Das verheerende Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion war laut türkischem Katastrophenschutz das schwerste in Anatolien in den letzten 2.000 Jahren. Mindestens 40.000 Menschen sind dabei gestorben. Noch werden zahlreiche Opfer unter den Trümmern vermutet.
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Immer mehr häufen sich Hinweise, dass bei vielen Bauten Mängel zum Einsturz geführt haben. Viele Gebäude in der Katastrophenregion hätten offenbar erst gar nicht genehmigt werden dürfen. Die Neu-Ulmer Journalistin Mesale Tolu wirft der Regierung in der Türkei - das Heimatland ihrer Eltern - Versagen vor.
Laxe Handhabung von Baugesetzen
"Die Behörden haben die Gesetze gegen Pfusch am Bau seit dem letzten großen Erdbeben nicht eingehalten", so Tolu. Zu oft werde ein Auge zugedrückt, wenn die Bauregelungen nicht befolgt werden.
Mit einem sogenannten "Baufrieden" hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan 2019 eine Amnestie für fehlerhafte Bauten erwirkt. "Wir haben mit dem Baufrieden die Probleme von 144.556 Bürgern in Kahramanmaras gelöst", sagte Erdogan damals.
Dort leben Tolus Onkel und Cousins. Auch deren Wohnungen lägen in Trümmern. "Sie versuchen alle die schlimmen Erlebnisse der vergangenen Tage erstmal zu verarbeiten" berichtet 39-Jährige. Über ihre Verwandten bekomme sie hautnah mit, wie die Bergungsarbeiten und die Hilfe in den betroffenen Gebieten vorangeht.
Experten hatten vor dem Beben gewarnt
"Unvorbereitet" nennt Tolu im BR die Regierung in Ankara mit Blick auf die Katastrophe. Erdbebenprävention habe nur unzureichend stattgefunden.
Seit dem letzten verheerenden Beben von 1999, das Tolu als Teenagerin erlebt hat, sei zu wenig passiert. "Der Staat hatte von Anfang an keine Kontrolle und war nach dem Beben nicht für die Menschen da", moniert sie.
Die jetzt erneut aufgekommene Kritik an den Maßnahmen und am Krisenmanagement wolle die türkische Führung "mit Verhaftungen und Twitter-Sperren stilllegen." Dabei seien es Hilfeschreie von Betroffenen. Noch immer gebe es Gebiete, wo die Bergung noch nicht begonnen habe und Hilfslieferungen nicht ankämen.
Wegen ihrer Arbeit im Gefängnis
Tolu war Ende April 2017 in Istanbul festgenommen worden und anschließend mehr als sieben Monate in Haft. Die Journalistin mit kurdischen Wurzeln hatte in der Türkei unter anderem für die Nachrichtenagentur Etha gearbeitet. Der Prozess gegen sie begann im Oktober 2017, rund zwei Monate später wurde Tolu unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen.
Im August 2018 durfte sie nach Aufhebung der Ausreisesperre in ihre Heimat Deutschland zurückkehren. Im Laufe des Prozesses hatte auch die Staatsanwaltschaft einen Freispruch für Tolu von allen Anklagepunkten verlangt. Für ihren Ehemann Corlu und weitere Angeklagte hatte sie dagegen eine Verurteilung wegen Terrorpropaganda gefordert. Tolu wurde Anfang 2022 freigesprochen.
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