Es fließen Tränen im Gerichtssaal. Immer wieder weinen erwachsene Männer im Publikum, Zeugen sprechen "von den schlimmsten Jahren" ihres Lebens, die sie im Erich-Kästner-Kinderdorf in Oberschwarzach im Landkreis Schweinfurt verbracht haben. Grund dafür sind die sexuellen Handlungen, die dort laut Staatsanwaltschaft Schweinfurt an ihnen vorgenommen wurden oder die sie selbst an einem der beiden Angeklagten ausführen mussten. Die sind nun verurteilt worden.
Taten liegen gut 25 Jahre zurück
Wegen schweren sexuellen Missbrauchs an Kindern hat der Vorsitzende Richter am Amtsgericht Schweinfurt einen der Männer zu drei Jahren Haft, den anderen zu einem Jahr und sechs Monaten Jugendhaft verurteilt. Die Jugendstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Die Taten sollen sich bereits vor rund 25 Jahren ereignet haben. Die Opfer waren zwischen elf und 15 Jahre alt. Die beiden Verurteilten sind heute 54 und 44 Jahre alt. Laut Staatsanwaltschaft waren sie zwischen 1991 und 2004 Mitarbeiter des Erich-Kästner-Kinderdorfs in Oberschwarzach im Landkreis Schweinfurt.
Angeklagter ist Sohn der damaligen Heimleiterin
In der Verhandlung ist zu hören, dass die beiden Nebenkläger nicht die einzigen gewesen sein sollen, die sexuell missbraucht worden sind. Tatorte sollen ein Bauwagen, ein Badezimmer und eine Almhütte auf einer Ferienfreizeit in Österreich gewesen sein. Einer der beiden Angeklagten war zum Zeitpunkt der Taten selbst noch jugendlich, daher das Urteil der Jugendhaft. Er ist zudem der Sohn der damaligen Einrichtungsleiterin und Gründerin des Kinderdorfs und war später selbst als Erzieher dort tätig. Der Mann ließ seinen Anwalt außerdem vor Gericht verlauten, dass er selbst schon als kleines Kind im Kinderdorf von einem Erwachsenen sexuell missbraucht worden sei. Ihm wird eine Tat des schweren sexuellen Missbrauchs vorgeworfen.
Kinder in Wohnwagen gelockt
Der ältere Verurteilte war im Kinderdorf mit verschiedenen Aufgaben betraut, jedoch nicht im erzieherischen oder pflegerischen Bereich. Zeugen schildern den Mann trotz der Vorfälle als einzigen "netten" Mann im Kinderdorf, der den Kindern auch mal Schokolade und Cola geschenkt habe. Zu ihm hätten die Kinder Vertrauen gehabt. Das habe er schamlos ausgenutzt. Mit Süßigkeiten oder Fernsehen soll er die Kinder damals auch in seinen Wohnwagen auf dem Gelände gelockt haben und dort über Jahre hinweg regelmäßig sexuelle Handlungen an ihnen vorgenommen haben sowie von ihnen an sich vornehmen lassen. Die betroffenen Kinder hätten alle gewusst, was in den Wohnwagen passierte, berichten sie im Zeugenstand. Aber alle hätten aus Angst geschwiegen, keiner würde ihnen glauben oder sie würden bestraft.
Opfer auch als Erwachsene schwer traumatisiert
Einige der Zeugen sind offensichtlich traumatisiert, in Therapie und zum Teil arbeitsunfähig. Auch von anderen körperlichen Misshandlungen im Kinderdorf war im Prozess die Rede. Wiltrud Werner von der Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer "Weißer Ring" betreut eines der Opfer seit 2011. Es war laut Werner seit seinem dritten Lebensjahr in Kinderbetreuungseinrichtungen, es gehe ihm seit den Missbräuchen psychisch schlecht und es sei auch nicht in der Lage zu arbeiten.
Anklage vor fünf Jahren abgelehnt
Im Jahr 2020 hatte das Amtsgericht die Anklage zunächst abgelehnt, weil eine psychiatrische Gutachterin den Aussagen der Opfer zu wenig Glauben schenkte. Es hieß, die Aussagen reichten nicht für eine Beweislast aus. Erst nachdem sich die ehemalige Anwältin der Nebenklage beschwerte, kam der Fall wieder ins Rollen: Das Landgericht Schweinfurt hob den Beschluss des Amtsgerichts im September 2023 wieder auf und ließ die Nebenklage zu.
Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig. Mindestens ein Verteidiger hat schon vor dem Urteilsspruch angegeben, in Berufung gehen zu wollen.
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