Die Polizei spricht von 100.000 Menschen – die Veranstalter gehen von einer Viertelmillion aus. Wie viele es tatsächlich waren, die am Sonntag in München an der Demonstration "Gemeinsam gegen rechts" teilgenommen haben, dürfte schwierig zu ermitteln sein. Wegen Sicherheitsbedenken mussten die Organisatoren die Veranstaltung zwischen Münchner Freiheit und Odeonsplatz nach einer Stunde wegen Überfüllung jedenfalls abbrechen.
Großdemo gegen rechts in München: Andrang bis zum Abbruch
Laut Polizei entfernte sich dann ein Großteil der Demonstranten friedlich vom Versammlungsort. Etwa 2.500 Menschen seien anschließend zu einer Spontanversammlung zusammengekommen, die gegen 16.45 Uhr aufgelöst worden sei. Über 450 Einsatzkräfte waren laut Polizei bei der Münchner Demo im Einsatz.
BR-Reporter berichteten von übervollen U- und S-Bahnen, die manche Haltestellen in der Innenstadt nicht mehr anfahren konnten – viele Menschen seien erst gar nicht mehr zur Demonstration gelangt. Zudem sei das Mobilfunknetz überlastet gewesen. Nach Gesprächen von Polizei und Feuerwehr mit der Veranstaltungsleitung wurde beschlossen, die Veranstaltung abzubrechen.
"Allerhöchste Zeit, dass wir als Gesellschaft gemeinsam für unsere Demokratie und Vielfalt einstehen!", teilten die Organisatoren mit. "Wir alle müssen jetzt aufstehen gegen Rechtsextremismus, wir müssen uns gemeinsam gegen die anhaltenden Entwicklungen stemmen, die nicht erst seit dem von Correctiv aufgedeckten Geheimtreffen die reale Gefahr für unsere Demokratie sind."
Reiter und Knobloch stolz und hoffnungsvoll
An der Demo nahmen auch mehrere bayerische Spitzenpolitiker teil, darunter Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Er sagte dem BR: "Wir werden alles tun, gegen jeden Ruck nach rechts, den wir derzeit sehen, aufzustehen." In Bezug auf die große Teilnehmerzahl betonte Reiter, das seien die Momente, in denen er stolz sei, Münchner OB zu sein.
Auch Charlotte Knobloch, die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, nahm an der Veranstaltung teil. "Ich habe wieder Hoffnung, wenn ich die vielen jungen Menschen hier sehe, die sich mit dem ganzen Herzen für die Demokratie und Menschenrechte einsetzen", sagte Knobloch. Das sei das, was sie sich immer gewünscht habe.
Im Video: BR-Reporterin Christina Schmitt zur Demo in München (16 Uhr)
Söder sieht starkes Zeichen für Demokratie
Viele Demonstranten in München wandten sich auf Plakaten gegen rechtsextremes Gedankengut: "Remigriert euch ins Knie", "Lasst uns aus der Geschichte lernen, statt sie zu wiederholen", "Keine Toleranz für Intoleranz", "AfD - Ein Albtraum für Deutschland" und "Braune Flaschen gehören in den Altglascontainer nicht in den Bundestag" war dort unter anderem zu lesen. Auch Kritik an einer zunehmenden Rechtsdrift bürgerlicher Parteien wurde laut, "Abschottung ist Massenmord – Asylrechtsabschaffung stoppen" war zu lesen.
Bayern Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der auf der Demonstration nicht gesichtet wurde, schrieb am Sonntagnachmittag auf X: "Ein starkes Zeichen für die Demokratie: Zehntausende engagierte Bürgerinnen und Bürger haben heute in Deutschland und Bayern gegen Rechtsradikalismus demonstriert. Vielen Dank für dieses klare Signal! Wenn Demokraten zusammenhalten, haben Extremisten keine Chance. Wir werden unsere Werte gemeinsam und entschlossen verteidigen."
Piazolo: "Wichtig, gegen rechts zu demonstrieren"
Auch Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger von den Freien Wählern blieb der Veranstaltung fern. Er sprach auf einer Bauerndemo im Allgäu. Zuvor hatte er vor einer linksextremistischen Unterwanderung der Demos gegen rechts gewarnt. Sein Parteikollege, der frühere bayerische Kultusminister Michael Piazolo, sieht diese Gefahr nicht. Er stand ganz vorne an der Bühne: "Weil ich es sehr wichtig finde, gegen rechts zu demonstrieren. In Deutschland ist die AfD zu stark und deshalb tu ich auch alles, um ein Zeichen zu setzen und ich finde es sehr gut, dass wir das hier alle zusammen tun", so Piazolo.
