Die Bergestelle im Bodensee, an der die "Säntis" gehoben werden sollte.
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Die Bergungsarbeiten sind gescheitert. Die "Säntis" bleibt zumindest vorerst am Grund des Bodensees.

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Nach dem Aus der "Säntis"-Bergung: Wie es jetzt weitergeht

Seit über 90 Jahren liegt die "Säntis" in 210 Meter Tiefe im Bodensee. Ein Team aus Freiwilligen wollte den Dampfer mit viel technischer Kreativität an die Oberfläche holen. Doch bei der Bergung ging etwas schief. Wie geht es jetzt weiter?

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Schwaben am .

Silvan Paganini steht auf dem Deck des Bergeschiffs "Mary" im Hafen von Romanshorn in der Schweiz. Vor ihm steht eine Spule aus Metall. Fast zwei Meter hoch. Rostrot. Paganini zeigt mit dem Finger auf ein Metallteil und sagt: "Da ist es gerissen." Eine Schwachstelle. Der Stahl hat nicht gehalten. Das Holz an der Bremse riecht verbrannt.

Auf der Spule – eine sogenannte Bobine – waren vier gut zwei Zentimeter dicke Stahlseile aufgerollt. Sie sollten eine Stahlplattform stabilisieren. Doch jetzt liegen sie auf dem Grund des Bodensees. Statt die "Säntis" zu heben, muss das Team vom Schiffsbergeverein in Romanshorn jetzt Stahlseile, Lufttanks, einen Tauchroboter und anderes Material erst wieder an die Oberfläche holen. Denn die "Säntis" liegt noch immer in 210 Meter Tiefe, die Bergung ist am Sonntag endgültig gescheitert.

Bodensee muss wieder aufgeräumt werden

Jetzt geht es erst einmal darum, all das Material wieder vom Grund nach oben zu holen. Und auch der Kanton Thurgau teilt dazu auf Anfrage mit: "Der Schiffsbergeverein ist gemäß der Bewilligung verpflichtet, alles Material – einschließlich aller Hilfsmittel sowie aller Anlagen – wieder aus dem See zu entfernen." Dazu seien bereits Teile bestellt worden – es dauere allerdings, bis sie geliefert sind, so Paganini. Bis dahin will das Team des Schiffsbergevereins sich ein genaues Bild vom Seegrund machen. Dabei soll eine 3-D-Vermessung helfen.

Bremssystem hat wohl versagt

Noch ist nicht abschließend geklärt, wie es dazu kam, dass die Plattform plötzlich in die Tiefe geschossen ist. Projektleiter Paganini sprach von einer großen Dynamik. Es reiche, dass sich irgendwo eine Leine eingehakt habe, um alles in Schieflage zu bringen. Er sagte: "Dieser Absenkvorgang war so schnell, dass man es nicht mehr kontrollieren kann." Für Silvan Paganini ist inzwischen eines klar: Das Bremssystem hat versagt, weil die Bobine leicht oval ist, also eine Unwucht hat. Die Mechanik bekomme bei jeder Umdrehung einen Schlag, worauf die Bremse nicht ausgelegt gewesen sei, so Paganini.

Mit mehr Geld könnte Bergung noch möglich sein

Einige Tage nach dem Aus für die Bergung sagt Silvan Paganini, er sei überzeugt, dass die Bergung an sich trotz allem machbar sei: "Das ist immer gefährlich, wenn ein Ingenieur anfängt zu rechnen und merkt plötzlich, es könnte ja gehen." Er sagt, er habe zumindest zwei Dinge bisher für sich gelernt: So ein Projekt nicht nur mit Freiwilligen, sondern festen Mitarbeitern zu stemmen, und: "Mache es nicht mit einem Minimum an finanziellen Mitteln. Wir mussten mit einem Minimum das Maximum erreichen." Das Geld, das eigentlich dafür gedacht war, die "Säntis" nach der Bergung zu konservieren, soll jetzt dafür aufgewendet werden, das versunkene Material wieder an die Oberfläche zu holen.

Projekt mit Freiwilligen und Spenden

Rund zwei Jahre Arbeit hatten die Mitglieder des Schiffsbergevereins in das Projekt gesteckt. Alles ehrenamtlich. Sie hatten den Verein extra gegründet, Spenden per Crowdfunding gesammelt. Schlussendlich sind laut Silvan Paganini umgerechnet etwa 260.000 Euro zusammengekommen. Das klingt viel, doch er betont: "Das ist noch immer Low Budget." Deshalb haben sie monatelang geplant, getüftelt, vieles selbst gebaut und geschweißt.

Neben der finanziellen Unterstützung halfen Firmen aus der ganzen Welt mit Fachwissen, Arbeitskraft und Material. Die Schweizerische Bodensee-Schifffahrt AG (SBS), bei der Paganini als technischer Betriebsleiter angestellt ist, hat etwa die Werft über Monate zur Verfügung gestellt. Gönner von der Arabischen Halbinsel hätten Hebesäcke per Luftfracht geschickt, Firmen aus Deutschland beteiligten sich mit Know-how und speziellen Metallteilen aus dem Offshore-Bereich an der Aktion.

