NCMEC zu melden. In Deutschland gibt es eine vergleichbare Verpflichtung nicht.

Nach einer solchen Meldung ermittelt NCMEC die zugehörigen IP-Adressen verdächtiger Accounts, zum Beispiel auch in Deutschland. Eine IP-Adresse ist eine Kennung, die jedem mit dem Internet verbundenen Gerät zugewiesen wird. Darüber lässt sich der Ort zurückverfolgen, wo Material hochgeladen wurde. Außerdem können E-Mail-Adressen, Benutzernamen und manchmal auch Telefonnummern zugeordnet werden. Die sogenannten "CyberTipline"-Berichte werden an die zuständige Strafverfolgungsbehörde in Deutschland weitergeleitet. Sie reichen rechtlich aus, um Hausdurchsuchungen durchzuführen.

Tausende registrierte Straftaten in Bayern

In Bayern wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Straftaten im Bereich der Kindermissbrauchs-Darstellungen registriert. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Traunstein gab es im Jahr 2019 bayernweit noch 2.979 Strafverfahren. Fünf Jahre später waren es 7.324. Die jüngsten Daten lassen erwarten, dass die Zahlen weiter steigen.

Dem BKA zufolge sind "digitale Straftaten" bei der Verbreitung von Kindermissbrauchs-Darstellungen im Internet von 2015 bis 2022 sogar um 598 Prozent gestiegen. Zwischen 2017 und 2022 haben sich die strafrechtlich relevanten NCMEC-Hinweise mehr als verdreifacht.

Technologische Entwicklung als Treiber

Einem Sprecher des Bundeskriminalamtes zufolge liegen die Gründe im Online-Kommunikationsverhalten: Mehr internetfähige Endgeräte, schnellere Datenverbindungen, immer neue Kommunikations-Apps ermöglichten potenziellen Tätern, Missbrauchsdarstellungen anzufertigen, zu versenden und zu speichern. Gleichzeitig gebe es auch immer mehr Online-Dienstanbieter, die selbst Fälle an NCMEC meldeten. Jugendliche, die Material anfertigen und in Klassenchats verschicken, treiben die Fallzahl zusätzlich hoch. Hinzu komme der zunehmende Gebrauch von Video-Telefonie, die die Täter dazu nutzten, ihre Opfer im direkten Gespräch zu sexuellen Handlungen zu nötigen.

Lange Datenanalysen verzögern Gerichtsverfahren

Je mehr Durchsuchungen durchgeführt werden, desto mehr Daten müssen ausgewertet werden. Dies können wenige Fotos bis hin zu tausenden Missbrauchsdarstellungen und Videos auf mehreren Geräten sein. Die Auswertung landet häufig auf dem Tisch externer Gutachter. "Im Moment dauern die Gutachten zwischen 18 und 24 Monaten", sagt Staatsanwältin Theresa Finsterwalder.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Traunstein gebe es aktuell nicht genügend externe Gutachter, um eine zeitnahe Auswertung der Datenmengen zu gewährleisten. Bis ein Fall vor Gericht kommt, vergehen oft Jahre. In der Zwischenzeit müssen die Ermittler ihre Arbeit priorisieren: Welche Fälle dürfen nicht warten, etwa bei Verdacht auf eine schwere Straftat – und welche müssen hinten angestellt werden?

Polizei wirbt um IT-Spezialisten

Auch auf der Polizei lastet der Ermittlungsdruck – insbesondere auf den IT-Spezialisten, die die beschlagnahmten Geräte auswerten. "Der signifikante Anstieg in der Datenanalyse bringt die bayerische Polizei an die Grenzen", sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Bayern, Florian Leitner, auf BR-Anfrage. Die GdP Bayern fordere seit Langem mehr Stellen mit Aufstiegschancen und Zulagen für IT-Spezialisten. Aber ohne externe Unterstützung durch Gutachter werde die Bewältigung der riesigen Datenmengen auch künftig unmöglich sein. Bei der Polizei gebe es spezielle Werbeprogramme für IT-Fachleute. Klar sei aber auch, dass man bei der Bezahlung mit der freien Wirtschaft nicht mithalten könne.

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