Als Petra Hörmann vor fünf Jahren den Brief von ihrer Gemeinde öffnet, steht darin eine gute Nachricht. Die mehr als 50 Jahre alte Straße in Balzhausen im Landkreis Günzburg, an der sie lebt, werde komplett erneuert, heißt es. Und: auf die Anwohner kämen keine Kosten zu. "Das war für mich glaubwürdig, weil das ein Schreiben ist, das von einer Behörde kommt", erzählt Hörmann im BR-Politikmagazin Kontrovers.
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Anwohnerin soll plötzlich 23.000 Euro für Straßenerneuerung bezahlen
Mittlerweile ist die Sudetenstraße längst saniert, doch aus der vermeintlich guten Nachricht ist eine finanzielle Katastrophe für Hörmann geworden. Denn im vergangenen Jahr wurde ihr in einem zweiten Schreiben mitgeteilt, die Erneuerung sei doch nicht kostenlos – sie soll 23.000 Euro an die Gemeinde überweisen. "Ich habe es zweimal gelesen, weil ich es nicht fassen konnte. Mich hat es geschockt."
Straße stellt sich als Provisorium heraus
Alle Eigentümer der 13 Grundstücke werden per Brief aufgefordert, zu zahlen. Denn den Behörden ist aufgefallen, dass es sich bei der Sudetenstraße gar nicht um eine Straße, sondern lediglich um ein sogenanntes Provisorium gehandelt hat. Erst durch die Baumaßnahmen habe man die Straße erstmalig erschlossen. Und dafür verlangt die Gemeinde Erschließungsbeiträge von den Anwohnern.
Gesetz für Sanierung alter Straßen gilt nicht für Provisorien
Dabei gilt seit 2021 in Bayern ein Gesetz, nach dem Anwohner keine Erschließungskosten für Straßen zahlen müssen, wenn diese älter als 25 Jahre sind. Doch diese Regelung gilt nicht für Provisorien – auch dann nicht, wenn sie seit Jahrzehnten genutzt werden. Petra Hörmann und die Anwohner der Sudetenstraße müssen nun insgesamt 850.000 Euro für den Straßen-Neubau selbst bezahlen.
Im Video: Kontrovers-Interview mit Alexander Hold, Vizepräsident des Bayerischen Landtags
Landtagsvizepräsident Hold: "Ärger mehr als nachvollziehbar"
Landtagsvizepräsident Alexander Hold, Freie Wähler, hört immer wieder von solchen Fällen. Er hat sich damals für das neue Gesetz zur Entlastung der Anwohner beim Straßenbau eingesetzt. "Der Ärger ist mehr als nachvollziehbar, wenn man nach Jahrzehnten zur Kasse gebeten wird", sagt er im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers.
Kommunen in der Verantwortung
Nach Ansicht des Juristen handelt es sich bei dem Problem aber nicht etwa um eine Gesetzeslücke. Vielmehr sieht er die Verantwortung bei den Kommunen: Diese müssten solche Straßen schneller fertigstellen und abrechnen. "Wir haben immer wieder die Problematik, dass Gemeinden das über Jahrzehnte nicht abrechnen. Natürlich gibt es dann später Ärger, zumal das dann natürlich nach Jahrzehnten alles viel teurer ist." Das Prinzip jedoch sei richtig: Wer zu seinem Grundstück eine Straße bekommt und dort ein Haus bauen darf, müsse sich an den Erschließungskosten beteiligen.
Balzhausen ist kein Einzelfall: Weitere Straßen in Bayern betroffen
Recherchen des Bayerischen Rundfunks zeigen: Was im schwäbischen Balzhausen passiert, ist kein Einzelfall. In Vaterstetten bei München etwa spielt sich ein ähnliches Szenario ab. Dort wurde die Andreas-Herz-Straße kürzlich instand gesetzt – und auch diese wurde in diesem Zuge von den Behörden als Provisorium deklariert. Die Straße existiert zwar seit den 60er-Jahren, doch die Beleuchtung und Entwässerung wurden nie vollständig errichtet. 450.000 Euro werden nun auf die Grundstückseigentümer der Andreas-Herz-Straße umgelegt. Mindestens fünf Straßen hat die Verwaltung im Gemeindegebiet identifiziert, die ebenfalls als Provisorien zu betrachten sind.
Gemeinderäte hatten vorab kostenlose Sanierungen beschlossen
Was Vaterstetten und Balzhausen gemeinsam haben: In beiden Fällen hatten die Gemeinderäte vorab beschlossen, dass die Anwohner durch die Baumaßnahmen nicht finanziell belastet würden. Und in beiden Fällen kam es anders. Für die Gemeinden heißt es in Zukunft: Sie müssen für jede Straße die frühere Bauplanung überprüfen.
Anwohner der Sudetenstraße in Balzhausen wollen klagen
Die Hausbesitzer der Sudetenstraße in Balzhausen haben bereits hohe Summen an die Gemeinde überwiesen, einer von ihnen fürchtet sogar, sein Haus verkaufen zu müssen. Doch jetzt wollen sich die Anwohner wehren. "Ich werde klagen, weil ich denke, ich möchte mein Recht haben", sagt Petra Hörmann.
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