Ist es ein Trostpflaster, weil München bis mindestens 2035 – und damit viel länger als gedacht – auf die zweite Stammstrecke warten muss? Fahrgäste der Münchner S-Bahn sollen zukünftig mit den modernsten S-Bahn-Zügen Deutschlands unterwegs sein. Siemens Mobility wird 90 neue Fahrzeuge fertigen. Ab 2028 sollen die extralangen und durchgängigen Züge für München ausgeliefert werden. Mit 202 Metern sind sie so lang wie ein ICE oder ein dreiteiliger S-Bahn-Langzug.
Vor allem Stehplätze und mehr Abstellflächen
1.842 Fahrgäste sollen mitfahren können, bei 480 Sitzplätzen. Das heißt: In den S-Bahnen der nächsten Generation gibt es vor allem Stehplätze und Flächen zum Abstellen von Fahrrädern, Kinderwagen, Rollatoren oder Rollstühlen. Wer sitzen kann, erhält mehr Beinfreiheit. Die Türen sind extra breit für schnelles und bequemes Ein- und Aussteigen.
Ersatz für 1.500 Pkw in der Rushhour
Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) lobte die Investition von zwei Milliarden Euro, die zwei Dritteln der Nahverkehrsfahrgäste in Bayern zugutekommen werde. Das sei ein "riesiger Schritt für noch mehr klimaschonende Mobilität im größten Ballungsraum Bayerns". Vor allem Autofahrer aus der Region sollen auf die S-Bahn umsteigen. In der Rushhour ersetze dann eine der neuen S-Bahnen 1.500 Pkw, sagte Bahn-Vorständin Evelyn Palla. Siemens habe die europaweite Ausschreibung gewonnen, weil die Züge über den gesamten Lebenszyklus die günstigsten seien – mit niedrigem Energieverbrauch und günstigen Wartungskosten. Software-Updates erhalten die Züge online über die Cloud.
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Michael Peter von Siemens Mobility stellte den Komfort der Züge heraus. So variiert die LED-Beleuchtung je nach Tageszeit. Gratis-WLAN, mobilfunkdurchlässige Fensterscheiben, USB- und herkömmliche Steckdosen sowie Ablageflächen sollen das Reisen angenehm machen. Eine deutlich leistungsfähigere Klimaanlage, die mit umweltfreundlichen Kältemitteln arbeitet, soll auch bei bis zu 45 Grad Celsius für angenehme Temperaturen im Inneren sorgen.
Bessere Informationen für die Fahrgäste
Die Züge erhalten besonders viel Elektronik, etwa das moderne europäische Zugleitsystem ETCS. Die Fahrgastinformation spielt eine große Rolle mit digitaler Technik. Es gibt Displays innen und außen über den Türen, an der Decke und in den Übergängen zwischen den Wagen. Sie informieren über den Fahrtverlauf, die Stationen und die Auslastung des jeweiligen Zuges. Vor dem Ausstieg gibt es auf den Displays Hinweise, wo sich am nächsten Bahnsteig Treppen oder Fahrstühle befinden. Außen am Zug leuchten LED-Bänder in der jeweiligen Linienfarbe.
Bayerische Firmen liefern zu
Die Züge sind für einen weitgehend automatischen Betrieb vorbereitet, allerdings werde man nicht auf Lokführer verzichten, sagte Münchens S-Bahn-Chef Heiko Büttner. Gebaut werden die Züge in Krefeld in Nordrhein-Westfalen, aber aus Erlangen und anderen Orten in Bayern wird zugeliefert. 70 Prozent des Bauumfangs bleiben in Deutschland, sagte der Siemens-Vorstand.
Finanziert werden die Züge über ein Leasingmodell mit der Europäischen Investitionsbank und der HypoVereinsbank, abgesichert durch eine "Kapitaldienstgarantie des Freistaats Bayern". Falls es zu einer Ausschreibung der Münchner S-Bahn kommt, könnten die neuen Züge auch einem erfolgreichen Wettbewerber der Bahn zur Verfügung stehen, sagte der Chef der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG), Thomas Prechtl, dem BR. Die BEG organisiert und finanziert den Nahverkehr in Bayern im Auftrag des Freistaats.
Fahrgastverband: Neue Züge nur ein "Puzzleteil"
Der Fahrgastverband Pro Bahn hat zurückhaltend auf die Ankündigung reagiert. Die neuen Züge seien nur ein "Puzzleteil", sagte Sprecher Andreas Barth dem BR. Um das Münchner Nahverkehrssystem wirklich zu verbessern, sei es auch nötig, den Takt der S-Bahn zu verbessern. Auch in punkto Barrierefreiheit müsse noch viel getan werden. Das größere Angebot an Stehplätzen sei für den Einsatz der Züge in der Innenstadt ausreichend, so Barth, für weitere Strecken, etwa nach Wasserburg, aber eher unpraktisch.
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