Eigentlich wollte Bayerns Wirtschafts- und Energieminister am Montag vergangener Woche im bayerischen Chemiedreieck für einen neuen Windpark werben, um den Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzubringen. Doch Hubert Aiwanger setzte laut "Passauer Neue Presse" andere Prioritäten und ließ den Termin verschieben: Den 8. Januar räumte der Freie-Wähler-Chef komplett für Bauernproteste frei. Am Morgen schimpfte er in Landshut auf die Ampel, am Mittag ließ er sich in München mit "Hubsi"-Sprechchören feiern, am Nachmittag folgte eine Rede in Karpfham, am frühen Abend in Schwandorf, abschließend echauffierte er sich noch in Cham über "grüne Spinner".
Aiwanger hat Bauernproteste zu seiner Sache gemacht
Wie kein anderer Politiker hat der Freie-Wähler-Chef und bayerische Wirtschaftsminister die Bauernproteste zu seiner Sache gemacht – und damit den Koalitionspartner CSU verstimmt. In der Staatsregierung ist eigentlich Michaela Kaniber (CSU) für die Landwirtschaft zuständig. Die größte öffentliche Aufmerksamkeit aber bekam vergangene Woche Hubert Aiwanger, samt Einladung zum ARD-Talk "Maischberger" und Interviews in überregionalen Medien.
Noch im Dezember hatte Ministerpräsident Markus Söder in seiner ersten Regierungserklärung nach der Landtagswahl das "neu gefundene Vertrauen" in der "Kraftkoalition" aus CSU und Freien Wählern (FW) beschworen, aber mittlerweile knirscht es wieder merklich. Reihenweise machten in den vergangenen Tagen CSUler ihrem Unmut über Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger Luft.
Wettstreit um die Gunst der Landwirte
So einig sich CSU und Freie Wähler in ihrer Unterstützung der Landwirte sind, so stark konkurrieren sie um deren Wählerstimmen. Die Bauern galten lange Jahrzehnte als CSU-Kernklientel. Nach der Bundestagswahl 2013 erklärte der damalige CSU-Chef Horst Seehofer: "Ich mache es jetzt zur Bedingung für meine Unterschrift unter den Koalitionsvertrag einer neuen Bundesregierung, dass die bäuerliche Landwirtschaft in Bayern geschützt wird."
Seither haben die Christsozialen viele Wähler an die FW verloren: Aiwanger, selbst Landwirt aus einem niederbayerischen Dorf, hat es leichter als Anwalt des ländlichen Raums aufzutreten als Söder, der aus der zweitgrößten bayerischen Stadt Nürnberg stammt und promovierter Jurist ist.
Auf den Bauerndemos vergangene Woche war eine Art schwarz-oranger Wettstreit um die Gunst der Landwirte zu beobachten. Nicht nur Aiwanger, auch seine CSU-Kabinettskollegen schwärmten aus ins ganze Land. Auf der Bauerndemo in Nürnberg wurden am Freitag Ministerpräsident Söder, Innenminister Joachim Herrmann und Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) begrüßt. Praktisch zeitgleich beteiligten sich in München Aiwanger und Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) an einer Demo der Spediteure. Die Freie-Wähler-Fraktion beendete eigens ihre Klausurtagung in Lindau etwas früher, um Aiwanger die Teilnahme zu ermöglichen.
Jubel für Aiwanger: "Hubert, Hubert"
Auf der Abschlusskundgebung des Bayerischen Bauernverbands am Freitag in Nürnberg lobte Verbandspräsident Günther Felßner, selbst CSU-Kommunalpolitiker, minutenlang den Einsatz von Ministerpräsident Söder für die Landwirtschaft. Aber die Reaktionen der Mengen auf mehreren Bauerndemos ließen auf einen anderen Punktsieger schließen: Hubert Aiwanger wurde mehrfach mit Jubel und "Hubert, Hubert"-Rufen gefeiert. Selfies mit dem Minister waren begehrt.
Bei seinen Auftritten ging es dabei nur zum Teil um die konkreten Anliegen der Bauern. Aiwanger nahm vielmehr das große Ganze in den Blick und hielt Reden, die stark an seinen Bierzeltwahlkampf im vergangenen Sommer erinnerten. Im Mittelpunkt standen stets scharfe Angriffe auf die Ampel-Parteien, insbesondere die Grünen, denen er vorwarf, gezielt das Höfesterben zu forcieren und lieber Geld für "illegale Einwanderer" und "Taugenichtse" auszugeben als für wirklich Bedürftige. Zwar arbeiten sich auch CSUler gern an der Ampel ab, so weit wie Aiwanger wollen sie in ihrer Rhetorik aber nicht gehen.
