"Die Entstehung einer Klima-RAF muss verhindert werden", sagt Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Verhindert werden soll diese Neuauflage aus seiner Sicht durch "deutlich härtere Strafen für Klima-Chaoten". Auf diese Weise würden Nachahmer abgeschreckt, aber es würde auch "einer weiteren Radikalisierung in Teilen der Klimabewegung" entgegengewirkt.
Worauf bezieht sich Dobrindt?
Am Dienstag legt Dobrindt noch einmal nach: Es gehe nicht darum, die Verbrechen der RAF zu relativieren. Er zitiert die Journalistin Bettina Röhl, Tochter der RAF-Mitgründerin Ulrike Meinhof. Aus ihrer Sicht befinde sich die Klimabewegung "auf der Ziellinie der RAF". Da dürfe Politik nicht einfach zuschauen, sagt Dobrindt. "Wer mit dem Begriff (RAF) ein Problem hat, will der Realität nicht ins Auge schauen." Mit Erkenntnissen des Verfassungsschutzes kann Dobrindt das allerdings nicht belegen.
Die Rote Armee Fraktion war eine linksextremistische terroristische Vereinigung, die für bis zu 34 Morde verantwortlich ist. Sie wurde 1970 vom Rechtsanwalt Horst Mahler, der Kolumnistin Ulrike Meinhof, der Germanistikstudentin Gudrun Ensslin und dem Kleinkriminellen Andreas Baader gegründet. Den letzten Mord beging die 3. Generation der RAF 1991. Sieben Jahre später gab sie ihre Auflösung bekannt. Im Laufe der Zeit hatte die RAF insgesamt 60 bis 80 Mitglieder. Das letzte Mitglied wurde 2011 aus der Haft entlassen. Die Fahndung nach vier Angehörigen der Terrorgruppe blieb bis heute erfolglos.
Zwei Parallelen bei "Letzter Generation" und RAF
Vergleiche mit der RAF hält Wolfgang Kraushaar für "riskant". Kraushaar ist einer der renommiertesten Forscher zum Linksextremismus und gilt als RAF-Experte. Die Aktivisten der "Letzten Generation" begreifen sich als "Akteure des zivilen Ungehorsams, damit hatte die RAF nun gar nichts zu tun", sagt Kraushaar im Gespräch mit BR24. Die vier RAF-Gründer hätten sehr unterschiedliche Motive und Vorstellungen gehabt. Schon Jahre bevor sich die RAF gründete, verübten einige spätere Mitglieder einen Brandbombenanschlag auf Kaufhäuser in Frankfurt. Diese Gewalt lasse sich nicht zu den Aktionen der "Letzten Generation" verlängern. Kraushaar empfiehlt, "die Terrorismuskeule so lange wie möglich in der Tasche zu lassen".
"Man kann natürlich nicht Menschen, die den Straßenverkehr blockieren, mit kaltblütigen Mördern auf eine Stufe heben", sagt auch Butz Peters, Jurist und Autor diverser Bücher über die Geschichte der RAF. Im Gespräch mit BR24 macht Peters jedoch zwei Parallelen zwischen RAF und "Letzter Generation" aus: Beide glaubten, dass der Zweck die Mittel heilige. Die zweite Parallele sei die "Nichtakzeptanz unseres politischen Systems". Entscheidungen würden in der parlamentarischen Demokratie mit einer Mehrheit getroffen, jeder könne sich ins Parlament wählen lassen. "Und wir haben deshalb Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren." Diese Einstellung fehle auch den Aktivisten der "Letzten Generation", so Peters, sonst würden sie in die Politik gehen. Eine Nichtakzeptanz, die ihm Sorgen macht. Damit enden aber für ihn die Überschneidungen.
Wie sinnvoll sind härtere Strafen für Klimaaktivisten?
Die Konsequenz lautet für Peters: striktere Umsetzung von Sanktionen und Erhöhung des Strafmaßes, wenn Leute "strafimmun" sind. Wenn also Geldstrafen nicht abschrecken, weil sie aus einem Spendenfonds bezahlt werden können, oder Blockierer sagen, sie machten trotz angedrohter Gefängnisstrafe weiter. Aus Peters Sicht sind nun vor allem Richter und Staatsanwaltschaften gefragt.
