Die Angst steht Anita Knauf ins Gesicht geschrieben. Sie und ihr Mann Klaus-Dieter sorgen sich um das Auto, das in der überfluteten Garage steht. Sie sorgen sich um die Waschmaschine im Keller. Vor allem aber sorgen sie sich um die Zukunft. "Die Warterei ist furchtbar. Wir haben keine Ahnung, wie es weitergeht", klagt Anita Knauf.
Wie es zu Hause in Gessertshausen aussieht, weiß sie nicht. Vor ihr auf dem Tisch liegt ein Buch mit Liebesromanen. "Zur Ablenkung", erklärt die 69-Jährige, "das brauche ich einfach. Sonst würde ich hier verrückt werden."
Evakuierte Menschen haben nur das Nötigste mitgenommen
Sonst haben die beiden nur das Nötigste mitgenommen, als die Feuerwehr kam, um sie abzuholen. Am frühen Nachmittag muss das gewesen sein, schätzt Klaus-Dieter Knauf. Wie sich die Lage zuspitzt, hatten sie bereits zuvor beobachtet: "Als meine Frau aufgestanden ist, habe ich ihr gesagt: Schau mal raus, was da los ist!"
Als Anita Knauf dann ans Fenster ging, hat sie das Wasser im Hof und auf der Straße gesehen. "Das war schon ein Hammer, wie hoch es stand. Das ging alles so schnell, es war unheimlich", erinnert sie sich. Sie sieht müde aus, hat eine lange Nacht hinter sich: "Ich habe ein bisschen gedöst, mehr war nicht drin."
Betroffene wurden kurzfristig evakuiert
So wie ihr geht es den meisten der rund 150 Menschen, die am Sonntagmittag in der Notunterkunft im Augsburger Messegebäude sind. Viele kommen aus vom Hochwasser bedrohten Altenheimen, rund ein Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner sind pflegebedürftig. Sie liegen in einem eigenen Bereich.
Die Notunterkunft haben Rettungsorganisationen der Stadt Augsburg am Samstag innerhalb weniger Stunden aufgebaut, inzwischen werden die Augsburger Helferinnen und Helfer vom Roten Kreuz, den Maltesern und den Johannitern von Kräften aus Franken unterstützt. 300 Menschen haben in der Notunterkunft Platz, 3.000 weitere Feldbetten stehen für den Notfall bereit. Die Evakuierten kommen zum Beispiel aus Dinkelscherben, Gessertshausen und Nordendorf. Wegen teils katastrophalen Überschwemmungen mussten sie ihr Zuhause verlassen. Sie sollen hier zur Ruhe kommen, doch so ganz gelingt das auf den Feldbetten in der zum Schlafsaal umfunktionierten Messehalle kaum jemandem. Viele sind erschöpft, sie machen sich Sorgen.
Ablenkung mit Kegeln und Deutschbüchern
In der an den provisorischen Schlafsaal angrenzenden Schwabenhalle, wo sonst große Konzerte und Events stattfinden, sind Bierbänke und -tische aufgebaut: ein Aufenthaltsraum, wo evakuierte Menschen zusammensitzen können. Durch den dämmrig beleuchteten Saal hallt Kinderlachen: Ein Bub und zwei Mädchen spielen mit einem Helfer Kegel. Eine von ihnen ist die 12-jährige Arina, deren Vater Ali Reza Husseini unweit auf einer Bierbank sitzt.
Vor zehn Monaten ist er mit Frau und Tochter aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, jetzt wohnt die Familie in Nordendorf. Er bangt um seine Wohnung in Kiew, seit gestern auch um seine Wohnung in Nordendorf. Trotzdem ist er optimistisch. Wie Anita Knauf aus Gessertshausen lenkt auch er sich ab: Konzentriert sitzt er über ein Deutschbuch gebeugt, zwischendurch flechtet er seiner Tochter einen Zopf.
Die Ungewissheit setzt den Menschen zu
Die Ungewissheit ist es, die vielen evakuierten Menschen in der Notunterkunft am meisten zusetzt. Niemand von ihnen weiß, wie es zu Hause aussieht. Ein Mann aus Kühlenthal wartet seit 5 Uhr morgens darauf, dass er zurück nach Hause kann. "Das Schlimmste ist, dass wir untätig hier sitzen und nicht wissen wie lange", erklärt er. Dankbar ist er wie auch die anderen Evakuierten den Hilfskräften: "Wir sind hervorragend aufgenommen worden, die Leute machen einen super Job!"
Für Familie Knauf aus Gessertshausen gibt es dann am Nachmittag doch eine gute Nachricht. In Augsburg hat es aufgehört zu regnen, zum ersten Mal seit Tagen scheint die Sonne. "Sie haben uns gesagt, dass wir heute noch nach Hause dürfen", freut sich Anita Knauf und lächelt, "mir fällt ein Felsbrocken vom Herzen."
Im Video: Katastrophale Hochwasser-Lage in Teilen Bayerns
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