Silvan Paganini hat ein Mantra: "Wir gehen zwei Schritte vor und einen wieder zurück." Ständig muss er seine Pläne ändern, Dinge verbessern, neu ausprobieren. Ein Patentrezept für eine Schiffsbergung dieser Dimension gibt es nicht. Viel Zeit verbringt der gelernte Wirtschaftsingenieur deshalb in einer riesigen weiß gestrichenen Halle mit Spitzdach in Romanshorn. Über ihm hängt ein gelb-oranger Schwerlastkran. In der Mitte der Halle ist schräg eine massive Stahlkonstruktion auf Rädern in den Boden eingelassen: der sogenannte Helling-Wagen. Das Herzstück der Werft in Romanshorn in der Schweiz. Hier werden Bodensee-Schiffe gewartet, mit Farbe aufgefrischt, Stahlteile ausgebessert.
In rund einem Monat soll hier aber ein ganz besonderes Schiff liegen: die versunkene "Säntis". Bis dahin ist noch viel zu tun für Paganini und die Mitglieder vom Schiffsbergeverein. Denn sie wollen den Schaufelrad-Dampfer aus 210 Meter Tiefe zurück in die Werft bringen. Am Bodensee hat das bisher noch niemand versucht. Beim Verein heißt es gar, es sei eine weltweit einzigartige Bergungsmission.
Schiffsbergeverein: "Tiefste Baustelle Europas im Moment"
Im vergangenen Jahr hatte sich eine Gruppe von Enthusiasten und Tüftlern zusammengetan und für das Projekt den Schiffsbergeverein Romanshorn gegründet. Ihr Präsident, Silvan Paganini, sagt: "Dass wir da rausgehen, am Wrack selber schaffen, das ist schon eine Riesen-Herausforderung. Ich denke, das ist die tiefste Baustelle in Europa auf 210 Meter aktuell. Wenn wir es wirklich hinbekommen, dass das hier hinter uns in der Werft steht, dann fallen einige Steine vom Herzen." Die ersten Arbeiten für die Bergung der "Säntis" laufen längst. Immer wieder finden Fahrten mit dem Tauchroboter zum Wrack mitten im Bodensee statt. Mitte März sollen zwei Stahltanks kommen, die sehr wichtig für die Bergung sind. Außerdem sind Schlosser Philip Wickli und Auszubildender Jerom Tobler in der Werft. Sie wollen eine Stahlplattform schweißen, auf die die Tanks später gesetzt werden – damit soll die "Säntis" gehoben werden. Die Männer arbeiten gratis. Ihr Chef stellt dem Projekt ihre Arbeitszeit zur Verfügung.
Menschen weltweit helfen mit
Ohne diese Spenden gehe es nicht, betont Paganini. Der Verein hatte im vergangenen Jahr umgerechnet mehr als 200.000 Euro an Spendengeldern gesammelt. Das allein würde aber nicht reichen. Firmen aus der ganzen Welt unterstützen das Projekt mit Fachwissen, Arbeitskraft und Material. Tausende ehrenamtliche Stunden sind bereits in die Schiffsbergung geflossen. Die Schweizerische Bodensee-Schifffahrt AG (SBS), bei der Paganini als technischer Betriebsleiter angestellt ist, stellt etwa die Werft viele Wochen lang zur Verfügung, Gönner von der Arabischen Halbinsel haben Hebesäcke per Luftfracht geschickt, Firmen aus Deutschland beteiligen sich mit Know-how und speziellen Metallteilen aus dem Off-Shore-Bereich. Das alles, um die "Säntis" zu bergen, zu konservieren und danach der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Silvan Paganini sagt, bevor sie zu einem Berg aus Quagga-Muscheln werde. Im Vorfeld musste der Schiffsbergeverein beweisen, dass die Bergung möglich ist und von dem Wrack keine Gefahr für die Umwelt ausgeht.
Bergung darf der Umwelt nicht schaden
Das Dampfschiff "Säntis" war ab 1892 gut vier Jahrzehnte lang auf dem Bodensee unterwegs gewesen. Waren und Menschen wurden mit dem fast 50 Meter langen Schaufelrad-Dampfer zwischen Romanshorn, Friedrichshafen, Lindau und Bregenz über den Bodensee gefahren. Rund 400 Plätze gab es für Passagiere. Laut Schiffsbergeverein war es das erste am Bodensee, das von Kohle- auf Flüssig-Kraftstoff umgerüstet worden ist. Damit wurde eine Drei-Zylinder-Maschine angetrieben. Vier Tanks mit einem Fassungsvolumen von mehr als 6.000 Litern Treibstoff wurden dafür installiert. Ein Umwelt-Desaster, würde das bei der Bergung auslaufen. Deshalb musste der Schiffsbergeverein das Wrack genau untersuchen.
