"Viele Ställe, die ich gesehen habe, sind dunkle Grotten, die erinnern mehr an einen Kerker," sagt Friedrich Mülln, Aktivist des Vereins "Soko Tierschutz". Er sitzt in seinem Büro in München, auf einen Laptop laufen Videos mit Rindern aus Anbindeställen. Teilweise ist ihr Fell von Kot regelrecht verkrustet, manche Tiere sind durch jahrzehntelange Zucht schlicht zu groß gewachsen, um richtig in die Boxen der meist alten Ställe zu passen. Mülln sagt, es sei ihm wichtig, nicht auf die "schwarzen Schafe" der Branche zu zeigen, die schon wegen anderer Verstöße aufgefallen waren. Er wolle vielmehr die "Normalität" in Anbindeställen dokumentieren. Viele der Betriebe liefern ihre Milch an bekannte deutsche Markenhersteller.
Kritik an falschen Werbeversprechen
Diese werben mit Bildern glücklicher Kühe auf grünen Wiesen, während der Verbraucher von der Realität der angebundenen Tiere nichts erfahre, kritisiert Foodwatch. Wenn Kühe bei der ganzjährigen Anbindehaltung ihr Leben lang an ein und derselben Stelle stehen, keinen Auslauf bekommen und kaum sozialen Kontakt zu anderen Tieren haben, sei das nicht mehr hinnehmbar, so die Verbraucherorganisation, die auch eine Abschaffung der Kombinationshaltung fordert.
"Die Tiere sind im Sommer zwar draußen auf der Weide, aber stehen dann im Winter über viele Monate im Stall, deshalb wollen wir ein komplettes Verbot der Anbindehaltung", sagt Pressesprecher Andreas Winkler. Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung der Recherchen ist mit Bedacht gewählt. Denn in Berlin berät die Ampelkoalition derzeit über eine Novelle des Tierschutzgesetzes.
Entwurf sorgt für Unruhe
Schon vor Monaten war ein Referentenentwurf durchgesickert, der ein Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung in fünf Jahren vorsah. Auch die Regeln für die Kombinationshaltung könnten verschärft werden: Tiere sollten auch im Winter nach draußen kommen, etwa in einen Laufhof.
Die Bundesregierung betonte, dass es sich nur um vorläufige Vorschläge handle. Doch der Unmut bei vielen Landwirten war groß. Die Staatsregierung kündigte im Dezember eine Bundesratsinitiative gegen die Verbotspläne an. Denn Bayern wäre von der Regelung besonders betroffen: Laut Bauernverband hält die Hälfte der Betriebe Tiere noch in Anbindehaltung.
Existenzangst bei Landwirten
Vor allem viele nebenberufliche Landwirte sorgen sich, wie es mit dem Stall weitergehen kann. Denn ein tiergerechter Neubau kostet schnell eine Million Euro. Der Freistaat unterstützt die Landwirte zwar mit Förderprogrammen, doch viele scheuen das Risiko eines hohen Kredits, zumal die Zinsen vergangenes Jahr deutlich gestiegen sind. Und es stellen sich auch praktische Probleme: Denn oftmals liegen die Betriebe innerorts und haben Schwierigkeiten, einen entsprechend großen Laufhof einzurichten.
"Selbst wenn die Landwirte in die Kombinationshaltung investieren, könnten sie den Hof so nicht an den Sohn oder die Tochter übergeben. Spätestens bei der nächsten Generation müsste dann der Wechsel hin zum Laufstall erfolgen", kritisiert Andreas Hummel, Kreisobmann des Bauernverbands Oberallgäu. Er fordert mehr Planungssicherheit für die Landwirte und protestiert im Rahmen der Aktion "Rettet Berta" gegen Verbote bei der Anbindehaltung, weil sie das Aus für viele kleinbäuerliche Betriebe bedeuten würde.
Urteil in Münster: Anbindehaltung nicht "artgerecht"
Schon lange gibt es Versuche, die Haltung von Rindern anders zu regeln. 2016 hatte der Bundesrat gefordert, die ganzjährige Anbindehaltung zu verbieten. Das wiederum lehnte der Bundestag ab. 2022 urteilte das Verwaltungsgericht Münster, dass ein Landwirt seinen Rindern in Anbindehaltung zumindest im Sommer Auslauf gewähren muss, sonst komme es zu einer "deutlichen Einschränkung artgerechter Verhaltensweisen der Rinder".
Das sieht Friedrich Mülln von der "Soko Tierschutz" ähnlich. Wie beim Menschen verkümmere auch bei Rindern die Muskulatur, wenn sie sich lange nicht bewegten. Die Tiere könnten sich nicht umdrehen, wälzen oder kratzen und müssten oft jahrelang eine Wand anstarren.
Bauernverband: Wandel braucht Zeit
"Die ganzjährige Anbindehaltung ist kein System der Zukunft", sagt auch Markus Drexler, Pressesprecher des Bayerischen Bauernverbands. Aber man brauche für die Betriebe in Bayern einen gangbaren Weg, um die Höfe weiterentwickeln zu können. Der Bauernverband fordert vor allem längere Fristen für den Umstieg. Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Betriebe mit Anbindehaltung von 37.000 auf derzeit 13.000 zurückgegangen.
Sollte das Gesetz so kommen wie derzeit geplant, würden am Ende noch 1.000 Höfe übrigbleiben, befürchtet Drexler. "Nur mit zwei- oder dreimal mehr Tieren rentiert sich oft ein neuer Stall. Aber das bedeutet natürlich erheblich mehr Arbeitsaufwand und viel mehr Fläche, die ein Landwirt braucht, um die Tiere dann mit Futter zu versorgen oder die Gülle auszubringen", so der BBV-Pressesprecher. Nur den Stallbau zu fördern, um Tierwohl zu ermöglichen, sei zu kurz gedacht.
Expertin: "Anreizsystem für Tierwohl schaffen"
Wie die Zukunft für die Rinderhalter aussehen kann? Frigga Wirths war Mitglied der Borchert-Kommission, die neue Konzepte für die Landwirtschaft entwickelt hat. Doch vieles, worauf sich die unterschiedlichen Interessensverbände damals geeinigt hatten, sei mit der neuen Regierung auf der Strecke geblieben, kritisiert die Tierärztin, die an der Akademie für Tierschutz in Neubiberg arbeitet.
Die Anbindehaltung einfach nur auslaufen zu lassen, ist für sie keine Lösung. Denn bis 2050 könnten noch Tiere ganzjährig angebunden sein, so eine Einschätzung des Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume. Wirths plädiert für ein Anreizsystem und begrüßt auch eine mögliche Tierwohlabgabe: "Landwirte müssen es honoriert bekommen, wenn die Tiere gut gehalten werden."
- Zum Artikel: So viel Einfluss haben die Bauern auf die Politik
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!