Ausschnitt aus dem vom Innenministerium inzwischen offline genommenen Anti-Salafismus-Video (aufgenommen am 03.09.24)
Bildrechte: Bayerisches Innenministerium/Bayerischer Rundfunk 2024
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Ausschnitt aus dem vom Innenministerium inzwischen offline genommenen Anti-Salafismus-Video (aufgenommen am 03.09.24)

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Viel Kritik an Anti-Salafismus-Video – Innenministerium reagiert

Viel Kritik an Anti-Salafismus-Video – Innenministerium reagiert

Mit einem Social-Media-Video wollte Bayerns Innenministerium vor Salafismus warnen. Aber an dem Clip gibt es viel Kritik: Muslime würden stigmatisiert, die Bildsprache erinnere an NS-Ästhetik. Das Ministerium hat die Kampagne erstmal gestoppt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Eine junge Frau sieht einen Prediger mit Gebetskappe und Bart in einem Smartphone-Clip. Eingeblendet wird die Frage: "Dürfen sich Musliminnen schminken?" Zu hören sind düstere Klänge, ein boshaftes Lachen. Das Gesicht des Predigers wird rot und zur Fratze, die Frau verschwindet in seinem Rachen.

Kurze Zeit später trägt die Frau erst ein Kopftuch, dann ist ihr Gesicht vollverschleiert. Sie heiratet einen älteren muslimischen Mann. Oder sie muss ihn heiraten. Schließlich laufen ihr beim Putzen in der Küche, neben mindestens einer weiteren vollverschleierten Frau, Tränen aus den Augen. "Die Salafismus-Falle" wird als Schriftzug eingeblendet. Untertitel: "Es geht schneller als Du denkst".

Gohlke: "Durch und durch rassistisches Video"

Das ist die Kurzform eines halbminütigen Animations-Videos, in dem Bayerns Innenministerium vor den Gefahren durch Salafismus warnen wollte. Allerdings gibt es viel Kritik an Inhalt und Bildsprache. Laut der bayerischen Linken-Bundestagsabgeordneten Nicole Gohlke handelt es sich um einen "durch und durch rassistischen Videoclip". Statt Ausgrenzung und Hetze brauche es gerade in diesen Zeiten Haltung gegen antimuslimischen Rassismus, schrieb Gohlke auf der Plattform X.

Der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat kritisierte ebenfalls bei X: "Muslime werden in dem Clip dämonisiert." Er fühle sich an den "Stürmer" erinnert, die Wochenzeitung der Nationalsozialisten in Deutschland. "Ich werde eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen den bayerischen Innenminister prüfen."

Auch viele andere Nutzerinnen und Nutzer beklagten, es handle sich um eine karikaturhafte und stereotype Darstellung von Musliminnen und Muslimen. Erst ganz am Schluss des Videos werde deutlich, dass es sich um eine Warnung vor Salafisten handle – und nicht generell um eine antimuslimische Botschaft.

Ministerium bedauert "Irritationen und Missverständnisse"

Inzwischen ist das Video nicht mehr über den X-Account des bayerischen Innenministeriums zu finden. Auf BR24-Anfrage bestätigte ein Ministeriumssprecher, dass der Clip als Reaktion auf die Kritik offline genommen wurde. "Wir nehmen die Kritik an dem Video sehr ernst und haben die Kampagne erstmal gestoppt", sagte der Sprecher. "Wir bedauern außerordentlich, wenn das Video zu Irritationen und Missverständnissen geführt hat." Man werde die Videoszenen überarbeiten.

Den Angaben zufolge war das Video "eine auf Social Media geschaltete Bewerbung einer neuen Kampagne des bayerischen Innenministeriums, um über die von Salafisten und anderen Islamisten ausgehenden Gefahren zu informieren und ihre Vorgehensweise aufzuzeigen". Demnach versuchen einflussreiche salafistische Prediger, "mit auf den ersten Blick harmlos wirkenden Alltagsthemen insbesondere junge Menschen zu ködern und für ihr extremistisches Gedankengut zu gewinnen". Die Gefahren des Salafismus dürften nicht verharmlost werden, betonte der Ministeriumssprecher.