"Säntis" absichtlich im Bodensee versenkt
Das Ergebnis: Durch die alten Leitungen fließt Wasser, wie Bilder zweier Tauch-Roboter zeigen sollen. Die Vermutung: Bevor die "Säntis" im Bodensee versenkt wurde, waren Holzbeplankung und alles andere entfernt worden, was irgendwie noch Wert hatte. Denn das ist laut Überlieferung der Grund dafür, dass das Schiff überhaupt im See liegt: Eine Verschrottung hätte sich nicht gelohnt, heißt es. Offenbar wollten sich die Schweizerischen Bundesbahnen, denen das Schiff damals gehörte, die Kosten für die Entsorgung sparen. Denn dann kam, was heute undenkbar scheint: Die "Säntis" wurde am 2. Mai 1933 mit Schweizerfahne am Heck und Rauchpatrone im Kamin kurzerhand im See versenkt, wie etwa auch das Schwesternschiff "Helvetia". Davon zeugen Schwarz-Weiß-Aufnahmen.
Bergung unter Auflagen der Behörden
Vergangenes Jahr hatte der Schiffsbergeverein das Wrack für einen symbolischen Franken von der SBS gekauft, der es seit Mitte der 1990er-Jahre gehörte. Jetzt soll es wieder an die Oberfläche kommen. Seit Februar gibt es grünes Licht von allen Behörden der Bodensee-Anrainer-Staaten für die Bergung. Allerdings unter Auflagen.
So muss der Schiffsbergeverein nach eigenen Angaben beispielsweise die Entsorgung des Wracks zahlen, sollte bei der Bergung etwas schiefgehen und die "Säntis" im flachen Wasser liegenbleiben. Vor der Bergung muss außerdem ein unabhängiger Gutachter die Bergeplattform prüfen. Die wird in der Werft in Romanshorn aus vielen Stahlträgern zusammengeschweißt.
Bergeplattform wird geschweißt
Schlosser Philip Wickli nutzt dafür Schutzgas. Oftmals muss er sechs Lagen übereinander schweißen. Die Teile der Plattform müssen später viel Gewicht halten. Die Hebeplattform sieht von oben aus wie drei nebeneinander gelegte Rechtecke. Fehlen noch die beiden alten Propangastanks – sechs Tonnen schwer, sieben Meter hoch, verblasst grün. Sie werden auf das Stahlgerippe gesetzt und dort verschweißt. Später bei der Bergung sorgen sie für den Auftrieb und halten das Schiff beim Aufstieg an die Oberfläche waagerecht.
So soll die "Säntis"-Bergung gelingen
Und das soll so ablaufen: Zunächst will das Team um Paganini an vier Stellen Stahlseile unter dem Wrack durchspülen. Das soll mit einer eigens geschweißten gebogenen Vorrichtung gehen. Weil Tauchen in dieser Tiefe nur mit speziellen Anzügen mit extremem Aufwand möglich wäre, wird sie mit Hilfe von Tauchrobotern so positioniert, dass der Winkel exakt passt. Mit Wasserdruck soll dann eine Lanze durch den Schlick am Seeboden zur anderen Wrackseite gedrückt werden. Stimmt der Winkel nicht, bohrt sich die Lanze in den Seegrund oder von unten in den Schiffsboden. Passt alles, kommt sie auf der anderen Seite des Schiffes wieder heraus. An den Enden der Stahlseile werden dann Führungsleinen befestigt, die wiederum an der Stahlplattform mit den Tanks darauf befestigt werden. Die Konstruktion wird zum Wrack abgelassen. Die Säcke werden mit Luft befüllt, wie riesige gelbe Ballone. Sie sollen das 126 Tonnen schwere Schiff zunächst vom Boden lösen. Dann werden die Stahltanks mit Luft befüllt. Und so soll die "Säntis" langsam und kontrolliert zur Wasseroberfläche aufsteigen.
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