Bekannt ist nur "die Spitze der Spitze des Eisbergs": Das hatten die Verfasser der "ForuM-Studie" zu sexualisiertem Missbrauch im Bereich der evangelischen Kirche und der Diakonie bei der Veröffentlichung im Januar klargemacht. Denn nicht alle Personalakten, sondern nur die Disziplinarakten, wurden auf Hinweise zu möglichem Missbrauch untersucht.
Grüne: Staat soll Dunkelfeldstudie in Auftrag geben
Eine ursprünglich vereinbarte stichprobenartige Durchsicht aller Akten hatten die evangelischen Landeskirchen im Rahmen der ForuM-Studie nicht geleistet. Eine solche Aktendurchsicht hätte aber, daran ließen die Studienverantwortlichen keinen Zweifel, eine viel höhere Zahl an Missbrauchsfällen offenbart. Ein Dämmerfeld, quasi der Rest der Eisbergspitze, wäre wohl sichtbar geworden.
Doch dazu kam es nicht - zunächst. Obwohl nicht nur Missbrauchsbetroffene sagen, dass auch dieser ans Licht kommen müsse. Auch die religionspolitische Sprecherin der Grünen im bayerischen Landtag, Gabriele Triebel, fordert das. "Wenn in dieser Studie nur ein Bruchteil der Akten zur Verfügung gestellt worden sind, was ist dann mit den anderen Akten? Was ist mit den Akten, die noch gar nicht gesichtet sind? Wir fordern hier ganz klar ein Aufarbeitungsgesetz und auch, dass der Staat eine Dunkelfeldstudie über sexuellen Missbrauch in den Institutionen in Auftrag gibt, denn die steht aus." Dann kenne man auch das Ausmaß der Untaten, so Triebel, und könne entsprechend handeln.
SPD: Gibt keine Alternative zur systematischen Aktenanalyse
So argumentiert auch die religionspolitische Sprecherin der bayerischen Landtags-SPD, Katja Weitzel. "Mir ist schon klar, dass das mit einem sehr großen Aufwand verbunden sein wird, auch personell, aber ich glaube, dass es keine andere Maßnahme gibt. Und das sagt diese Studie tatsächlich auch: eine systematische Personalaktenanalyse, und zwar jeder Personalakte."
Auf eine entsprechende Anfrage Triebels, wie die Staatsregierung mit den Ergebnissen der ForuM-Studie umgehen wolle, antwortet die Staatsregierung mit Verweis auf die Forderung der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg an die Landeskirche: Demnach soll sie die "Daten zu allen Verdachtsfällen seit 1975" übergeben.
Ein Sprecher der Landeskirche erklärte dazu auf BR-Anfrage schriftlich: "Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern hat alle strafrechtlich relevanten Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt an die Staatsanwaltschaft gemeldet. Die Fälle werden mit der Staatsanwaltschaft jetzt nochmals abgeglichen."
Landeskirche: Durchsicht durch externe Fachleute in Planung
Das betrifft freilich nur die bislang bekannten Verdachtsfälle. Die Forscher gehen aber davon aus, dass in den Akten eine große Zahl bislang unbekannter Vorwürfe zu finden ist. Eine "Gesamtdurchsicht aller Personalakten", forderte zuletzt auch Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Denn es sei bereits wertvolle Zeit verstrichen. Eine "Gesamtdurchsicht aller Personalakten im Zusammenhang mit den Erkenntnissen aus der ForuM-Studie" habe man vor, sagte ein Sprecher der Landeskirche dem BR: "Die genaue Durchsicht durch externe Fachleute ist in Planung."
Eine Zielmarke, bis wann die Durchsicht der Akten erfolgen soll, nennen weder der Justizminister noch die Landeskirche. Auch ist offen, wer die Personalakten untersuchen solle, teilte der Sprecher der Landeskirche mit: "Zwei Wochen nach der Veröffentlichung der Ergebnisse der ForuM-Studie können wir noch keine konkrete Projektplanung oder gar Auftragnehmer präsentieren. Es handelt sich um sehr viele Personalakten, die dafür gesichtet werden müssen. Für dieses Vorhaben müssen mit Fachleuten geeignete Konzepte entwickelt und geeignete externe Experten gefunden werden."
Politik muss "mit Nachdruck Aufklärung einfordern"
Missbrauchsbetroffene hatten in der Vergangenheit immer wieder angemahnt, nicht den Kirchen die Aufklärung zu überlassen. Diese müsse der Staat leisten. Die bayerische FDP-Bundestagsabgeordnete Sandra Bubendorfer-Licht, religionspolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion, sagte dem BR auf Anfrage: "Die Politik darf sich bei diesem Thema nicht heraushalten." Nötig sei jetzt eine "mit einem starken staatlichen Mandat ausgestattete Kommission, die betroffene Organisationen nicht nur unterstützt und begleitet, sondern auch überwacht", zum Beispiel, ob konkrete Mindeststandards bei der Aufklärung von Missbrauch eingehalten würden, darunter Transparenz und Unabhängigkeit. Und: Gerade da, wo juristische Aufklärung etwa wegen Verjährung nicht mehr möglich sei, müsse die Politik "mit Nachdruck Aufklärung einfordern".
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