Gebäude des ehemaligen Internats der Maristen in Mindelheim
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Das Internat der Maristen in Mindelheim, hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2010, ist seit 2014 geschlossen.

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Missbrauch in Ordens-Internat: Opfer sehen sich übergangen

Missbrauch in Ordens-Internat: Opfer sehen sich übergangen

Der Verein früherer Schüler des Mindelheimer Maristen-Internats, die von sexuellem Missbrauch berichten, kritisiert ein neues Aufarbeitungsangebot des Ordens: Die Opfer seien übergangen worden. Derweil wird ein Urteil gegen einen Täter rechtskräftig.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Schwaben am .

Der Verein "Wir sind viele! e.V." von ehemaligen Schülern des Internats der Maristen in Mindelheim kritisiert ein neues Angebot des katholischen Ordens zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen. Man erwarte sich davon "keinen signifikanten Beitrag zur Aufarbeitung der sexuellen Übergriffe am Maristenkolleg", teilt der Verein mit.

"Weder unabhängig noch eine Aufarbeitung"

Die von den Maristen beauftragten Kanzlei Westpfahl Spilker Witt (WSW) hat in einer Erklärung ein "unabhängiges Aufarbeitungsprojekt" angekündigt. Das Projekt sei aber "weder unabhängig noch eine Aufarbeitung", heißt es von "Wir sind viele! e.V.". Weiter erklärt der Verein, wenn die Maristen "mit ihrem Geld eine Anwaltskanzlei mit einer Prüfung" beauftragten, dann handele es sich um ein Projekt des Ordens in dessen eigenem Interesse.

Echte Aufarbeitung könnten nur die "Betroffenen selbst und deren Angehörige" leisten. Missbrauchs-Opfer sollten sich daher besser an ihren Verein oder an die Beratungsstelle "Eckiger Tisch" wenden.

Kanzlei ein "gänzlich unabhängiger Berichterstatter"?

Die Kanzlei WSW hatte weiter bekanntgegeben, dass sie vom deutschlandweiten Institut der Maristenbrüder "als gänzlich unabhängiger Berichterstatter mit der Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige und erwachsene Schutzbefohlene in den deutschen Ordensniederlassungen bzw. -einrichtungen seit 1945 beauftragt" wurde.

Zur Erstellung eines Untersuchungsberichts sollten "Betroffene und Zeitzeugen sexuellen Missbrauchs in den deutschen Ordensniederlassungen" sich an die Kanzlei wenden.

Verein will die Würde der Betroffenen wiederherstellen

Der Verein "Wir sind viele! e.V." war nach eigenen Angaben vorab über das Projekt informiert worden und habe "zur Unterstützung des Vorhabens" Forderungen seitens der Opfer gestellt. Dazu gehörten etwa eine "Bereitschaft zu außergerichtlichen Entschädigungen" oder eine "Pflicht zur Veröffentlichung der Ergebnisse" der Untersuchungen durch die Kanzlei.

Diese Forderungen mit dem Ziel, "die Würde der Betroffenen wiederherzustellen", seien jedoch "bei der Vorbereitung des Projekts der Maristen und WSW übergangen" worden.

Bericht soll veröffentlicht werden – nur wann?

Rechtsanwalt Thomas Wastl von der Kanzlei WSW widerspricht und erklärt dazu auf Anfrage des BR, dass es sehr wohl "Teil der Vereinbarung" mit dem Orden sei, die Ergebnisse zu veröffentlichen. In der Mitteilung der Kanzlei ist die Rede von einem "eigenverantwortlich zu veröffentlichenden Untersuchungsbericht". Allerdings könne man keinen Zeitrahmen für die Veröffentlichung nennen, so Wastl.

Urteil gegen früheren Ordensbruder ist rechtskräftig

Am Dienstag dieser Woche war zudem bekannt geworden, dass das Urteil im Berufungsprozess gegen den heute 65-jährigen Ex-Internatsleiter vor dem Landgericht Memmingen nun rechtskräftig ist. Der frühere Frater, den der Maristen-Orden im Jahr 2022 ausgeschlossen hat, war im vergangenen Dezember zu einem Jahr und acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden; wegen vier Fällen von sexuellem Missbrauch und einem Fall von sexueller Nötigung an zwei damals 13- und 17-jährigen Jugendlichen vor rund 20 Jahren.

Vom schwersten Vorwurf, dem der mehrfachen Vergewaltigung eines damals 15-Jährigen, hatte das Gericht ihn allerdings freigesprochen – wie auch schon in erster Instanz das Amtsgericht Memmingen. Trotz Zeugenaussagen von Mitschülern, Erziehern und Therapeuten, die den Vorwurf stützten, sah das Gericht den "schweren sexuellen Missbrauch" nicht als zweifelsfrei erwiesen an.

Revision laut Staatsanwaltschaft ohne Aussicht auf Erfolg

Das Urteil wurde nun rechtskräftig, weil weder die Staatsanwaltschaft noch der Anwalt der Nebenklage, also des möglichen Vergewaltigungsopfers, Detlef Kröger, einen Revisionsantrag gegen das Urteil eingereicht haben. Einen solchen hatte der Anwalt, der im Prozess sechs Jahre Gefängnis gefordert hatte, unmittelbar nach der Urteilsverkündung noch angekündigt. Warum man auf diesen Antrag doch verzichtet habe, dazu möchte er sich "im Moment nicht äußern", sagte Kröger dem BR.

Die Staatsanwaltschaft, die drei Jahre und zehn Monate Haft gefordert hatte, verzichtete ebenfalls auf eine Revision. Diese hätte "keine Erfolgschancen gehabt", heißt es auf Anfrage, weil "die durch das Gericht erfolgte Beweiswürdigung keine Rechtsfehler erkennen ließ". Anders als bei einer Berufung, die in diesem Fall nicht mehr zulässig war, wird bei einer Revision der Fall nicht noch einmal neu aufgerollt. Es erfolgt lediglich eine Überprüfung auf Verfahrensfehler.

Die nun rechtskräftige Bewährungsstrafe ist die dritte derartige Strafe gegen den ehemaligen Frater in Folge: Bereits in den Jahren 2008 und 2011 war er in weiteren Fällen von sexuellem Missbrauch zu Bewährungsstrafen verurteilt worden.

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