Der Angeklagte Ex-Sicherheitsdienstmitarbeiter wird in den Gerichtssaal geführt.
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Mutmaßliche Vergewaltigungen in Asylunterkunft: Urteil erwartet

Mutmaßliche Vergewaltigungen in Asylunterkunft: Urteil erwartet

Für den heutigen Montag wird im Prozess um die mutmaßlich 77-fache Vergewaltigung in einer Nürnberger Asylunterkunft das Urteil erwartet. Was bislang im Prozess geschah und warum die Straftaten so lange unentdeckt blieben.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Er soll sie vergewaltigt haben - teilweise über Jahre hinweg, insgesamt mindestens 77-mal. Diese Vorwürfe erheben zwei Bewohnerinnen einer Asylbewerberinnenunterkunft in Nürnberg-Schmausenbuck gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts der Unterkunft. Der 54 Jahre alte Mann weist alle Vorwürfe vehement von sich.

Vorwurf: Unter Drohungen zum Sex gezwungen

Seit 2018 soll der Angeklagte eine der Frauen zum Sex gezwungen haben. Bei der Polizei gab die Betroffene später an, dass dies fast wöchentlich geschehen sei. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann in diesem Fall deshalb mindestens 72 Vergewaltigungen vor – unter Berücksichtigung von Fehlzeiten wie Urlaub und Krankheitstagen des Angeklagten. In der letzten Sitzung regte das Gericht an, die Anzahl auf 62 zu reduzieren, um eine gesicherte Zahl zu haben.

Durch Drohungen soll der Angeklagte die Bewohnerin gefügig gemacht haben, sagt die Staatsanwaltschaft. Etwa in dem er seine Position als Security-Mitarbeiter ausgenutzt habe, um der Frau das Kind vom Jugendamt wegnehmen zu lassen, sollte sie sich ihm widersetzen. Glauben würde ihr sowieso niemand, sollte sie von den Vergewaltigungen erzählen, soll der Angeklagte gesagt haben.

Als 2022 eine weitere Frau in die Unterkunft zog, soll der 54-Jährige auch sie unter Drohungen des Kindesentzugs zum Sex gezwungen haben. Beide Frauen habe er in diversen Räumen der Unterkunft – vor allem im Keller – vergewaltigt. Die zweite Bewohnerin zeigte den Angeklagten später wegen Vergewaltigung an. Laut Staatsanwaltschaft soll er sie mindestens fünfmal vergewaltigt haben.

Angeklagter: Verleumdungsklage und Verhaftung

Als die Vorwürfe zutage treten, wird der Angeklagte aus der Unterkunft in eine andere versetzt - ebenso wie die gesamte Belegschaft der Sicherheitsdienstmitarbeiter. Der Mann wehrt sich mit einer eigenen Anzeige wegen Verleumdung gegen die Frau. Am Ende der Ermittlungen, im Januar 2023, steht seine Festnahme. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Ende September vergangenen Jahres erfolgte die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth.

Verteidigung wirft Justiz schwere Fehler vor

Ende Oktober startete der Prozess gegen den Angeklagten. Der Vorwurf: Die mindestens 77-fache Vergewaltigung zweier Frauen und die sexuelle Belästigung einer dritten. So trug es die Staatsanwältin bei der Verlesung der Anklageschrift vor. Im Anschluss stellte die Verteidigung einen Antrag auf Verfahrensaussetzung. Die Verteidigung warf der Justiz schwere Verfehlungen vor. So seien unter anderem Zeugen nachträglich vernommen worden und die Vernehmungen zu spät für eine ausreichende Vorbereitung bei den Verteidigern eingegangen. Die Staatsanwältin wies die Vorwürfe der beiden Verteidiger deutlich zurück und nannte die Strategie "Verfahrensverzögerung". 

Danach wurde der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit für die Aussagen der Geschädigten fortgesetzt – zu sensibel seien die Details zu den Tathergängen, hieß es im Antrag der Nebenklage.

Kollegin belastet Angeklagten

Es folgten Prozesstage, die deutlich machten, wie schwierig die Beweisaufnahme in diesem Fall war. Da der Angeklagte die Vorwürfe nach wie vor von sich wies, stand Aussage gegen Aussage. Um sich ein Gesamtbild zur Situation vor Ort in der Unterkunft zu machen, lud das Gericht etliche ehemalige Kolleginnen und Kollegen des Angeklagten. Sie sollten Einblicke, unter anderem in die Arbeitsabläufe der Securitys geben. Die Frage, die dabei unterschwellig im Raum stand: Hatte der Angeklagte die Gelegenheit zu den Vergewaltigungen? Konnte er sich allein und ungestört in der Unterkunft bewegen?

Eine Kollegin belastete den Angeklagten im Prozess schwer: Der Angeklagte habe für Rundgänge, die eigentlich 20 Minuten dauerten, mehr als ein oder zwei Stunden gebraucht. Auch sei er oft allein in die Kellerräume gegangen – dort, wo die Vergewaltigungen meistens stattgefunden haben sollen. Zudem sei der 54-Jährige einmal nachts ins Zimmer einer Bewohnerin gegangen. Seine Kollegin habe ihn dann zur Rede stellen wollen. Dabei soll er die Tür geöffnet und dabei sein Hemd in die Hose gesteckt haben. Die Bewohnerin habe fast nackt in der Badezimmertür gestanden. Daraufhin habe die Zeugin den Angeklagten häufiger beobachtet. Vieles sei ihr merkwürdig vorgekommen. Sie habe unter anderem Kondome in seinem Spind gefunden.

Widersprüchliche Zeugenaussagen: Hilfsbereit oder Machtmensch?

