Im Fall des Erlanger Doppelmords an dem jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seiner Freundin Frida Poeschke von 1980 gibt es neue Erkenntnisse. Es ist ein bislang unbekanntes, als geheim eingestuftes Dokument des Bayerischen Verfassungsschutzes aufgetaucht, das belegen soll, dass der Geheimdienst einen V-Mann im unmittelbaren Umfeld des Täters führte. Das investigative Rechercheteam des Bayerischen Rundfunks und der Nürnberger Nachrichten hatte vergangene Woche darüber berichtet.
Fischbach: Staatsanwaltschaft muss Akten prüfen
Nun fordert der Erlanger FDP-Landtagsabgeordneter Matthias Fischbach, dass die Staatsanwaltschaft alle noch verfügbaren Geheim-Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz prüfen soll, die Hinweise zur Aufklärung geben könnten. Sollten solche Hinweise vorliegen, müsse "der Prozess neu aufgerollt werden", sagte Fischbach gegenüber dem BR/NN-Rechercheteam.
Fischbach verweist auf eine neue Rechtslage, die eine Wiederaufnahme in einem Mordfall nach erfolgtem Freispruch ermöglicht, wenn neue Beweise vorliegen. Im Sommer 2021 hat der Bundestag mit einer Gesetzesänderung die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens bei schwersten Straftaten erleichtert. Bis dahin konnte ein Prozess selbst bei Mord oder Völkermord auch dann nicht neu gestartet werden, wenn nachträglich ein eindeutiger Nachweis der Täterschaft des Freigesprochenen vorgelegt wurde.
SPD will Rolle des Verfassungsschutzes durchleuchten
Auch die Erlanger SPD-Landtagsabgeordnete Alexandra Hiersemann, die sich seit Jahren für die restlose Aufklärung des Doppelmordes einsetzt, will jetzt die Rolle des Verfassungsschutzes genau durchleuchten. Sie hatte bereits im April 2015 bei der Staatsregierung angefragt, welche Akten bei den bayerischen Behörden zum Attentat auf Lewin und Poeschke vorlägen – und von dem Bericht des V-Mannes nichts erfahren.
Für Horst Arnold aus Fürth, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion und früher als Richter tätig, ist es "unerklärlich", dass der Quellenbericht "erst nunmehr durch investigative Presserecherchen ans Licht kommt, wo Morde gerade nicht verjähren." Nun müsse sich die Staatsregierung einige "sehr unangenehme Fragen gefallen lassen". Die SPD-Landtagsfraktion hat deswegen einen detaillierten Fragenkatalog an die Staatsregierung geschickt.
V-Mann beobachtete offenbar Mordvorbereitungen
Dem erst kürzlich bekannt gewordenen Geheimpapier zufolge war ein V-Mann und WSG-Mitglied nur sechs Tage vor dem Doppelmord zu Gast bei WSG-Chef Karl-Heinz Hoffmann. Der V-Mann soll bei dem Besuch beobachtet haben, wie Hoffmann und der spätere Täter gemeinsam Schalldämpfer hergestellt haben. Auch beim Doppelmord wurde ein selbstgebauter Schalldämpfer genutzt, der auf einer Pistole angebracht war. Es steht also die Frage im Raum, ob der Geheimdienst von den Mordplänen wusste und hätte einschreiten müssen.
Dennoch kam es wenige Tage darauf, am 19. Dezember 1980, zum Mord an Levin und Poeschke. Durch die jetzt bekannt gewordene Geheimakte wisse man, dass ein V-Mann kurz vor den Morden wichtige Hinweise gegeben hatte, sagte der frühere BR-Journalist Ulrich Chaussy dem gemeinsamen Rechercheteam von BR und Nürnberger Nachrichten Anfang August. Der mehrfach ausgezeichnete Publizist gilt als einer der besten Kenner des Erlanger Doppelmordes.
Doppelmord könnte aufgeklärt werden
Es sei "skandalös, dass dieses Versagen bis heute nicht aufgearbeitet und korrigiert wurde", meint die Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Linke). Ihr liegt das Geheimpapier des Verfassungsschutzes vor. Das Verbrechen an Shlomo Lewin und Frida Poeschke könne noch immer aufgeklärt werden, denn Mord verjähre nie, so die Politikerin weiter. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz wollte laut Renner die Quellenmeldung und deren Bedeutung auf Anfrage nicht kommentieren.
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