Im Gerichtssaal stehen der Angeklagte und sein Verteidiger bei der Urteilsverkündung.
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Der Angeklagte mit einem seiner Anwälte bei der Urteilsverkündung im Berufungsprozess um Missbrauchsvorwürfe vor dem Landgericht Memmingen.

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Vergewaltigungsvorwurf: Früherer Internatsleiter freigesprochen

Vergewaltigungsvorwurf: Früherer Internatsleiter freigesprochen

Das Gericht sieht keinen zweifelsfreien Beleg dafür, dass der heute 64-Jährige einen damals 15-jährigen Schüler am ehemaligen Maristen-Internat in Mindelheim vergewaltigt hat. Eine Bewährungsstrafe erhält der ehemalige Ordensmann trotzdem.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Das Landgericht Memmingen hat die Berufung im Prozess um sexuellen Missbrauch durch den heute 64-jährigen ehemaligen Leiter des Internats des katholischen Maristen-Ordens in Mindelheim zurückgewiesen. Damit bleibt es zum jetzigen Zeitpunkt beim Urteil des Amtsgerichts Memmingen, das den früheren Ordensmann im Januar 2023 in erster Instanz vom Vorwurf der mehrfachen Vergewaltigung eines 15-jährigen Schülers vor rund 20 Jahren freigesprochen hatte. Das Amtsgericht hatte wegen eines psychologischen Gutachtens Zweifel an den belastenden Aussagen des mutmaßlichen Opfers. Dessen Anwalt war aber der Ansicht, das Gutachten weise handwerkliche Fehler auf, und hatte wie auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt.

Gericht hält "Schein-Erinnerungen" für möglich

Hinsichtlich der Vergewaltigungsvorwürfe entschied nun das Gericht, es gebe keinen zweifelsfreien Beleg, man könne zu keinem anderen Urteil kommen als zu einem Freispruch. Das mutmaßliche Opfer hatte bereits am zweiten Verhandlungstag am 9. Oktober geschildert, wie der Angeklagte ihn vor rund 20 Jahren wiederholt zum Geschlechtsverkehr gezwungen habe, insgesamt erinnere er sich an rund zehn solcher Übergriffe. Seine Mutter erzählte von einem Zusammenbruch ihres Sohnes, als er ihr 2018 erstmals von einem sexuellen Missbrauch erzählte. Die Familie sei stark belastet. Das mutmaßliche Opfer hatte laut Aussage eines ehemaligen Therapeuten bereits vor rund 20 Jahren sexuelle Übergriffe beschrieben und sei zu dem Zeitpunkt auch bipolar und psychotisch gewesen.

Mehrere Zeugen wie ehemalige Mitschüler, Erzieher und Therapeuten hatten vor Gericht Aussagen gemacht, die die Version des mutmaßlichen Opfers stützen. Dennoch sagte der Richter, dass die Möglichkeit sogenannter "Schein-Erinnerungen" nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Diese Möglichkeit hatte das psychologische Gutachten genannt, das in erster Instanz vom Amtsgericht eingeholt worden war.

Angeklagter erhält Bewährungsstrafe

Mit dem Urteil folgte das Gericht teilweise der Auffassung der Verteidiger des früheren Ordensmannes, die die Vorwürfe als unglaubwürdig und die Indizien als nicht ausreichend für eine Verurteilung zurückgewiesen und daher einen Freispruch gefordert hatten. Die Staatsanwaltschaft hingegen hatte drei Jahre und zehn Monate Haft gefordert, der Anwalt des mutmaßlichen Opfers mindestens sechs Jahre Haft.

Straffrei geht der Angeklagte aber nicht aus. Denn durch die Berufung wird das Urteil des Memminger Amtsgerichts in erster Instanz bestätigt, wonach der ehemalige Frater zwar von den Vergewaltigungsvorwürfen freigesprochen wurde, aber wegen sexuellen Missbrauchs in vier Fällen und sexueller Nötigung in einem Fall an zwei damals 13- und 17-jährigen Schülern verurteilt worden war - zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung. Die Taten hatte der Angeklagte bereits in der Verhandlung in erster Instanz gestanden. Zuvor war er schon vor mehr als zehn Jahren zweimal wegen Missbrauchsfällen zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Während des jetzigen Berufungsverfahrens hat sich der Angeklagte nicht zu den Vorwürfen geäußert.

Nebenklage legt Revision ein

Opfer-Vertreter zeigten sich enttäuscht über das Urteil. So bezeichnete Christian Fröhler vom Verein "Wir sind viele" es als "schweren Schlag" für die Betroffenen und den Nebenkläger und kritisierte besonders die Aussage des Verteidigers, das eigentliche Opfer sei der Angeklagte: "Sowas Schäbiges habe ich selten gehört, und es liegt an jedem Einzelnen, sich darüber ein Urteil zu bilden." In dem Verein haben sich ehemalige Schüler des Mindelheimer Maristen-Internats organisiert, die ebenfalls von Missbrauchshandlungen berichten und sich heute um Aufarbeitung bemühen.

Die Mutter des mutmaßlichen Opfers hörte das Urteil stoisch an, der Anwalt der Nebenklage wirkte fassungslos. "Wir haben heute den Tag erlebt, an dem sich die bayerische Justiz als unfähig erwiesen hat, die Missbrauchsfälle in Mindelheim entsprechend rechtlich zu würdigen", sagte Detlef Kröger dem BR. Wie bereits im Vorfeld der Urteilsverkündung angekündigt, hat die Nebenklage gegen das Urteil Revision eingelegt. Es ist damit noch nicht rechtskräftig. Eine Anfrage des BR nach einer Stellungnahme lehnten die Anwälte des ehemaligen Maristen-Fraters ab.

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