Das Gericht ging auch der Frage nach, was für ein Mensch der Angeklagte sei. Dazu hätten die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen nicht weiter auseinanderliegen können. Eine ehemalige Bewohnerin beschrieb den 54-Jährigen als "guten Menschen", der "immer allen helfen" wollte. So habe er sie etwa beim Erstellen von Bewerbungen unterstützt. Weitere gaben an, der Mann spreche viele Sprachen, sei sehr hilfsbereit und immer für alle da.

Andere wiederum nennen den Angeklagten einen Machtmenschen, der sich als Chef, als König, als Gott in der Unterkunft aufgespielt habe. Er habe Bewohnerinnen als "Schlampe" und "Hure" bezeichnet. Als die Vorwürfe gegen ihn laut wurden, soll der Mann einer Zeugin damit gedroht haben, dass er Kontakte zur kurdischen Mafia habe. Die Frau habe in der Folge – auch aus Angst – ihre Arbeit in der Unterkunft gekündigt. Ähnliche Drohungen soll der Angeklagte laut der mutmaßlich Geschädigten auch ihr gegenüber geäußert haben: "Du musst Angst haben, ich bin Kurde, ob ich eingesperrt werde oder nicht, dir wird was passieren", so habe er sich ihr gegenüber geäußert, gab sie bei der Polizei zu Protokoll.

"Aus Angst": Anzeige erst nach drei Jahren

Eine ehrenamtliche Helferin der Asylunterkunft war eine der ersten, der sich die Frauen anvertraut hatten. Sie schilderte vor Gericht, wie eines der mutmaßlichen Opfer ihr unter Tränen von den Taten erzählt habe – aus Angst, aber erst nach drei Jahren und erst nachdem sie aus der Asylunterkunft ausgezogen war. Die Helferin selbst erzählte dies mit schwankender Stimme.

Das andere mutmaßliche Opfer vertraute sich zunächst einem Pfarrer an. Auch sie habe Angst gehabt und der Geistliche habe erst nach mehreren Gesprächen gemerkt, dass mit der Frau etwas nicht stimme. Dann habe sie aber von sexuellen Handlungen berichtet, "die nicht in Ordnung sind". Für die Frau sei es ein großes Problem gewesen, dass man ihrer Version der Geschehnisse möglicherweise nicht glauben könnte, sie soll auch Angst vor Rache durch den Angeklagten geäußert haben. "Man glaubt uns Frauen ja nicht", habe sie gesagt.

Asylunterkünfte: unsicheres Klima

Der Pfarrer arbeitet auch als Seelsorger für Geflüchtete, hat über Jahre hinweg mit vielen gesprochen und sie unterstützt. Aus seiner Sicht gebe es nicht nur in der Nürnberger Unterkunft bei den Bewohnerinnen das Gefühl, in solchen Einrichtungen nicht sicher zu sein. Es herrsche ein Klima, in dem Männer wenig feinfühlig vorgingen und ihre Machtposition ausnutzten. So habe es auch die Frau dem Pfarrer vermittelt.

Sie habe beklagt, die Frauen wüssten etwa nicht gut genug über ihre Rechte Bescheid. So habe es in der Unterkunft einen weiteren Vorfall gegeben, bei dem eine Bewohnerin aus der Dusche gekommen sei und ein Hausmeister ungebeten im Zimmer gestanden haben soll.

Pro Asyl übt scharfe Kritik an Form der Unterbringung

Ähnliches hatte bereits "Pro Asyl" in einem BR24-Interview im vergangenen September angemahnt. Ein Schattenbericht des Vereins, von Flüchtlingsräten und der Universität Göttingen zur Istanbul-Konvention kommt zu folgendem Ergebnis: Nicht nur der fehlende Schutz vor Gewalt sei das Problem, sondern der gesamte Rahmen der Unterkünfte an sich sei gewaltvoll. So äußert sich auch die Referentin bei Pro Asyl, Andrea Kothen.

Gerade in Bayern seien diese zahlreich und häufig "sehr einschüchternd". Sicherheitsmängel wie nicht abschließbare Zimmertüren und Sanitärbereiche sowie die Unterbringung auf engem Raum sorgten für Frustrationspotenzial und gefährdeten Frauen zusätzlich, so Kothen weiter. "Es ist ein Drama, dass man Menschen so unterbringt, dass Security notwendig ist."

Angeklagter äußert sich

Im Fall der mutmaßlichen Vergewaltigungen hatte die Vorsitzende Richterin vor gut einer Woche die Beweisaufnahme offiziell geschlossen. Gegen Ende des Prozesses hatte sich das Gericht mit einer einzigen Frage an den Angeklagten gewandt: Wie er sich die Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn, wenn er unschuldig sei, erkläre?

Was folgte, war eine lange Antwort, in der der Angeklagte die Vorwürfe zum einen dadurch plausibel zu machen versuchte, dass eine der Geschädigten ihn hasse. Er schilderte mehrere Vorfälle, in denen er ihr aus diversen Gründen nicht habe helfen können. Das trage sie ihm bis heute nach. Zum anderen seien die Frauen von seinen ehemaligen Security-Kollegen angestiftet worden.

Urteil erwartet – hohe Strafe droht

Am heutigen Montag nun sollen die Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der beiden Vertreter der Nebenklage sowie der Verteidigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen. Das ist nötig, da auch Teile der Verhandlung ohne Öffentlichkeit abgehalten worden waren.

Im Falle einer Verurteilung droht dem Angeklagten eine hohe Strafe: Ein Strafmaß von zwei bis 15 Jahren ist möglich. Am Ende stehe dann eine Gesamtfreiheitsstrafe, bei der die Anzahl der Vergewaltigungen in die Abwägung mit einfließe, so eine Sprecherin des Gerichts. Nach dem letzten Wort durch den Angeklagten wird dann am Nachmittag das Urteil erwartet.

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