Die "Säntis" wurde absichtlich im See versenkt

Das alles, um die "Säntis" zu bergen, zu konservieren und danach der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, als technisches Monument, wie Silvan Paganini sagt. Das Schiff war am 2. Mai 1933 mit Schweizerfahne am Heck und Rauchpatrone im Kamin kurzerhand im See versenkt worden, um die Kosten der Verschrottung zu sparen. Davon zeugen Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Vergangenes Jahr hatte der Schiffsbergeverein das Wrack für einen symbolischen Franken von der SBS gekauft, der es ab Mitte der 1990er-Jahre gehörte. Im Februar hatte der Verein grünes Licht von allen Behörden der Anrainer-Staaten für die Bergung bekommen – ein Novum am Bodensee.

So sollte die Bergung funktionieren

Der Plan war folgender: Die Stahlplattform mit den Tanks und den Hebesäcken sollte zum Wrack abgelassen und dort mit Seilen verbunden werden, die bereits unter dem Schiffsrumpf hindurchgezogen worden waren. Per Kompressor sollten dann die Säcke mit Luft befüllt werden, wie riesige gelbe Ballone. Die sollten das 126 Tonnen schwere Schiff zunächst vom Boden lösen. Danach sollten die Stahltanks ebenfalls erneut mit Luft befüllt werden, um so die "Säntis" an die Oberfläche steigen zu lassen.

Im Video: Die "Säntis" sollte aus dem Bodensee geborgen werden

Untergang der Säntis
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Untergang der Säntis

Der Plan: Plattform kontrolliert ablassen

Doch so weit kam es nicht. Samstag, 25. Mai, ein Tag vor der geplanten Bergung: Die "Mary" – ein altes Kiesschiff, umgebaut zum Bergeschiff, mit einem zwölf Tonnen schweren Kompressor an Bord und der Bobine mit den aufgewickelten Stahlseilen – fährt langsam zur Bergestelle. Der Kapitän steuert zwischen zwei aus dem Wasser ragende grüne Tanks. Sie sind auf eine Stahlplattform geschweißt, die bereits unter Wasser liegt. Die Luft in den Tanks bringt die ganze Konstruktion zum Schwimmen. Heute will das Team all das zum Wrack ablassen, langsam und kontrolliert. Über Schläuche pumpt das Team des Bergevereins Wasser in die Tanks. Irgendwann müsste die 25 Tonnen schwere Stahlplattform untergehen. Es sollte aber noch so viel Luft in den Tanks verbleiben, dass sie quasi auf den Grund schwebt. Das dauert Stunden. Die Tanks füllen sich nur sehr langsam und ragen auch am Abend noch ein gutes Stück aus dem Wasser.

Das Ende der "Säntis"-Bergung

Am Tag vor dem Versuch war das Team um Silvan Paganini noch zuversichtlich und damit beschäftigt, die für die Bergung enorm wichtige Stahlplattform vorzubereiten. Alle waren guter Dinge, den Schaufelraddampfer aus der Tiefe heraufzuholen. Silvan Paganini sagte: "So weit sind wir noch nie gekommen, aber heute kann auch der letzte Tag des Projekts sein. Ich habe das noch nie gemacht in meinem Leben."

Der nächste Tag, Sonntag, der 26. Mai: Das Team um Silvan Paganini hat die Plattform ein wenig abgesenkt. Ein letzter Check. Doch dann geht etwas schief: Extrem schnell rollt sich das Stahlseil von der Bobine ab. Die Plattform rauscht in die Tiefe, Mitarbeiter springen zur Seite, jemand versucht noch zu bremsen, doch die Bremse reicht nicht aus. Es raucht. Das Holz an der Bremse hat angefangen zu schmoren. Doch die Plattform schießt weiter in Richtung "Säntis". Verletzt wurde dabei niemand.

Auf Bildern des Tauchroboters ist später alles zu sehen: Hunderte Meter Stahlseil liegen kreuz und quer herum, ein Tauchroboter dazwischen, riesige gelbe Hebesäcke und Luft-Tanks. Schlicht die komplette Stahlkonstruktion, die eigentlich dazu gedacht war, die "Säntis" an die Oberfläche zu holen. Silvan Paganini spricht von einem Chaos auf dem Seegrund. Die Bergung des Dampfers ist damit gescheitert.

Lösungen suchen und vorwärts denken

Der Schiffsbergeverein hat sie deshalb eingestellt. Die Enttäuschung ist bei allen Beteiligten einerseits groß. Andererseits hat das Team immer nach Lösungen gesucht. Das ist es auch, was Silvan Paganini antreibt: "Vorwärts zu denken und nicht von Problemen zu sprechen, sondern von Herausforderungen, die wir haben, und diese anzugehen." Das sei eine Einstellung, so Paganini, die uns auch als Gesellschaft gut zu Gesicht stünde. "Wir haben es versucht, andere reden nur darüber. Wir sind jetzt zwar gescheitert, aber wir sind weit gekommen."

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