Ob eine geflüchtete Person Recht auf Asyl in Deutschland hat, hängt maßgeblich von möglichen Schutzgründen ab – wie zum Beispiel einer Gefahr für Leib und Leben im Herkunftsland. Im Falle eines Geflüchteten aus Syrien hat das Oberverwaltungsgerichtes (OVG) Münster Anfang der Woche ein Urteil mit möglicherweise weitreichenden Folgen gesprochen: Die Zustände in dem von Bürgerkrieg gebeutelten Land seien nicht mehr so gefährlich, dass sie einen pauschalen Schutzstatus rechtfertigen würden.
Für Zivilisten bestehe "keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts" mehr, so das Gericht.
Herrmann: Urteil "wichtig und richtungsweisend"
"Wichtig und richtungsweisend" nennt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) das Urteil auf BR24-Nachfrage. Herrmann fordert Konsequenzen: "Es kommen jeden Tag viele Flüchtlinge neu nach Deutschland, obwohl sie in weiten Teilen Syrien keineswegs mehr um ihr Leben fürchten müssen."
Zwar sei es wichtig, weiter humanitäre Hilfe zu leisten, allerdings sollten Straftäter außer Landes gebracht werden können und auch dem Neuzugang an Flüchtlingen Grenzen gesetzt werden, sagt Hermann. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bereits im Juni angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen "Gefährdern" nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen.
Flüchtlingsrat: "Realitätsfern und fatal"
Ganz anders bewertet Franziska Schmieg vom Bayerischen Flüchtlingsrat das Urteil. Für sie wäre die Aufhebung des sogenannten subsidiären Schutzes für alle syrische Geflüchtete "realitätsfern und fatal": "Ein Land, in dem eine Diktatur herrscht, der sogenannte Islamische Staat wütet, gemordet und gefoltert wird, kann nicht als sicher für Rückkehrer gelten".
Beim bayerischen Innenministerium scheint man sich vor allem auf mögliche Änderungen bei der Bewertung von Asylanträgen konzentrieren zu wollen: Das Urteil sei gerade deshalb so bedeutend, weil bisher noch nie ein Gericht festgestellt habe, dass in Syrien das Leben von Zivilisten nicht mehr ernsthaft bedroht sei. Das Urteil könne sich somit auch auf die Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auswirken – und dafür sorgen, dass Syrer nicht mehr automatisch subsidiären Schutz erhalten, so ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums.
Stärkste Fluchtbewegung aus Syrien
Tatsächlich könnten die Auswirkungen auf die Einwanderungszahlen in Deutschland enorm sein, wenn in Zukunft Asylanträge von syrischen Geflüchteten vermehrt abgelehnt würden. Syrien führt die Liste der wichtigsten Herkunftsländer bei Asylanträgen mit großem Abstand an. Laut BAMF gingen allein in diesem Jahr bis Ende Juni knapp 38.000 Asylanträge von Syrerinnen und Syrern ein. Im Jahr 2023 hatten in Bayern rund 13.000 Menschen aus Syrien einen Asylantrag gestellt.
Ob das Urteil des OVG Münster (externer Link) aber konkrete Auswirkungen auf die Anzahl von nach Deutschland kommenden Syrerinnen und Syrer haben wird, bleibt fraglich, denn das bayerische Innenministerium teilt auch mit: "Abschiebungen nach Syrien sind nach wie vor nicht möglich, daran ändert auch das Urteil des OVG Münster nichts." Nötig hierfür sei eine Neubewertung der Lage durch das Auswärtige Amt.
Weniger genehmigte Asylanträge zunächst fraglich
In einer Warnung des Auswärtigen Amtes zu Syrien ist bislang von einer "äußert volatilen" Sicherheitslage im ganzen Land die Rede: "Ausländer können ebenso wie syrische Staatsbürger Opfer terroristischer und gewaltbereiter Dschihadisten werden."
Franziska Schmieg vom Bayerischen Flüchtlingsrat hält es deshalb für fraglich, ob das Urteil des OVG Münster etwas an der Entscheidungspraxis des BAMF ändern wird. Neben dem subsidiären Schutzstatus gibt es noch drei weitere Schutzformen, die bei einem Asylverfahren geltend gemacht werden können. Nach Einschätzung eines vom Flüchtlingsrat beauftragten Juristen gelte für syrische Geflüchtete weiterhin das sogenannte Abschiebeverbot. Es kommt zur Anwendung, wenn im Herkunftsland "erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit" besteht.
Deutschland müsste auf Assad zugehen
Das BAMF will sich auf BR24-Anfrage zunächst nicht festlegen. Man wolle die schriftliche Urteilsverkündung des OVG Münsters abwarten, erst dann könne man die Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung bei Asylanträgen abschätzen. Hinzu kämen bei jedem Asylantrag die individuell vorgetragene Fluchtgeschichte des Antragstellenden und die Fluchtgründe.
Selbst wenn das BAMF in Zukunft mehr Asylanträge von Syrerinnen und Syrern ablehnt, stellt sich eine weitere Frage: Die Bundesrepublik unterhält aktuell keine diplomatischen Beziehungen nach Syrien. Die Rückführung von syrischen Asylsuchenden würde also bedeuten, dass sich die deutsche Politik auf den syrischen Diktator Baschar al-Assad einlassen müsste.
Zum Hören: Syrien – Was Rückkehrer erwartet
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