Auch Vertreter vom Antifa Stammtisch München und Antifa NT, die vom bayerischen Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft und beobachtet werden, durften auf der Bühne sprechen. Dazu sagte Piazolo: Man könne "im Detail immer etwas kritisieren", ihm gehe es aber darum, "mit vielen Münchner Bürgern hier zusammenzustehen". Ähnlich äußerte sich Organisatorin Jana Häfner von Fridays for Futures: "Wir treten hier alle für denselben Grund ein, für Demokratie und Vielfalt", so Häfner. Deswegen dürften auch alle sprechen, die diese Werte teilen.
Regensburg: Protest gegen "Normalisierung" der extremen Rechten
Wie bereits am Samstag wurde auch am Sonntag in mehreren bayerischen Städten gegen rechts demonstriert. In Regensburg versammelten sich mindestens 4.000 Menschen in der Altstadt. Zu der Kundgebung hatte das Bündnis "Initiative gegen Rechts" aufgerufen. Dem Bündnis gehören über 20 Mitgliedsgruppen an, unter anderem Gewerkschaften, Parteien und andere Organisationen wie "Fridays For Future" und "Sea Eye". Laut einem Polizeisprecher verlief die Demonstration sehr friedlich. Unter den Demonstranten seien auch viele Familien mit Kindern. Allerdings habe die Polizei Mühe, wegen des starken Zulaufs die Gassen und Wege zum Haidplatz freizuhalten, so ein Sprecher.
Die Redner und Teilnehmer der Kundgebung wandten sich gegen eine ihrer Ansicht nach zunehmende Normalisierung der extremen Rechten. Bis tief in die sogenannte bürgerliche Mitte hinein hätten rassistische, antisemitische und demokratiefeindliche Ansichten eine feste Heimat. Es gelte jetzt, in allen Lebensbereichen und gesellschaftlichen Schichten klare Kante zu zeigen. Unter den Teilnehmern waren auch die Regensburger Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) und die zweite Bürgermeisterin Astrid Freudenstein (CSU).
Im Video: Tausende bei Demo gegen rechts in Regensburg
Hunderttausende demonstrieren bundesweit gegen rechts
In Coburg hatte das Wertebündnis "Wir sind bunt: Coburg Stadt und Land" am Sonntag zu einer Kundgebung aufgerufen. Unter dem Titel "Gemeinsam gegen Rechts" fanden sich laut Polizeiangaben nach ersten Schätzungen etwa 2.000 Teilnehmende auf dem Marktplatz ein.
Bundesweit engagieren sich Menschen am Wochenende gegen rechts. In Köln herrschte am Sonntag großer Andrang bei einer Demonstration, die Veranstalter sprachen von 70.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. In Bremen nahmen nach Angaben des Netzwerks Campact 50.000 Menschen teil, die Polizei schätzte die Zahl auf 45.000. Großer Andrang wurde auch zum Auftakt einer Demonstration in Stuttgart gemeldet. Kurz nach Beginn sei der Marktplatz bereits voll, teilte die Polizei mit. In Dresden nahmen an der "Zusammen gegen Rechts"-Demonstration nach Angaben der Organisatoren Fridays for Future (FFF) mehr als 40.000 Menschen teil. Das Kulturbüro Sachsen schätzte die Teilnehmerzahl auf rund 25.000.
Nach Schätzungen der Polizei beteiligen sich mindestens 100.000 Menschen in Berlin an einer Demonstration gegen rechts. Die Veranstalter sprachen von 350.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Diese Angaben hielt die Polizei für zu hoch.
Proteste nach Enthüllung eines menschenverachtenden Plans
Die Proteste sind unter anderem beflügelt durch die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremisten am 25. November 2023, an dem AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der "Werteunion" teilgenommen hatten. Correctiv enthüllte den Plan der Rechten, unter anderem Menschen mit Migrationshintergrund zu deportieren.
Seit der Recherche-Veröffentlichung gibt es zahlreiche Demos bundesweit. Deutschlandweit gingen am Samstag Hunderttausende auf die Straßen, in Bayern kamen allein in Nürnberg nach Polizeiangaben etwa 15.000 Menschen zusammen. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer warben mit selbst gestalteten Plakaten für ein Miteinander in Deutschland. Sprechchöre riefen: "Ganz Nürnberg hasst die AfD!"
Mit Informationen von dpa und epd.
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