Ausschnitt aus dem vom Innenministerium inzwischen offline genommenen Anti-Salafismus-Video (aufgenommen am 03.09.24)
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Ausschnitt aus dem vom Innenministerium inzwischen offline genommenen Anti-Salafismus-Video (aufgenommen am 03.09.24)

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Ministerium: Anti-Salafisten-Video "versehentlich" geschaltet

Ministerium: Anti-Salafisten-Video "versehentlich" geschaltet

Das scharf kritisierte Anti-Salafisten-Video wurde laut Bayerns Innenministerium "versehentlich verfrüht veröffentlicht". In die Erstellung wurden keine muslimischen Verbände oder externe Experten einbezogen. Für SPD und Grüne ein schwerer Fehler.

Viel Wirbel um 26 Sekunden: Nach scharfer Kritik an seinem Video "Die Salafismus-Falle" löschte das bayerische Innenministerium Anfang September den Clip nach nur zweieinhalb Stunden von seinen Social-Media-Kanälen. Wenige Tage später bat Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei einer interreligiösen Konferenz alle Muslime um Entschuldigung, "die sich durch diese Bilder beleidigt oder angegriffen fühlen".

Aber wie entstand das Video? Wie kam es zur Veröffentlichung? Die Fraktionen von SPD und Grünen wollten Aufklärung – jetzt liegen die Antworten vor. Anders als in einer Stellungnahme des Ministeriums vor fünf Wochen spricht Innenstaatssekretär Sandro Kirchner (CSU) nun von einer Panne: Das Video sei "versehentlich verfrüht" auf Social Media geschaltet worden. Es sollte laut Kirchner für eine Kampagne werben, die Jugendliche vor den Gefahren durch Salafisten warne.

Frau verschwindet im Rachen eines Predigers

Das animierte Video zeigt eine junge Frau, die in einem Smartphone-Clip einen Prediger mit Gebetskappe sieht. Eingeblendet wird die Frage: "Dürfen sich Musliminnen schminken?" Dazu düstere Musik. Der Prediger lacht boshaft, reißt den Mund auf – und die Frau verschwindet in seinem Rachen. Kurz darauf ist sie mit Kopftuch zu sehen, dann mit Vollverschleierung.

Die Präventionskampagne richtet sich laut Kirchner an junge Menschen zwischen elf und 16 Jahren. Sie sollten darüber aufgeklärt werden, "wie manipulativ salafistische Prediger im Netz agieren". Zudem sei die Botschaft der Kampagne auch für 16- bis 24-Jährige relevant. Die Bild- und Tonsprache des Videos setze auf eine "sehr direkte, stark mit Vereinfachungen arbeitende" optische Ausrichtung, wie sie beispielsweise auf TikTok üblich sei und von jugendlichen Nutzern erwartet werde.

Staatsanwaltschaft prüft Strafanzeigen

Das Verschlucken der Frau symbolisiere das "immer tiefere Eintauchen der Jugendlichen über die Algorithmen der Social-Media-Kanäle" und die "Überhäufung mit extremistischem Gedankengut", erläutert Kirchner in seiner Antwort auf die Fragen von SPD und Grünen.

Da die Bildsprache bei vielen Usern aber den Eindruck erweckt habe, die Kampagne richte sich generell gegen Muslime, sei diese umgehend gestoppt worden und werde überarbeitet. Die Staatsanwaltschaft München prüft den Angaben zufolge mehrere Strafanzeigen wegen des Videos.

"Besondere Sensibilität des Themas" diskutiert

Kirchner versichert, dass im Ministerium vorab die "besondere Sensibilität des Themas" diskutiert worden sei. "In dem Video geht es nicht um den Islam, sondern um Salafisten und andere Islamisten." Die Ministeriumsspitze habe die grundsätzliche Konzeption der Kampagne gebilligt, das Video allerdings vor der vorzeitigen Ausspielung nicht gesehen.

Trotz des sensiblen Themas sah das Innenministerium keine Notwendigkeit, sich für die Kampagne mit muslimischen Verbänden oder Partnern im interreligiösen Dialog auszutauschen. Beraten ließ es sich vom Landesamt für Verfassungsschutz und dem Bayerischen Landeskriminalamt. Die "gestalterische und technische Umsetzung" wurde dann einer Kommunikationsagentur überlassen.

"Eine ganze Reihe von Geburtsfehlern"

Die SPD-Innenexpertin im Landtag, Christiane Feichtmeier, sagt dem BR, ihre Anfrage bestätige eine ganze Reihe von Geburtsfehlern bei dem Video. Das Ministerium habe sich nur von Sicherheitsbehörden beraten lassen. "Die Expertise von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die seit Jahren in der Salafismus-Prävention tätig sind, wurde nicht mit einbezogen." Partner seien durch das Video sogar beschädigt worden. "Erinnert werden soll hier an den Psychologen Ahmad Mansour, der sich öffentlich dagegen wehren musste, um nicht mit dem Video in Verbindung gebracht zu werden."

Wenn man ein so diffiziles Unterfangen angehe, müsse möglichst viel Feedback eingeholt werden, betont Feichtmeier. "Ob verfrüht veröffentlicht oder nicht, das Video war nicht nur wirkungslos, sondern auch kontraproduktiv und hat der salafistischen Szene geholfen." Die Entschuldigung des Ministers sei "mehr als angebracht" gewesen, sei allerdings nur in kleinem Kreis erfolgt. Herrmann müsse sein Haus in Ordnung bringen.

"Schwerer strategischer Fehler"

Grünen-Innenexperte Florian Siekmann kritisiert es als "schweren strategischen Fehler" des Innenministers, "eine Kampagne gegen Salafismus ohne Einbeziehung der liberalen muslimischen Community aufzusetzen". Der Schaden, salafistische Opfererzählungen zu bedienen, statt zu bekämpfen, hätte vermieden werden können. Bei der Überarbeitung müsse die liberale muslimische Community mit am Tisch sitzen. "Sie ist eine Verbündete im Kampf gegen Extremismus."

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