Wolfgang Kraushaar sieht die Aktionen der "Letzten Generation" ebenfalls kritisch: Die Aktionen seien nicht legitim. Die jetzigen bergen bereits Gefahren, und auch Aktionen wie die der britischen Gruppe "Extinction Rebellion" seien der "Letzten Generation" zuzutrauen. Die Aktivisten wollten am Flughafen Heathrow den Flugverkehr mit Drohnen unterbrechen. Eine erhebliche Gefahr für die Menschen im Flugzeug und am Boden. Die Aktionen der "Letzten Generation" hätten aber bisher noch nichts mit Terrorismus zu tun. Kraushaar sieht deshalb noch keinen Bedarf für strafrechtliche Verfolgung der Aktivisten.
Schafft Strafverfolgung Klimamärtyrer?
Bei der gebe es mehrere Probleme: Der Staat habe das Grundproblem, dass er das Ziel der Blockierer teile - die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens mit dem 1,5-Grad-Ziel. Der Staat müsse abwägen: Wenn er die Aktivisten verfolgt, bestehe die Gefahr, "Klimamärtyrer" zu produzieren. "Und man muss durchaus davon ausgehen, dass das zum Kalkül der "Letzten Generation' zählt." Kraushaar warnt deshalb auch vor Gesetzesverschärfungen.
Der RAF-Experte erinnert an "ein sehr bedenkliches Beispiel" aus München. 1968 wurde dort ein junger Jura Student wegen der Beteiligung an einer Anti-Vietnamkrieg-Demonstration verurteilt. Obwohl für ihn noch Jugendstrafrecht galt, wurde er sofort zu einer Haftstrafe von einem Jahr ohne Bewährung verurteilt. Das, sagt Kraushaar, habe zu einer "Aktionswoche" vor dem Gefängnis im fränkischen Ebrach geführt. "Aus der Gruppe, die diese organisiert hat, haben sich maßgeblich Terroristen herausgebildet." Leute, die später in der RAF gelandet seien, in der "Bewegung 2. Juni" und zum Teil auch bei den "Revolutionären Zellen".
Mit Blick auf die Forderung der CSU nach Haftstrafen für Blockierer mahnt Kraushaar deshalb zur Vorsicht: Die RAF sei nie stärker gewesen als zu dem Zeitpunkt, als im Juni 1972 ihre Spitze ins Gefängnis gewandert war und dort Hungerstreiks durchführte. "Da erschienen sie in der Rolle von quasi Märtyrern." Und das habe ihnen viele Sympathisanten verschafft. "Diejenigen, die jetzt diese Terrorismuskeule in die Hand genommen haben, und nach einer Verschärfung des Strafrechts rufen, sollten sich wirklich durch den Kopf gehen lassen, was bereits in diesem Lande geschehen ist und insbesondere in Bayern und in München."
Wie also umgehen mit der "Letzten Generation"?
Für den Juristen Butz Peters sind gesetzliche Verschärfungen durchaus eine Option, wenn sich zeigen sollte, dass die derzeitigen Sanktionen nicht mehr ausreichen. "Ansonsten können wir uns von dem derzeitigen System verabschieden", sagt Peters. Der Staat müsse dringend dafür sorgen, dass die Normen, die für alle gelten, auch eingehalten werden. Auch von der "Letzten Generation".
Wolfgang Kraushaar setzt stattdessen auf "kommunikative Prozesse", Ansprache der Gruppe. Es habe dafür schon Ansätze gegeben. Gemeint ist ein Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz mit denen, die im Endspurt des Bundestagswahlkampfs vorm Kanzleramt in den Hungerstreik getreten waren, um mehr Klimaschutz zu erzwingen. Gebracht hat das auch nichts, gibt Kraushaar zu. Aber man habe die Akteure in der bedrohlichen Situation des Hungerstreiks ein Stück weit abgeholt. Das sollte aus seiner Sicht nun wieder geschehen, zum Beispiel in Form eines Roundtable-Gesprächs.
- Zum Artikel "Vorbeugender Freiheitsentzug für Klimaaktivisten gerechtfertigt?"
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