Imam Idriz: "Hetzerisch, rassistisch, islamfeindlich"

Der Penzberger Imam Benjamin Idriz nannte das Video auf BR24-Anfrage "äußerst hetzerisch, rassistisch, islamfeindlich und zutiefst verletzend". Die Empörung über diese Produktion unter Muslimen sei groß, "selbst bei jenen, die muslimischen Verbänden kritisch gegenüberstehen". Ein solches Video schüre Ressentiments und führe zur Radikalisierung junger Menschen. "Es ist schlichtweg kontraproduktiv."

Idriz kritisierte auch den Zeitpunkt der Veröffentlichung. "Dass ein solches Video unmittelbar nach den Wahlergebnissen in Thüringen veröffentlicht wurde, wo Rechtsradikale an Einfluss gewinnen, wirft bei Muslimen die Frage auf: Sind die CSU und AfD in einem Wettstreit darüber, wer mehr Hass gegenüber Muslimen schürt – oder sind sie tatsächlich gegnerische Parteien?"

Er könne sich nicht vorstellen, dass Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) damit einverstanden war, sagte Idriz. "Ich gehe davon aus, dass antimuslimische Kräfte innerhalb seines Ministeriums diese Produktion ohne sein Wissen in Auftrag gegeben haben." Und weiter: "Wer tatsächlich den Salafismus bekämpfen möchte, karikiert keine muslimischen Symbole, die Muslime verletzen, sondern nutzt andere Methoden und stärkt vor allem die Kräfte, die präventiv in der Antiradikalisierungsarbeit innerhalb der Moscheen und in den sozialen Medien tätig sind."

SPD kündigt Fragenkatalog an – Grüne: "Plumpe Vorurteile"

Die bayerische SPD-Fraktion verlangt dagegen vom Innenministerium Aufklärung. Die Abgeordnete Christiane Feichtmeier will eine Schriftliche Anfrage ans Innenministerium stellen. Gefragt werden soll unter anderem, wie teuer das Video war und von wem es abgenommen wurde. Feichtmeier sagte, es könne nicht sein, "dass Steuermittel für etwas ausgegeben werden, was nicht wirkt oder vielleicht sogar dem Anliegen einen Bärendienst erweist".

Auch die Landtags-Grünen übten Kritik. "Salafisten verführen junge Menschen geschickt auf TikTok und die Staatsregierung blamiert sich auf X", sagte Florian Siekmann, innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion. "Wir brauchen geschickte Gegenmaßnahmen statt plumpe Vorurteile, die salafistische Opfererzählungen nur noch verstärken."

"Wenn ich das Video richtig deute..."

Gleichzeitig gibt es auch Wortmeldungen, die das Video und seinen Inhalt verteidigen. Der Frankfurter SPD-Politiker Alexander Lorenz erklärte: "Wer das Video richtig deuten kann, und es auch versteht, weiß, dass es nicht um Muslime geht, sondern um Salafisten." Werbung dürfe gerne provozieren, er sehe keine Volksverhetzung oder Rassismus.

Im Freistaat gibt es seit neun Jahren das "Bayerische Netzwerk für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus". Dabei arbeiten verschiedene Ministerien (Innen, Justiz, Kultus und Soziales) sowie zivilgesellschaftliche Träger zusammen. "Um jegliche Form der Radikalisierung durch die islamistische Ideologie des Salafismus zu verhindern, sind Staat und Gesellschaft gemeinsam gefordert", heißt es auf der Webseite des Netzwerks (externer Link). Neben staatlichen Maßnahmen wie Vereinsverboten und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren brauche es präventive Maßnahmen gegen Salafismus.

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