Natascha Mehler stellt vorsichtig einen Pappkarton auf den Tisch und hebt den Deckel. Zum Vorschein kommen Knochen und ein Schädel. "Wir sehen eine Hiebverletzung, die in den Kopf eingedrungen ist, das war ein Schwert oder eine Hellebarde", sagt die Professorin für Archäologie des Mittelalters. An der Universität Tübingen hat sie schon viele Skelette analysiert, doch diese Exemplare sind etwas Besonderes. Es handelt sich um das einzige Massengrab des Bauernkriegs in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Bauern lehnen sich auf
Von 1524 bis 1526 erheben sich Bauern gegen den Adel und den Klerus. Denn sie müssen hohe Abgaben leisten, sodass nur wenig zum Leben bleibt. Viele sind zudem Leibeigene und haben kaum Rechte, sondern müssen ihren Herren gehorchen. Ein Auslöser für den Aufstand der Dorfbevölkerung ist Luthers Übersetzung des Neuen Testaments in einfaches Deutsch, die sich durch den Buchdruck weit verbreitet. Viele hinterfragen, ob die Forderungen von Adel und Kirche wirklich dem "Willen Gottes" entsprechen, denn sie finden dafür keine Belege in der Bibel. Bei Leipheim kommt es im April 1525 zur ersten großen Schlacht des Bauernkriegs.
Verheerende Niederlage
Rund 4.000 bis 5.000 Bauern versammeln sich mit Dreschflegeln und Sensen. Doch das Heer des Schwäbischen Bundes unter Führung von Georg Truchseß ist ihnen nicht nur zahlenmäßig überlegen. "Es waren geschulte Truppen mit Kampferfahrung, die auch Schusswaffen einsetzten. Der Schlüssel zum Erfolg waren allerdings die Reiter", sagt Historiker Simon Paintner-Frei. Als sie zu hunderten über eine Hügelkuppe kommen, ergreifen die meisten Bauern in Panik die Flucht. Doch ihre Gegner setzen nach und metzeln Tausende regelrecht nieder. Das legen auch die Spuren der Funde aus dem Massengrab nahe.
Skelette bei Bauarbeiten entdeckt
"Wir sehen viele schwere Verletzungen an den Skeletten. Einige waren auch krank, hatten Syphilis, Arthrose oder eine Knochenhautentzündung und haben sich unter Schmerzen zur Schlacht geschleppt", sagt Professorin Mehler. Die Funde waren im Alter von 20 bis 60 Jahren – übrigens alles Männer, bis auf ein Skelett, das sowohl männliche als auch weibliche Merkmale aufweist.
Ob es sich allerdings um Bauern handelt oder doch vielleicht um Landknechte, lässt sich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Denn im Grab wurden lediglich Münzen entdeckt. Eine Isotopenanalyse, bei der aufgrund von Rippen untersucht werden kann, wo ein Mensch gelebt hat, zeigt aber, dass sie fast alle aus einer Region kamen. Gefunden wurden die Skelette schon vor drei Jahrzehnten bei Bauarbeiten für eine Tankstelle in Leipheim. Dabei war anfangs nicht klar, um welchen Schatz es sich handelte.
Ehrenamtliche graben tagelang
Denn die Skelette, die Richard Ambs mit anderen Ehrenamtlichen ausgräbt, sind sehr gut erhalten. "Sie hätten auch drei Jahrhunderte jünger sein können. Aber durch den Kiesboden mit dem alpinen kalkhaltigen Schotter wurden sie kaum ausgezehrt", so der damalige Kreisheimatpfleger und Archäologe. Sorgfältig legt er sie mit Kelle, Löffel und Pinsel frei und verstaut dann je ein Skelett in einer Bananenkiste, um sie zur anthropologischen Staatssammlung nach München zu bringen. Er stapelt alle Skelette in sein Auto. "Wenn ich an der Ampel stand, hatten die Fahrer neben mir lange Hälse bekommen. Denn überall lagen die Totenköpfe und Knochen", so Ambs.
Puzzlespiel mit Knochen
Bei der Auswertung bleiben aber Fragen offen. Warum etwa lag das Massengrab einige Kilometer vom Kampfgeschehen entfernt? Es seien noch nicht alle Ergebnisse fertig, sagt Natascha Mehler. Auch, weil bei den Skeletten manches durcheinander geriet. "Wir haben von der Staatsammlung Kisten bekommen, da waren zwei Köpfe oder vier Oberschenkelknochen drin. Es ist manchmal schwierig, das einem Individuum zuzuordnen."
Lange fehlte das Geld für eine Untersuchung der Skelette. Nun, da sich die Bauernkriege zum 500. Mal jähren, hatte das Landesmuseum Württemberg seine Unterstützung angeboten. Nächstes Jahr soll es in Bad Schussenried eine Ausstellung zum Bauernkrieg mit den Erkenntnissen aus Leipheim geben.
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