Offenes Schulheft. Auf den Zeilen stehen einfache Nomen mit Artikel in krakeliger Schrift.
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Im offenen Lerntreff der VHS Aschaffenburg wird Lesen und Schreiben unterrichtet.

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Lesen und schreiben lernen – Lerntreff in Aschaffenburg

Lesen und schreiben lernen – Lerntreff in Aschaffenburg

Sie sind überall: Buchstaben, Wörter, Texte – man kann sie gar nicht umgehen. Eigentlich. Über sechs Millionen Menschen in Deutschland können nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben, zum Großteil Erwachsene. Viele mogeln sich jahrelang durch.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Mainfranken am .

Mahbuba Susur sitzt vor einem Bilderbuch. Pfeile deuten auf Körperteile, daneben sind Textfelder. Darin stehen in krakeligen Druckbuchstaben die korrekten Bezeichnungen: Hand, Fuß, Bauch. Susur fährt langsam mit dem Finger über die Wörter und versucht sie vorzulesen. Es klappt ganz gut, wenn die Bilder aber abgedeckt werden, sinkt die Trefferquote. Mahbuba Susur ist 72 Jahre alt, kommt aus der Türkei und lebt seit 52 Jahren in Deutschland. Es klingt paradox, aber sie spricht mit Aramäisch, Türkisch und Deutsch drei Sprachen fließend, kann aber in keiner nur einen Satz lesen oder schreiben.

Kostenloser Unterricht an der VHS Aschaffenburg

Vor wenigen Wochen hat sie sich ein Ziel gesetzt: sie will die deutsche Sprache lesen und schreiben lernen. Mit diesem Vorsatz kam sie an die Volkshochschule Aschaffenburg und sitzt nun einmal in der Woche für eineinhalb Stunden im Unterricht von Felix Stirnberg. Ein zwangloses und kostenloses Angebot der Volkshochschule Aschaffenburg im Stadtteil Damm. Dort ist der Migrationsanteil am höchsten in der Stadt, auch der Sozialgeldbezug ist hoch.

"Man kommt auch ohne Lesen und Schreiben durch"

Mabuba Susur wollte schon vor vielen Jahren Lesen und Schreiben lernen, aber ihr Mann hatte es nicht erlaubt. Im Lerntreff im Aschaffenburger Ortsteil Damm findet man die verschiedensten Schicksale, sagt Stirnberg. Migranten genauso wie Menschen aus Deutschland, die sogar jahrelang berufstätig waren und sich immer durchgemogelt haben. "Viele sehen gar keinen Grund, es jetzt noch zu lernen, weil man in diesem Land auch ohne Lesen und Schreiben durchkommt."

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Dozent Felix Stirnberg mit Mahbuba Susur. Die 72-Jährige hat nie lesen und schreiben gelernt.

Sechs Millionen Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten

Mehr als jeder Achte kann in Deutschland nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben. Das geht aus der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten LEO-Studie der Universität Hamburg hervor. Jeder fünfte Erwachsene hat beim Schreiben von gebräuchlichen Wörtern Probleme. Betroffen sind eher Erwachsene, sowie Bildungsferne mit niedrigen oder keinem Schulabschluss, dabei sind über 60 Prozent der Erwachsenen mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben berufstätig. In Bayern sind schätzungsweise 700.000 bis eine Million Menschen von Literalität betroffen.

Emojis statt Schiller – Probleme beginnen in der Grundschule

Felix Stirnberg unterrichtet nebenbei an der Volkshochschule, eigentlich ist er Grundschullehrer. Dort würden die Probleme beim Lesen und Schreiben schon beginnen. "Es fehlt derzeit an allem: an Personal, aber auch an Möglichkeiten, Vorgaben aus der Politik umzusetzen." Migrationshintergründe, Aufmerksamkeitsdefizite – jede Klasse bräuchte als Lehrer teilweise pro Schulklasse vier Begleitungen für besonders auffällige oder systemschwache Schülerinnen und Schüler, meint Stirnberg. Und auch in der weiteren Entwicklung der Kinder und Jugendlichen werde seiner Meinung nach die Sprachentwicklung eher gehemmt als gefördert. Unvollständige Sätze und Emojis im Chat seien zwar noch Kleinigkeiten, deuten aber an, in welche Richtung der Umgang mit Sprache driftet. Ginge es nach Stirnberg, sollten unter anderem wieder mehr Gedichte gelernt werden, um das Gefühl für Sprache zu trainieren. Die MOVE-Studie der Stiftung Lesen (externer Link) hat dazu ergeben, dass jede/r Dritte "Lesen" nicht als Alltagskompetenz, sondern als Tätigkeit einer Bildungselite empfindet.

Geschützter und offener Raum in Aschaffenburg

Gegen diesen Trend stellt sich die Volkshochschule Aschaffenburg, sagt Leiterin Katja Fröhlich. Um sich im Bereich Alphabetisierung und Grundbildung neu, zeitgemäß und am richtigen Ort aufzustellen, gibt es seit kurzem das Zentrum Grundbildung und Integration im Stadtteil Damm. Momentan noch unter Förderung, die zum Januar 2024 ausläuft. Bis März sollen aber Angebote wie der offene Lerntreff von Felix Stirnberg auf eigene Kosten erhalten bleiben. Danach hofft Katja Fröhlich, dass man auf geförderte Alphabetisierungskurse umstellen könne. In jedem Fall bleiben die Kurse für die Teilnehmenden aber kostenlos. Durch niederschwellige Angebote, wie einer Learning-Lounge für Jugendliche, will sie die Hemmschwelle senken, um an die eigentliche Zielgruppe für die Literalisierungs-Kurse für Lese- und Schreibfähigkeit zu kommen, "eben an die Eltern".

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