Seit mehr als zwei Jahren tobt der Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Viele deutsche Firmen haben sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine aus Russland zurückgezogen. Jetzt auch einer der größten Baustoffhersteller weltweit: Wie die Knauf-Gruppe mit Sitz im unterfränkischen Iphofen heute auf Nachfrage von BR24 bestätigt, will sie ihre Geschäfte in Russland komplett abgeben. Zuvor hatte das Magazin "Business Insider" darüber berichtet. Nach Angaben von Knauf hat sich die Unternehmensgruppe "vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen entschieden, sich nach mehr als 30 Jahren in Russland von ihrem dortigen Geschäft zu trennen", heißt es in dem Schreiben.
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Knauf will Arbeitsplätze vor Ort erhalten
Der Wunsch des Unternehmens sei es, das gesamte Geschäft in Russland auf das lokale Management zu übertragen. Dazu gehören auch die Rohstoffgewinnung, die Produktion und der Vertrieb. So sollen die Arbeitsplätze der mehr als 4.000 Mitarbeitenden in russischen Werken auch in Zukunft erhalten bleiben, so Knauf. Die geplante Transaktion hänge jedoch von der Genehmigung durch die zuständigen Behörden in Russland ab.
Staatsanwaltschaft Würzburg bestätigt Vorermittlungsverfahren
Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft Würzburg dem BR Medienberichte bestätigt, dass sie Vorermittlungen gegen den unterfränkischen Baustoffhersteller aufgenommen hat. Bei Vorermittlungsverfahren soll geprüft werden, ob ein Anfangsverdacht besteht, der zu einem Ermittlungsverfahren führen könnte. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft geht es bei den Vorermittlungen um mögliche illegale Exporte nach Russland. "Wir befinden uns noch ganz am Anfang", betont ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Es gelte die Unschuldsvermutung. Zuvor hatte das Magazin "Business Insider" berichtet.
Sanktionsexperte spricht von Risiken beim Verkauf der Werke
Der Frankfurter Sanktionsexperte Viktor Winkler sieht den heute angekündigten Rückzug des Baustoffunternehmens Knauf kritisch. "Ein solcher Rückzug und Verkauf an Unternehmenswerten wirft so viele Risiken auf. Ich bin gespannt, ob Knauf all diese Risiken im Blick hatte", sagte der Frankfurter Jurist am Montag dem Bayerischen Rundfunk. Diesem Rückzug jetzt vorschnell Applaus zu spenden, hält er deshalb für "sehr, sehr dumm".
Zwangsabgabe könnte zur Finanzierung der russischen Kriegswirtschaft dienen
Gerade im Verkauf der Produktionsstätten lauerten sanktionsrechtliche Risiken. Die Frage sei jetzt, wer die Vermögenswerte erhält und wie hoch der Abschlag für den russischen Staat sei, so Winkler. Russland verlange ganz offiziell von ausländischen Unternehmen, die sich aus dem russischen Markt zurückzögen, etwa 50 Prozent des Kaufpreises. "Das ist natürlich ein erheblicher Verlust an Unternehmenswerten. Und diese 50 Prozent gehen direkt in die russische Wirtschaft, vielleicht in die Kriegswirtschaft, vielleicht direkt an den Staat."
Rückzug als Reaktion auf ARD-Recherche?
Erst vor kurzem war das unterfränkische Gipsunternehmen wegen seiner Tätigkeiten in Russland in die Schlagzeilen geraten: Recherchen des ARD-Magazins "Monitor" legten den Verdacht nahe, dass Knauf die EU-Sanktionen gegen Russland verletzt habe. Ob der Rückzug aus Russland mit den erhobenen Vorwürfen zusammenhängt, wollte das Unternehmen heute gegenüber BR24 weder bestätigen noch dementieren und möchte sich dazu weiter nicht äußern, teilt eine Pressesprecherin auf schriftliche Anfrage mit.
In einer Stellungnahme zu dem ARD-Bericht hieß es, Knauf verurteile den Angriffskrieg auf die Ukraine und befolge sämtliche Sanktionen der EU, Großbritanniens und der USA gegen Russland. "Wir weisen den Vorwurf, das nicht zu tun, aufs Schärfste zurück", hieß es damals vom Konzern.
Kritik wegen vermeintlicher Hilfe für Russland
Knauf soll mit seinen Produkten Russland dabei geholfen haben, das besetzte Mariupol am Asowschen Meer wieder aufzubauen. Reporter hatten demnach auf Gipssäcken in Mariupol den Namen Knauf entdeckt.
Der Baustoffkonzern weist den Vorwurf zurück: Die Firma liefere demnach weder nach Russland noch nach Mariupol in der Ukraine und importiere seit Februar 2022 auch keine Baustoffe mehr nach Russland. Der Konzern unterhalte auch keine direkten Lieferverträge zu Verbrauchern oder Verarbeitern seiner Produkte in Russland. Knauf produziere in Russland "ausschließlich für den russischen Markt", so der Konzern.
Knauf macht Milliardenumsätze in Russland
Der Familienkonzern, der 2022 mit rund 15,4 Milliarden Euro Umsatz zu den größten Baustoffherstellern weltweit zählte, beschäftigt derzeit rund 4.000 Beschäftigte in 14 Produktionsstätten in Russland. Auch dort macht er Milliardenumsätze. Firmenpatriarch Nikolaus Knauf war mehr als zwei Jahrzehnte russischer Honorarkonsul. Es gibt Fotos von ihm mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Trotz des Angriffs auf die Ukraine und der Zerstörung des Knauf-Werks Donbass bei Bachmut in der Ostukraine hatte sich der Konzern zunächst "für den Verbleib im russischen Markt entschieden", wie es hieß. Der Grund: Man wolle seiner Verantwortung als Familienunternehmen gerecht werden und die "langjährigen Beschäftigten nicht in die berufliche Unsicherheit entlassen", so Knauf. In den russischen Werken produzierten russische Mitarbeitende für den russischen Markt. Weltweit stellt Knauf in über 90 Ländern in mehr als 300 Werken mit rund 40.000 Beschäftigten Baustoffe und Bausysteme her.
Mit Informationen von dpa.
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