Kaniber: "Mein Ding ist Populismus nicht"
Der Unmut in der CSU über den Koalitionspartner ist groß. Generalsekretär Martin Huber rief den Minister auf, sich lieber um die Wirtschaft und die Aufgaben in seinem Ressort zu kümmern. Ähnlich äußerte sich im "Münchner Merkur" CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek. Er nannte Aiwanger einen "kleinen Problembären". Der "Augsburger Allgemeinen" sagte Holetschek, an Demonstrationen teilzunehmen, sei "kein wirtschaftliches Konzept".
Deutliche Worte fand auch Finanzminister Albert Füracker (CSU): "Auf eine Demo zu gehen und die jeweilige Interessensgruppe mit ihren Inhalten zum Jubeln zu bringen - das ist ziemlich einfach. Damit ist aber noch kein Problem gelöst, sondern erst mal nur der Protest verstärkt", sagte er der "Nürnberger Zeitung". Landwirtschaftsministerin Kaniber stellte mit Blick auf Aiwanger im "Straubinger Tagblatt" klar: "Mein Ding ist Populismus nicht." Und der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel kritisierte im BR-Sonntags-Stammtisch, Aiwangers "populistische Art und Weise, Stimmungen zu bedienen und fördern", sei "unmöglich".
Aiwanger will 2025 in den Bundestag
Bei der Landtagswahl im vergangenen Oktober schnitten die Freien Wähler mit 15,8 Prozent deutlich besser ab als fünf Jahre zuvor. Besonders im eher ländlich geprägten Niederbayern, Aiwangers Heimat: Dort waren sie mit 29,7 Prozent der Gesamtstimmen nur zwei Prozentpunkte hinter der CSU. In Mittelfranken, der Heimat von Söder, lagen die Freien Wähler mit 9,5 Prozent dagegen weit hinter den Christsozialen (40,6 Prozent). Insgesamt zwei Direktmandate sprangen bayernweit heraus.
Dass die Freien Wähler mit ihrem Frontmann Aiwanger auch im Wahlkampf schon die Bauern umgarnt hatten, zahlte sich offenbar aus: 37 Prozent der bayerischen Landwirte wollten bei der Landtagswahl für die Partei stimmen. Das zeigt eine Auswertung des angekündigten Wahlverhaltens nach Berufsgruppen, die von der Forschungsgruppe Wahlen erstellt wurde. Der CSU wollten demnach 52 Prozent der Landwirte ihre Stimme geben. Für die Söder-Partei ein deutlicher Rückgang: Bei der Landtagswahl 2018 hatten noch 66 Prozent der Bauern angegeben, die CSU wählen zu wollen.
Nach dem Aufstieg in Bayern will Aiwanger nun auch bundesweite Erfolge für seine Freien Wähler. Erklärtes Ziel: 2025 in den Bundestag einziehen und Teil einer bürgerlichen Bundesregierung werden. Die Sorge in der CSU, auch schon bei der Europawahl im Juni wertvolle Stimmen an die FW zu verlieren, ist groß. Und sollte das neue Bundestagswahlrecht Bestand haben, könnte es 2025 für die CSU theoretisch sogar ums Überleben als bundespolitische Kraft gehen.
Aiwanger: "Brauche keine Tipps von der CSU"
Die aktuelle CSU-Kritik lässt Aiwanger allerdings nicht auf sich sitzen. Als Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident müsse er an der Seite der Bauern stehen. "Landwirtschaft ist Kernelement einer Wirtschaftspolitik", argumentierte er. Und in Richtung CSU stichelte Aiwanger: Die Freien Wähler würden als die wirklichen Interessenvertreter der Bauern wahrgenommen.
Vor wenigen Tagen verwahrte sich der Freie-Wähler-Chef dann noch gegen Forderungen aus der CSU, weniger zu demonstrieren. "Die sollen ihre Arbeit tun und sollen mir nicht ständig sagen, wo ich hindürfte." Er brauche keine Tipps der CSU: "Ich gehe überall hin, wo das Volk mich ruft."
BR24live zu den Bauernprotesten: Abschluss der Protestwoche des Bayerischen Bauernverbands
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